Bruce Springsteen – Wrecking Ball

von am 6. März 2012 in Album

Bruce Springsteen – Wrecking Ball

Die Obama Euphorie ist dahin, die Abrissbirne schwingt durch die Wall Street: der Boss liefert zürnend den hemdsärmeligen Soundtrack zur Occupy-Bewegung mit grundsolider, aber endlich wieder packender Rockmusik von der Stange.

Ein Brimborium das sich sehen lassen kann wird um das neue, mittlerweile siebzehnte Bruce Springsteen Album veranstaltet. Von einem Folk-Werk ist da die Rede, dass dann doch noch zur Rockplatte aufgeblasen wurde. Von einer Protestplatte alter Schule, die wütend gegen Banker und Manager wettert, für die der Boss seine Ärmel hochgekrempelt hat und die gespannte Adern auf der Stirn des mittlerweile 62 jährigen hervorquellen lässt. Weil Springsteen mit Zeilen wie „If I had a gun/ I’d grab it and shoot the bastards on sight.“ unverändert auf der Seite des kleinen Mannes marschiert und damit trotzdem oder gerade deswegen in der Playlist des amerikanischen Präsidenten gelandet ist. Der Soundtrack zur Occupy Bewegung wenn man so will und überhaupt Springsteens mutigstes, innovativstes Album seit Ewigkeiten.
Schlussendlich trifft die Abrissbirne nicht so hart, wie sie geschwungen wird. Aber zumindest der eine Punkt stimmt natürlich: ‚Wrecking Ball‚ ist Springsteens beste Platte seit dem 2002er Album ‚The Rising‘.

Bei weitem kein Makelloses: Der mutwillige Stimmungsong ‚Shackled And Drawn‚ marschiert, die Fäuste wild schüttelnd durch Irland nach Amerika und macht seine Sache doch noch so viel besser als das penetrante ‚Death to My Hometown‚, hopsend mit Fidel, Flöte und Shantyflair. Leicht beduselt stampfen die zwei Nummern jenseits der Gewöhnungsbedürftigkeit in allzu gefällige Unterhaltungswasser, bei der auch die löbliche Message nicht zum Netz wird, weil, wie die große Erkenntnis sein muss, es nicht zwangsläufig eine gute Sache ist, wenn ein Song Woody Guthrie und die Dropkick Murphys gleichermaßen als Stammväter führt. Dazu kommt der stellenweise vollends überfrachtete und künstlich aufgblasene Sound. Ron Aniello lässt immer wieder im Hintergrund Drittstimmen wüten, die Dynamik erzeugen wollen aber den Eindruck schüren, dass ‚Wrecking Ball‚ ohne den entgegen erster Absichten aufgeschichteten Bandsound weitaus natürlicher gewachsen wäre. Die E-Street Band verkommt jedoch nicht zum schmückenden oder störenden Beiwerk, auch wenn sich ‚Wrecking Ball‚ stellenweise als ausgeufertes, überschwemmtes Soloalbum anfühlt. Da kniddelt Rage Against the Machine Gitarrenhexer Tom Morello als Gast nahezu unbemerkt, während Clarence Clemons letzter Saxofonpart das Album mit Tränen untermauert. Die Drums poltern prägnant, die Gitarren braten im breiten Konsenssound. Da war ja das mit Wut und Zorn und dergleichen, das soll sich im Sound niederschlagen. Kein Gefallen für die Platte, wäre weniger doch mehr gewesen, eine rauere Kante ein Segen für ‚Wrecking Ball‚.

Die Qualität der Platte versteckt sich jedoch nicht  hinter der gesunkenen Erwartungshaltungen ob des jüngeren Outputs des Amerikaners. Zwar erweist sich die vielzitierte Experimentierfreudigkeit als gelungener Blick über den Tellerrand, aber den Kosmos des Boss nicht bahnbrechend auf den Kopf stellend. Springsteen arbeitet allerdings überraschend homogen Soulpassagen samt Rapeinlage in den gefühlvollen Rock von ‚Rocky Ground‚ ein, sampelt Straßenpredigten und fährt den Gospelchor auf. Dass ‚We Are Alive‚ sich allzu sehr bei ‚Ring of Fire‚ bedient kann man überhören, wenn man über die Referenzlast des gesamten Werkes weiß. Macht Dylan ja auch nicht anders. Der erzeugt seine Anziehungskraft in jüngster Zeit ebenfalls vordergründig durch eine nicht unbedingt spektakuläre aber effektive Verbundenheit zur Musikgeschichte, die wahre Stärke aus einer tiefgehenden, geerdeten Souveränität ziehend. Ein sentimental-sehnsuchtsvolles ‚Land Of Hope And Dreams‚ etwa ist ein durch und durch gelungener Rocksong, für den man dem Boss bei so manchem Bier in der Bar im Geiste danken wird. Es sind die nach oben brechenden Klassesongs, die ‚Wrecking Ball‚ neben wenigen Ausfällen und vielen Standartsongs (der Streicherstomp ‚We Take Care of Our Own‚ ist representativ und exemplarisch) auszeichnen – die optimistische Beliebigkeit eines ‚Working on a Dream‚ ist dahin.

Und mit dem langsam startenden Titelsong (sind Gaslight Anthem mittlerweile auch Inspiration für Springsteen und nicht nur umgekehrt?) sowie der (für Serien-erprobte The Waltons Fans eventuell ein Aha-Erlebnis) ergreifenden Ballade ‚Jack Of All Trades‚ sind tatsächlich zwei Songs vorhanden, die das legendäre Oeuvre des Boss um mehr als nur gelungene Handwerkskunst bereichern, das Potential haben zu langjährigen Weggefährten zu werden- was auf die hier versammelten Songs im Livegewand teilweise ohnedies schon zutrifft.
Die Kunstfertigkeit des allgemeinen Rocksongs und die Albumhighlights alleine stemmen ‚Wrecking Ball‚ über den Durchschnitt hinaus und dazu zum gelungensten Werk des mutmaßlich archetypischen Amerikaners (…) seit nunmehr beinahe zehn Jahren. Nicht nur, weil man plötzlich wieder das Gefühl hat, dass da doch noch einmal etwas richtig Grandioses, Wichtiges kommen könnte. Sondern weil das euch im Jetzt wieder über weite Stecken richtig packend gerät.

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