Leonard Cohen – You Want it Darker

von am 22. Oktober 2016 in Album, Heavy Rotation

Leonard Cohen – You Want it Darker

2016 lebt gefühltermaßen wie kein anderes Jahr der jüngeren Vergangenheit von großen Abschiedsalben – nachzuhören etwa bei Touchè Amorè, Nick Cave oder David Bowie. Wie letztgenannter scheint sich auch Leonard Cohen mit seinem vierzehnten Studioalbum einen eigenen Epitaph vorwegschicken zu wollen. Zumindest lässt er gleich im eröffnenden Titelstück You Want it Darker wissen: „I’m ready, my Lord„.

„‚Well Marianne it’s come to this time when we are really so old and our bodies are falling apart and I think I will follow you very soon. Know that I am so close behind you that if you stretch out your hand, I think you can reach mineschrieb Cohen seiner unsterblichen Muse Marianne Ihlen kurz vor deren Tod im Juli diesen Jahres, und weiter: „And you know that I’ve always loved you for your beauty and your wisdom, but I don’t need to say anything more about that because you know all about that. But now, I just want to wish you a very good journey. Goodbye old friend. Endless love, see you down the road.
Als wollte der 82 Jährige keinen Zweifel daran lassen, dass er seine eigene Lebenszeit merklich schwinden fühlt, schiebt er nun eben gleich einen Song vom Format eines You Want it Darker hinterher. Cantor Gideon Zelermyer verabschiedet die gespenstisch-erhabene Stimmung hebräisch, sakrale Chöre und eine glimmernde Kirchenorgel legen sich davor zu einem minimalistisch groovenden Beat, über den Cohen mit seinem unvergleichlichen Bassbariton die Vergänglichkeit herbeizitiert: „You want it darker/ We kill the flame/ If you are the dealer, let me out of the game/ If you are the healer, I’m broken and lame/…/Hineni, hineni/ I’m ready, my Lord„.

Auch It Seemed the Better Way funktioniert ebenfalls auf diese Weise und mit Hilfe des Montreal’s Synagogue Choir, Cohen blickt zurück auf sein Leben und scheint mit seinem alten Zen-Meister zu hadern: „Sounded like the truth/ But it’s not the truth today„. Perspektiven haben sich verschoben, Cohen ist wieder weiser geworden.
Behände legen sich die Streicher in die herzerweichend schöne Klavierballade Treaty, adressiert an die Liebe – ob nun Gott oder eine Frau bleibt offen. Womit sich die Nummer auch unmittelbar in den Kanon klassischer Cohen-Mysterien einreiht. Überhaupt ist diese Verbundenheit mit der eigenen Geschichte symptomatisch für You Want it Darker, das immer wieder den Abschluss mit inneren und äußeren Konflikten behandelt – und sei es nur, indem man ihnen aus dem Weg geht. „Let’s keep it on the level/ When I walked away from you/ I turned my back on the devil/Turned my back on the angel, too“ sinniert Cohen in On the Level, dass unverkennbar die Handschrift von Sharon Robinson trägt, indem Cohens Langzeitkollaborateurin die Gitarren dezenten Rock andeuten lässt, ihre eigene Stimme und den Sprechsang des Altmeisters dann aber in weich-beschwingte Soul-Gospel-Schwaden legt.
I’m leaving the table/ I’m out of the game/…/ You don’t need a lawyer/ I’m not making a claim/ You don’t need to surrender/ I’m not taking aim“ hat Cohen auch in Leaving the Table kein Interesse mehr an alten Streitereien; die melancholische Pedal Steel Gitarre von Bill Bottrell schmiegt sich an das behände Besenschlagzeug und die irgendwo im Hintergrund keimenden Streicher.
Wie großartig und atmosphärisch Patrick Cohen es mittlerweile versteht, seinen Vater produktionstechnisch in Szene zu setzen, ist zu diesem Zeitpunkt mit dem endlich wieder angenehm organischen Sound längst in Fleisch und Blut übergegangen. Wie angenehm und beruhigend derart ergreifende Elegien doch klingen können, mindestens ebenso.

In Traveling Light tänzeln dann die griechische Bouzouki und gedrückte „Lalalalas“ um den still pochenden Electro-Beat und das Andenken von Marianne, leichtfüßig schleicht sich die Gänsehaut an: „I’m traveling light, it’s au revoir/ My once so bright, my fallen star/ I’m running late, they’ll close the bar/ I used to play one mean guitar/ I guess I’m just somebody who/ Has given up on the me and you/…/ Good night, good night, my fallen star/…/I’m just a fool, a dreamer who/ Forgot to dream of the me and you/ I’m not alone, I’ve met a few„.
Es ist eben auch eine fast schon nonchalant verbreitete Wärme, die You Want it Darker nicht nur in seinen romantischsten Momenten hinterlässt: Das zurückgenommen bluesig seinem Schlagzeugrhythmus nachklimpernde If I Didn’t Have Your Love zeichnet etwa eine trostlose Welt ohne die Liebe ab und nimmt gerade dadurch in den Arm, das mit aufgeweckten countryesken Streicher-Arrangements seinen ruhigen Schimmer lockernde Steer Your Way schließt wie viele andere Songs hier langjährige Entwicklungsphasen ab.
Und ganz am Ende spannt Cohen mit String Reprise / Treaty dann auch noch den Bogen zurück innerhalb dieser unheimlich kurzweiligen, aber so reichhaltig belohnenden, kohärent geschlossenen Songsammlung. Lässt über weite Teile instrumentale Streicherschönheiten ohne die Trademarkstimme für sich stehen, behält sich letztendlich aber doch die letzten Worte vor: „I wish there was a treaty we could sign/ It’s over now, the water and the wine/ We were broken then but now we’re borderline/ And I wish there was a treaty, I wish there was a treaty between your love and mine„.

Spätestens hier fühlt sich You Want it Darker wohl tatsächlich wie der Epilog einer unsterblichen Karriere an. Dass Cohen selbst es vielleicht aber gar nicht so eilig haben könnte, wie man nach diesen wohligen, tröstenden, gemütlichen 37 Minuten meinen möchte, ist letztendlich doch gut zu wissen. „I said I was ready to die recently. I think I was exaggerating. One is given to self-dramatization from time to time. I intend to live forever.“ erklärte der Charmeur unlängst mit verschmitztem Lächeln.
So würdig You Want it Darker als abschließendes Album seines beispiellosen Schaffens schließlich auch wäre – schöner ist freilich die Hoffnung, dass das vielleicht beste Werk (des in den vergangenen vier Jahren ohnedies erstaunlich produktiven) Cohen in diesem Jahrhundert ihm gerade erst Lust auf noch Mehr beschert hat.

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