Morrissey – Low in High School

von am 25. November 2017 in Album

Morrissey – Low in High School

Dass Morrissey aktuell mal wieder vor allem durch kontroverse Meldungen auf sich aufmerksam zu machen versucht, kommt nicht von irgendwoher: Sein elftes Studioalbum Low in High School ist schließlich weitaus weniger Aufregung wert, als so mache geschickt inszenierte Provokation – macht hinter dem geschwungenen Holzhammer allerdings dann doch wieder merklich mehr richtig, als das zutiefst enttäuschende World Peace is None of Your Business.

Abseits all der publicityförderlichen Aktionen rund um kältebedingte Konzertabsagen, skurrile Feiertage, kulturantropologische Analysen oder zumindest provokant-ambivalenten Positionierungen macht Morrissey auf Low in High School für die Kurskorrektur in der Qualitätskontrolle jedoch weitestgehend dort weiter, wo sich der ehemalige The Smiths-Frontmann 2014 noch arg vertändelt hatte.
Schon das (erstmals seit 1995 ohne der Mozzer selbst auskommende) Artwork ächzt mit dem frech vor dem Buckingham Palace lungernden Axt-Demonstranten unter einer banalen Offensichtlichkeit, während die Trackliste alleine Low in High School mit seinem scheinbar am typisierten Namegenerator konstruierten Plattitüden-Songtitel vorab die Adlung als „the most Morrissey thing ever“ einbrachte. Die Produktion pflegt sich wiederum wie schon auf World Peace is None of Your Business in eine elaborierte Üppigkeit voller Pauken, Trompen oder divenhafter Streicher der voluminösen Orchesterarrangements zu legen, und die generischen Texte der Platte reiben sich einmal mehr vor allem an gewohnten, mittlerweile längst bis zur Ermüdung erschöpften Schlagworten (rund um Themengebiete wie latenten Narzismus, Auflehnung gegen Obrigkeiten oder verschwörungstheorienfreundlichem Wutbürgertum).

Das stilistisch zwar eklektische, nichtsdestotrotz abwechslungsreich auftretende Low in High School hat diesmal allerdings doch Qualitäten, um diese vorhersehbare Gratwanderung an der Grenze zwischen willkommener Trademarkpflege der Marke Morrissey und ihrer selbstkarrikierender Persiflage musikalisch weitestgehend mit Substanz zu füllen.
Die Melodien gelingen schließlich wieder griffiger, die Hooks nachhaltiger, man hat mehr Spaß am erfrischenden Transport bewährter Manierismen. Morrissey macht dafür meist keinen Unterschied mehr zwischen Strophen und Refrains, wandelt mit der ihm eigenen Grandezza durch Songs, die phasenweise sogar in Aussicht stellen, zumindest einem Years of Refusal ansatzweise auf Augenhöhe begegnen zu können.
Das dramatisch stampfende My Love, I’d Do Anything for You röhrt etwa gleich eingangs munter ansteckend, versteckt seine elektrischen Gitarren jedoch zumeist hinter der pompösen Arrangements. I Wish You Lonely schiebt wavelastig brutzelnd und perlt bestimmt. Jacky’s Only Happy When She’s Up on the Stage stackst launig zu seinem hemmungslosem Finale, bevor die kecke (eigentlich paradoxe) Medienschelte Spent the Day in Bed nonchalant klimpert und Home Is a Question Mark beinahe in You Are the Quarry‚esker Emotionalität schwelgt, um danach immer deutlicher in seinem schwülstigen Instrumentarium zu baden.
Low in High School flaniert gerade in seiner Eingangsphase erfreulich catchy und schließt eine rundum kurzweilig-unterhaltsame erste Plattenhälfte großspurig mit dem supertheatralischen I Bury the Living ab, in dem Morrissey erst lange braucht, um in Gang zu kommen, dann zwielichtig antaucht und immer dringlicher in eine chorgestützte Soldatenbeschwörung verfällt, die fiebrig skandiert: „No, no, no, no, no, no/ You can’t blame me/ After all, I’m just honour, mad, cannon fodder„. Am Ende steht eine unausgegoren an der Schwelle zur genialen Miniaturoper versandete Glanztat mitsamt zwanglos plätscherndem Gitarren-Appendix, Falsettstimme und irrem Lachen – durchaus symptomatisch für den weiteren Verlauf einer Platte, die zunehmend an pointierter Stringenz zu verlieren droht.

Das nachdenkliche Politikum In Your Lap führt ein allgemeines – mal stärker, mal schwächer auftretendes – Dilemma der Platte vor: Morrissey verlässt sich nicht gänzlich zu Unrecht auf seine magische Stimme, ein melancholisches Klavier sowie eine romantisierende Catchphrase  („They tried to wipe us clean off the map/ And I just want my face in your lap/ I just want my face in your lap„), neigt jedoch dazu zu lamentiert, ohne mit der Show wirklich zu zünden oder zu berühren. Er lässt das theoretische Gewicht der Texte als schwülstiger Kitsch und Pathos ein wenig zur leeren Geste werden, verliert sich im gefälligen Wohlklang.
Grundsätzlich hat man deswegen auf Low in High School oft den Eindruck, als würde Morrissey zu selten wirklich zum definitiven Punkt kommen und die Dinge stattdessen genügsam vor sich herschieben. Er stellt alte Stärken in Aussicht, doch die vielversprechenden Ideen entwicklen sich abseits eines installieren Momentums nur unzureichend, suhlen sich in einer Idee und sind deswegen zwar nett zu hören, aber auf den letzten Metern einfach nicht bedingungslos zwingend oder erfüllend.

Das larmoyante The Girl from Tel-Aviv Who Wouldn’t Kneel taucht die Dynamik insofer als locker frankophiler Tango an, bleibt aber alleine über seine auffällige Soundästhetik spannend. Der moderne Gospel All the Young People Must Fall in Love klatscht sich so entspannt wie entwicklungsresistent zu einer Fingerübung, die Elbow wohl nie derart frohlockend in die Hüften gehen lassen würden. When You Open Your Legs verirrt sich aus der irritierend bemühten spanischen Stierkampfarena in den harmlosen Fernsehgartenmit Morricone-Veraschiedung. Who Will Protect Us from the Police? stellt sich als knackiger Rock mit elektronischer Industrial-Kante vor, mäandert aber ohne Biss zu seinem feierlichen Abgang, der direkt zur vor Inbrunst vibrierenden Schmacht Israel funkelt. Balladeske Größe ohne überwältigende Gefühle.
Totalausfälle sind das zwar allesamt nicht – bestenfalls sogar das Gegenteil. Aber nichtsdestotrotz hängt das Bewusstsein, dass mit dem Ausgangsmaterial noch mehr möglich gewesen wäre, dann doch wie eine den Gesamteindruck trübende Wolke über dem Album. Letztendlich bewegt sich Low in High School damit im gesunden Mittelfeld der Mozzer’schen Discografie, stellt im großen und Ganzen zufrieden, ohne zu begeistern oder tatsächlich zu frustrieren.
Im Grunde ist es aber ohnedies der wohl größte Triumph, das hiervon nicht nur bereits jetzt mehr hängen bleibt, als vom direkten Vorgänger. Sondern vielmehr, dass die musikalische Seite von Low in High School auf lange Sicht wohl auch all das unnötige Brimborium rund um die Veröffentlichung der Platte überdauern wird.

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