The Dillinger Escape Plan – Dissociation

von am 1. November 2016 in Album

The Dillinger Escape Plan – Dissociation

The Dillinger Escape Plan und ihr finaler Schwanengesang: Dissociation fasst noch ein letztes Mal adäquat zusammen, warum die Mathcore-Erfinder um Ben Weinman Ihre Platz in der Metal-Geschichte sicher haben – aber auch, warum nun dennoch der perfekte Zeitpunkt für den Schlussstrich ist.

Immer wieder führt das anachronistisch aus allen Phasen der genresprengenden Band aus New Jersey gespeisten Abschiedswerk Dissociation vor, dass sich hiermit auch ein Kreis schließt: Low Feels Blvd hangelt sich schwindelerregend an einem exaltierten Fusions-Solo entlang, Wanting Not So Much to as To sprengt die Grenzen zwischen tollwütigen Hardcore und jazzigem Irrsinn in bester [amazon_link id=“B00001SVM6″ target=“_blank“ ]Calculating Infinity[/amazon_link]-Manier – ambienter Spoken Word Passage inklusive – und auch das grandiose Honeysuckle erinnert mit seinem Oldschool-Flair im nervös aufgekratzten Gitarrensound unermüdlich an das bahnbrechende Debütalbum von The Dillinger Escape Plan.
Limerent Death wiederum geht unmittelbar in die Vollen, frickelt vertrackt und chaotisch komplex, ist ein Dillinger-Parade Track als würdige erste Single und richtungsweisender Opener. Spätestens wenn der malmende Hardcore Bass das Finale der Nummer in ein randalierend-explodierendes Nadelöhr treibt ist dann auch [amazon_link id=“B00006BXJY“ target=“_blank“ ]Irony is a Dead Scene[/amazon_link] nicht weit – wo ein Surrogate übrigens passend dazu ohnedies auch als manischer Fiebertraum von ihrem alten Spezi Mike Patton durchgehen könnte.

Fugue operiert seinen Mathcore in dieser Schlagseite dann auch demonstrativ aus der Elektro-Gemetzel-Perspektive in bester Aphex Twin-Tradition, verfremdet seine hyperaktive Drumarbeit mit hibbeligen Effekten – dass Ben Weinman eine starke Affinität zu EDM-Momenten hat, weiß man ja nicht erst seit[amazon_link id=“B000VL9XE2″ target=“_blank“ ] Ire Works[/amazon_link]. Auch nicht, dass The Dillinger Escape Plan sehr wohl für His gut sein können: Symptom of Terminal Illness präsentiert sich atmosphärisch, melodisch und zugänglich, mit Geduld stürzt sich der Song anhand unmittelbar nachvollziehbarere, konventionellere Strukturen in einen hymnischen Refrain und ist damit quasi die Dillinger-Steilvorlage für Giraffe Tongue Orchester – sowie eine gemäßigtere Version der relativen Schmissigkeit, die auf [amazon_link id=“B00029J24O“ target=“_blank“ ]Miss Machine[/amazon_link] mit Setting Fire to Sleeping Giants Zugang in den Bandkosmos fand.

Dissociation grast also wie bereits seine beiden Vorgänger vor allem viel bekanntes Land ab. Weswegen auch die Erkenntnis nahe liegt: The Dillinger Escape Plan selbst haben in Anbetracht des angekündigten Rückzugs auf Raten wohl erkannt, dass sie ihre musikalischen Grenzen längst ausgelotet haben; dass zwar niemand Ihnen das Wasser reichen kann, aber unzählige Da Capos dennoch keinem etwas nützen – und dass sie all die eigenen Stärken wohl ohnedies kaum funkensprühender zusammenfassen können, als mit Dissociation. Im Gegensatz zu den phasenweise redundant die eigene Klasse abrufenden Glanztaten [amazon_link id=“B0036APQ2S“ target=“_blank“ ]Option Paralysis[/amazon_link] und One of Us is the Killer zünden die Charakteristika der Band auf Dissociation nämlich wieder stärker, sorgen packendere Kniffe für individuellere Highlights, wodurch das sechste Studioalbum der Band gleichzeitig erfrischend rückwärtsgewandt und mit einer inspirierten Energie seine altbekannten Trademarks abruft und nicht nur Puciato so mit agressiven feuer unterm Hintern zu einer angepisst-variablen Dringlichkeit pusht. Es spricht für sich, dass die Band erstmals wieder deutlich mehr Songs in petto gehabt hätte, als auf dem veröffentlichten Werk gelandet sind.
Dazu kommt: Ganz zuletzt erweitern The Dillinger Escape Plan ihr Repertoire dann doch noch ansatzweise, indem sie sich in eine gewisse Versöhnlichkeit stürzen, einen verhältnismäßigen Wohlklang zulassen und sich nicht ohne Sentimentalitäten verabschieden: Nothing to Forget kippt irgendwann in eine von Streichern begleiteten Schöngeistigkeit, bevor der knapp zehn Jahre alte Titeltrack Dissociation vollends auf ein pluckerndes Electro-Rhythmusgerüst und elegische, fernöstlich ausschweifende Streicherarrangements gebaut ist, zu dem Puciato sich mit fragiler Grandezza schmachtet. Diesen Flirt mit dem Pathos gesteht man der Band nur zu gerne zu – er passt, nicht nur wegen der Träne im Knopfloch.

Dissociation ist spätestens hier auch das vielleicht erste Album der Band, bei dem man angesichts seines finalen Charakters, seiner Position am Ende der Geschichte dieser Ausnahmeband insgeheim zu einer dezenten Verklärung neigt: Es ist wohl nicht das beste Werk von Weinman, Puciato, Wilson, Rymer und Antreassian – es ist jedoch abermals ein furioses, das mit seinem eklektischen Wesen (freilich nur auf die bandeigenen Referenzpunkte bezogen – alles andere würde zu kurz greifen!) effektiver umgeht als seine Vorgänger, und als Zusammenfassung der Tugenden wohl gerade dadurch die perfekte Zäsur darstellt, indem es noch einmal alle stärken der Band zum Schaulaufen ins Rampenlicht schickt. Und vielleicht geschieht dieser Schlussstrich auch genau zum richtigen Moment, bevor sich Routine bei The Dillinger Escape Plan eingeschlichen hätte.
Dennoch: Man wird sich nicht primär wegen dieser Platte an The Dillinger Escape Plan erinnern, sondern wegen einer makellosen Gesamtdiscografie, die unerreicht bleibend unzählige Epigonen hervorgebracht hat – und wahnsinnige Liveshows, die ihresgleichen suchen. Die Chance die Songs von Dissociation  auf diesen in den kommenden knapp zwei Jahren um die Ohren geballert zu bekommen ist wahrscheinlich das schönste Geschenk.

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