Thou – Heathen

von am 20. März 2014 in Album, Heavy Rotation

Thou – Heathen

Kein Album, keine EP, noch nicht einmal eine Split-Single: 2013 war es verdächtig ruhig um die notorischen Dauerveröffentlicher aus Baton Rouge geworden. Im Nachhinein nur logisch, und die Ruhe vor dem nun entfesselten Orkan: ein markerschütterndes Monstrum wie ‚Heathen‚ braucht eben seine Vorlaufzeit.

Dass die freigiebigen Thou im vergangenen Jahr erstmals seit 2007 den Markt mit keinen gefühlten drölfzig Platten überschwemmten, holt das Quintett nun nicht nur mit ausführlich zurückblickenden Compilations und bereits angekündigten übriggebliebenen Sessionmaterial und Splitsingles nach, sondern macht etwaige Entbehrungen bereits auf ihrem so oft nach hinten verschobenen (bereits im Jänner 2013 aufgenommenen) vierten Studioalbum alleine in spieltechnischer Hinsicht wett: ‚Heathen‚ ist Thou’s bisher ausführlichster Brocken, der auf annähernd 75 schmerzhaften Minuten die Essenz all dessen konzentriert, was die Band aus New Orleans seit ihrer Gründung 2005 zu einer beängstigend makellos agierenden Macht an der Schwelle von Doom und Sludge hat werden lassen, in seiner Unumstößlichkeit eine ähnlich niederschmetternde Aura des Ultimativen und Monolithischen ausstrahlt, wie das Celeste Opus Magnum ‚Animale(s)‚ tat. Mit dem eklatanten Unterschied, dass Thou ihren Trademarksound zwar wieder lichtscheuer als auf der 2010er Dunkelkammer ‚Summit‚ spielen, in dem Meer aus sich suizidal schleppenden Rhythmen und tiefdröhnenden Lava-Riffs aber Spektren-erweiternde Nuancen einweben, sich auf ‚Heathen‚ in Bewährtes vertiefen und gleichzeitig auf einem breiteres Fundament bauen.

Bereits das eröffnende ‚Free Will‚, in dem Thou sich 14Minuten Zeit, aber keine Gefangenen nehmen, sorgt für klare Verhältnisse: aus dem Feedbacknebel erheben sich schwerfällige, dunkle Doom-Gitarren, rühren mit martialischen Drums eine klaustrophobische Dichte in beklemmend intensiver Schwere an. Bryan Funck keift wie ein Besessener aus der abgeriegelten Hexenküche, um den finsteren Horrorwald herum schleppt sich der Malstrom immer unnachgiebiger als munterer Kadaver. Wenn Thou den Song zur Mitte absterben lassen und neu antauchen, klingt endgültig jeder Schlagzeughieb, jedes Riff, jedes Gebell an den Existentialismus, als würde die Band gnadenlos Nägel in das Kreuz aus Nihilismus und Exzessivität treiben.
Thou spielen ihren Sludge so massiv, gnadenklos und intensiv, dass er zur auserkörperlichen Erfahrung wird, zur ‚Ode to Physical Pain‚: ‚Heathen‚ ist Kasteiung und Selbstgeißelung, pure Katharsis ohne Aussicht auf Erlösung. Wer da Monotonie vernimmt, hat nicht genau genug hingehört: ‚Feral Faun‚ hämmert abwartend und platzt unvermittelt als Eiterblase aus Noise, Drone und scharfkantig wuchtiger Misanthropie auf, die Gitarren quietschen immer wieder tollwütig Richtung Metal hervor. ‚At the Foot of Mt. Driskill‚ ist pure Zeitlupenboshaftigkeit, die mit hirnwütiger Gelassenheit den Finger auf die offene Wunde aus Funeral Doom und Post Metal drückt, während ‚In Defiance of the Sages‚ seine Verstärker um ein bombastisches Riff aufbaut, für dass die Melvins ihre eigenen Kinder fressen würden.

Wo Thou bisher aber nur zu gerne ausnahmslos mit kompromissloser Strenge züchtigten, balancieren sie ihr Schaffen diesmal ausgeglichener mit umso verstörenderen Erholungsphasen aus. ‚Dawn‚ ist so eine dringend nötige instrumentale Atempause, ein tiefdröhnendes Gitarrengeplänkel, das an die Akustikintros des letzten Pallbearer-Geniestreichs ‚Sorrow and Extinction‚ gemahnt. Auch ‚Into the Marshland‚ artikuliert die selbe hymnische Doom-Herrlichkeit wie die Band aus Little Rock, freilich nicht am Silbertablett serviert, sondern mit rostigen Klingen unter die Haut gekratzt, und packt dazu auf den letzten Metern eine Riffkaskade aus, die einem den Boden unter den Füßen wegrockt.
Take off Your Skin and Dance in Your Bones‚ ist ungeachtet seines brutalen Titels ein verstörendes Ambient-Durchschnaufen, das daruf folgende ‚Immorality Dictates‚ köchelt erst unheilvoll vor sich her, reißt danach Abgründe auf, die weiter unter die Haut kriechen als alle frontale Brutalität: Gastsängerin Emily McWilliams zaubert geisterhafte Landschaften im Stil von Marissa Nadler’s July oder Grouper’s stets so unwirklich gedeihenden, zeitlose Traumwelten, bevor ein giftig greinender Bryan Funck mit seiner  bestialischen Band in das aufkeimende Wohlgefühl der trügerischen melodiösen Schönheit bricht und Thou die Antithese zum romantischen Duet formulieren.
So muss es sich anfühlen im taumelnden Endorphinrausch und belohnenden Triumpfgefühl eine vermeintliche Bergspitze zu erklimmen, nur um festzustellen, dass der härteste Teil noch vor einem liegt. Thou schenken einem nichts, weniger denn je.  ‚Heathen‚ ist ein Massiv von erschlagender Wucht, ein Manifest.

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