Alcest – Shelter

von am 8. Januar 2014 in Album

Alcest – Shelter

I don’t think there are any metal music elements in Alcest anymore“ kündigte Matermind Stéphane „Neige“ Paut bereits Mitte des Vorjahres endgültige Paradigmenwechsel in der Ausrichtung der französischen Metalmacht an und lässt mit ‚Shelter‚ nun gravierende Taten folgen: das vierte Album seiner Band ist lupenreiner, verträumter, wunderschöner Shoegaze-Postrock-Dreampop für das Jahr nach ‚Sunbather‚ und ‚m b v‚.

Für den allerorts durch die Decke gehenden Gamechanger seiner Kumpanen von Deafheaven steuerte Neige noch die Spoken Word Passagen in ‚Please Remember‚ bei – näher ran an den klassischen Grundgerüste des Black Metal wie rasende Blastbeats und infernales Gekeife werden er und Partner Winterhalter wohl auf absehbare Zeit dem Genre, dessen Grenzen Alcest immer schon zu eng gesteckt waren, wohl auch nicht mehr kommen. Für ‚Shelter‘ ist das französische Duo nach Island gereist, hat in Sigur Ròs’ bandeigenem Sundlaugin Studio mit Intimus Birgir Jón Birgisson aufgenommen, und für das elegisch zwischen Streicherbetten und Gitarrenperlen treibende ‚AwaySlowdive’s Neil Halstead als Sänger gewonnen. Zwei Pole, zwischen denen ‚Shelter‚ nun behände seine Fäden spinnt, weit ausholende Delay- und Reverb-Gitarren triumphierend und verhalten jubilieren und die glasklarsten Melodien in der Geschichte von Alcest endorphinreich in den Sonnenschein schweben lässt.

Shelter‚ ist in seiner Konsequenz ein sich seit jeher abzeichnender, aber letztendlich doch überraschend lückenloser Umbruch im Schaffen von Alcest. ‚Wings‘ ebnet den Weg für das mit geschlossenen Augen drehende ‚Opale‚ beinahe aus Ethno-Enya Gefilden auftauchend, und letztendlich spielt die Band hier aber ihre eigene Form von Dreampop, so schwelgend, ausladend und friedfertig wie möglich. Vor weit ausgebreiteten Gitarren tröpfelt die Melodie der Leadgitarre unermüdlich in der Auslage, einem gängigen Muster das auch ‚La Nuit Marche Avec Moi‚ aufnimmt. Wie innig sich Alcest diesmal dem reinen Wohlklang und der bedingungslosen Reibungslosigkeit hingeben, das balanciert immer wieder fragil an der Grenze zur allzu versöhnlichen Schönheit, weswegen ‚Shelter‚ vor allem beiläufig konsumiert nur zu gerne in die anmutig strahlende Beliebigkeit, in eine erhabene Langweweile abzudriften scheint, obwohl die Band wie im hymnenhaft ausbrechenden Schlußpart von ‚Voix Sereines‚ stets wohldosierte Akzente setzt: anstatt Zähne zu zeigen verdichten Alcest nun eben, lassen die Dinge anschwellen und bedeutungsschwanger aufladen. Mit der nötigen Aufmerksamkeit nimmt die zeit- und raumlose Atmosphäre der Platte hingegen liebevoll gefangen, umspült als gleißendes akustisches – Deafheaven in aller Ehren – Sonnebad sondergleichen: die bisher stets aufkeimende Dunkelheit auf ihren Platten haben Alcest eliminiert, den Balanceakt kippen lassen und sich damit auch einiger Alleinstellungsmerkmale beraubt um ihrem Schaffen die nächste – in Wahrheit so notwendige! – Initialzündung zu geben.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ‚Souvenirs d’un autre monde‚, ‚Écailles de Lune‚ und ‚Les Voyages de l’Âme‚ erschließt ‚Shelter‚ kein Neuland, indem es seine Zutaten auf ein neues Level hebt, sondern sich damit begnügt inmitten der neu gewichteten Einflüsse zu triumphieren – meisterhaft ohne Frage, aber eben auch etwas bequem, weil oftmals näher dran am Tribut als an der Vorreiterrolle, die Alcest seit jeher beansprucht haben (und deren Früchte man sich mit dieser Platte beinahe paradox direkt zu ernten verwehren zu schiene, wären die Grenzen zum Black Metal unlängst nicht dem Massenmarkt auf bisher ungekannte Weise geöffnet worden – womit Alcest der Zeit vielleicht ja wieder einmal schlichtweg voraus sind?!). Wie grandios dieser Zwiespalt zwischen Fortschritt und scheitern (darf man das so überhaupt sagen, wenn ohnedies alle Erwartungshaltungen untertunnelt werden?) dennoch gelingen kann, führt der abschließende, zehnminütige Engelsgesang ‚Délivrance‚ in aller Pracht und Ambivalenz vor: Winterhalter stapft ohne Eile elegant dahin, die Streicher beginnen sich leise über die Gitarrenspuren zu breiten, die Chöre erheben sich monumental und grazil, tragen die Melodie an- und abschwellend in ein verträumtes Wolkenmeer in den Himmel: das ist beinahe mehr Sigur Ròs als Alcest – und trotzdem das ideale Finale für diese 45 minütige Traumlandschaft. Ein bisschen ist das glückselige ‚Shelter‚ wie Schokolade zu essen.

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