All Diese Gewalt – Welt in Klammern

von am 10. September 2016 in Album

All Diese Gewalt – Welt in Klammern

Diese Welt in Klammern stülpt eine verführerische Blase über den Alltag und setzt Referenzwerte: Tausendsassa Max Rieger hebt den nebulösen Drone Pop von All diese Gewalt fulminant auf das nächste Level.

Das Ausrufezeichen im Bandnamen ist längst verschwunden. Dafür wächst All diese Gewalt an allen anderen Fronten umso deutlicher. Seit Rieger mit Kein Punkt wird mehr fixiert 2014 schon so verdammt vielversprechend bewiesen hat, dass er postpunkige Nuancen auch anders kann, als mit der herrlich räudigen Noise-Kante von Die Nerven – nämlich sphärischer, flächiger, weniger knackig, aber deswegen kaum weniger intensiv – ist All diese Gewalt von Treibender Teppich Records zu Staatsakt gewandert, wichtiger aber noch: Rieger hat die rohe Mehrspur-Produktion von damals sorgfältig gedeihen lassen, alle vorhandenen Ansätze weiterentwickelt und etwaig aufgestauten Druck mit superben Interims-Schnellschüssen abgebaut. 2 Jahre hat er so unablässig an Welt in Klammern getüftelt, gebastelt und geschraubt, um die 200 Spuren pro Song aufgetürmt, erklärt der Stuttgarter Allrounder.

Das wirklich faszinierende daran: Man hört den zehn Stücken diese immense Sorgfalt natürlich zu jeder Sekunde an – es fühlt sich subjektiv nur nie so an, als wäre hier mit einer derartigen Akribie unter dem Elektronenmikroskop gearbeitet worden. Viel eher fließt auf Welt in Klammern alles so natürlich, scheinbar so unangestrengt ineinander. Jedes Element, jede Facette der Platte greift in inniger Symbiose miteinander verwachsen so natürlich über, setzt eben tatsächlich eine Klammer um seine eigene Welt und entfaltet sich wie ein entschleunigter Traum abseits der Realität.
Das liegt zum einen daran, dass Rieger hiermit seine Meisterprüfung als Produzent abliefert, indem er erstmals formvollendet diese ihm eigene unwirkliche Atmosphäre beschwört, seine Platte wie einen niemals ganz greifbaren Rausch klingen lässt, der soundtechnisch fast schon genialistisch vielschichtig seinesgleichen sucht und Rieger wohl endgültig als Go To Guy etabliert, wenn es darum geht, Songs mit einer hypnotisch fesselnden Abgründigkeit und detaillierten Tiefgründigkeit auszustatten.
(Dass sich eine Kooperation zwischen ihm und Pop-Anschronist Drangsal anzubahnen scheint, darf man insofern durchaus als eine der Nachrichten des Jahres werten. Kaum auszumalen, wohin sich diese beiden mit ihren jeweiligen Stärken gegenseitig pushen könnten).

Dass sich der Sound von Welt in Klammern, die charismatische Ausstrahlung und Anziehungskraft sich in der Wahrnehmung nach vorne drängen, verstellt auf lange Sicht nur augenscheinlich den Blick auf das Wesentliche. All dieses produktionstechnische Schaulaufen wären schließlich wenig wert, wenn die Kompositionen darunter diesem nicht gewachsen wären. Rieger hält jedoch alle Fäden in der Hand und geht einen Schritt weiter: Das Songwriting ist untrennbar mit der Inszenierung verbunden, die eine Achse gedeiht synergetisch an der anderen.
Durch diese Welt in Klammern wandelt man deswegen immer wie ein neugieriges Kind. Es gibt soviel es zu entdecken, so viele Überraschungen und Wendungen, so viele Momente, in die man sich hoffnungslos verlieren kann: Wenn etwa Wie es geht aus dem Field Recordings-Beginn in einen zwielichtig groovenden Tranceakt verfällt, irgendwann die polternden Schlagzeugarbeit und das fiese Gitarrenriff hereingleiten lässt und sich Rieger exzessiv von dem Schwall davontragen lässt; Maria in Blau schließt die Augen, dekliniert ruhig pulsierend seine Rhythmusarbeit vom abgedämpfeten Pad bis zur zurückgenommenen Percussion durch, und reklamiert trotz seiner Unaufgeregtheit dennoch eine ätherische Hitqualität;
Jeder Traum eine Falle wiederum schickt sich erst an in den Gefilden von OM zu dösen, implementiert dann retrofuturistische Synthies und kippt von der Ballade kurzerhand auf sinister ausgeleuchtete Tanzflächen. Diese sorgsam verwobene Unberechenbarkeit durchzieht Welt in Klammern auch in weiterer Folge, und dennoch ist das Ergebnis stets mehr als die Summe der Teile. Es flimmert oszillierend (Laut denken), perlt jazzig (Morgen alles neu) erinnert an die dystopischen Klangwelten von Geoff Barrow ((Ohne Titel)) und assimiliert scheinbar mühelos Spuren von Krautrock, Ambient, Drone und Elektronic-Versatzstücke.
All diese Gewalt vermisst dabei stets die Spannweite von der Schönheit der Melancholie zur narkotisierten Depression. Das ist eingängig, ohne offensichtlich zu machen warum. Über allem hängt der Schleier einer entrückten Elegie, einer unterschwellig eigentlich so aufgekratzt brodelnden Lethargie. Diese zehn kaleidoskopartigen Metarmorphose funktionieren deswegen an ihrem so homogen geschlossenen Stück konsumiert auch am besten und entfalten ihre einnehmende Wirkung als stille Grower mit jedem Durchgang eindringlicher. Am Ende steht eine Platte wie ein verwunschener Zufluchtsort.

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