Amer – Unverheilt

von am 16. Januar 2020 in EP

Amer – Unverheilt

Drei Jahre nach der Split-Ep mit Discure vermengen Amer ihren atmosphärischen Sludge und gestandenen Post Metal auch auf Unverheilt über die Lehren der Genre-Größen mit der Essenz von Bands wie Yage, frühen Pianos Become the Teeth oder Inkasso Moskau.

Selbst wen erst der Auftritt im Vorprogramm der zurückgekehrten Cave In im vergangenen Jahr auf den Mahlstrom von Amer aufmerksam machen konnte, der hatte gefühlt eine zu Wartezeit auf neues Material abzusitzen. Zumindest spannt das Quintett nun nicht lange auf die Folter und kommt auf Unverheilt ohne exaltierte Vorlaufzeit zur Sache.
Zerknirscht zeigt sich zielstrebig, geht mit malmenden Bässen, drängelnden Gitarrenlinien und einem kompromisslos nach vorne federnd orientierte Schlagzeug den Weg vom (beinahe) straighten Punk und Hardcore mit viel Hunger und Energie über den flimmernden Post-Rock zum Metal mit ebensolchen Präfix. Die attackierenden Vocals scheinen im Sound vielleicht eine Spur zu weit nach vorne gestellt, die Gitarren gerade in den epischen Passagen zu dezent hinter die Rhythmussektion platziert – doch es ist auch diese zwischen den Zeilen näher am muskulös inszenierten Screamo akzentuierte Inszenierung der drückenden Post Metal-Melange, die Amer nicht nur eine eigene Handschrift gibt, sondern zudem neue Entwicklungen zeigt.

Unverheilt klingt im direkten Vergleich zu …eins… generell ganzheitlicher, bietet seine Melodien weniger klar kontrastiert an und bindet mit enger gestellten Schrauben am dynamischen Gefüge eher ein überraschend hartnäckig hängen bleibendes Momentum ein, das trotz struktureller Umwege eingängig nachwirkt. Amer agieren nun noch selbstbewusster, sicherer und bestimmter, sie halten die Zügel enger.
Geduldsfaden groovt in dieser bedrohlichen Veranlagung beinahe bouncend und nackenmuskulaturenschleifend, positioniert sich mit beängstigenden Unterwerfungsgesten und hat einen Finalpart mit Kerosin-Garantie. Die Kombination des sportlich fauchenden, klar gepressten und auch in den dickflüssigsten Szenen stets emotional wendig bleibenden Gebrülls mit der an sich massigen Substanz der Musik sorgt für nuancierte Kontraste, doch sobald sich die Nummer melancholischer zurücknimmt, ruhig durchatmet, zeigt die Band ihre tatsächliche Größe, das in dieser kontemplativeren Ausrichtung reichhaltiger texturierte Spektrum – und hätte den rein instrumentalen Passagen in Geduldsfaden durchaus noch mehr Raum geben dürfen, die Spannungsbögen generell noch ausführlicher schwelgen lassen können.

Eine packende Kompaktheit zu favorisieren tut der Direktheit freilich wiederum auch keinen Abbruch. Zumal Unverheilt nach zwei starken Nummern ohnedies noch eine Stufe höher schaltet.
Das überragende Verbaut ist eine majestätische Machtdemonstration in Sachen böser Mechanik, innerlich unruhig und kaum domestizierbar, jedoch geduldig und ausgeglichen. Amer bringen plättende Schwere und imaginative Weitläufigkeit auf einen Nenner, dass die Vergleiche zu Cult of Luna kaum zu hoch gegriffen scheinen. Gerade weil die Extreme nun auch mehr Fläche zum Wachstum bekommen, die stillen Passagen mit aller Zeit der Welt auf die immanente Brutalität branden dürfen, das Wechselspiel aus Atmosphäre und Härte fulminant gelingt. Wie sehr man sich in gerade einmal viereinhalb Minuten verlieren kann verdeutlicht dann eigentlich nur, um wieviel enger die Band mittlerweile noch beieinandersteht, wie dicht das Songwriting funktioniert.
Der Leviathan Gastspiel vermisst danach nicht nur spielzeittechnisch den größten Raum, auch um von Schweden in die Tiefen von Isis zu tauchen, sondern zudem inhaltlich die weiteste Distanz, vermengt math-artiges Lauern und doomige Tendenzen mit dieser immer wieder so griffigen Hook-Affinität, bringt einen Hang zur Mutation in Rahmen, ohne die Nummer mäandern zu lassen. Der gravierendste Vorwurf, den sich Unverheilt im Ganzen nach ohne Längen oder leere Meter auskommenden, vom übergeordneten Spielfluß exzellent orchestrierten 22 Minuten gefallen lassen muß ist dann auch der, dass das versammelte Material live mutmaßlich noch einmal eine gehörige Schippe an Intensität drauflegen wird, das Tondokument alleine die imposante Wucht der Band nicht in letzter Konsequenz destillieren kann. Trotzdem wäre eine physische Veröffentlichung neben der digital wie immer dankenswerterweise sehr großzügigen Release-Weise natürlich eine absolut feine Sache.

 

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