…And You Will Know Us By The Trail Of Dead – X: The Godless Void and Other Stories

von am 28. Januar 2020 in Album

…And You Will Know Us By The Trail Of Dead – X: The Godless Void and Other Stories

Das spektakulärste an X: The Godless Void and Other Stories ist die unspektakuläre Zuverlässigkeit und qualitativ imposante Konsistenz des kongenialen Duos Conrad Keely und Jason Reece: Mehr nach …And You Will Know us By the Trail of Dead könnten die beiden zum Jubiläum und nach knapp 6 Jahren Plattenpause kaum klingen.

Eine lange Zeit, in der man die Band jedoch gar nicht notwendigerweise vermissen musste. Einerseits, weil das kompakte Lost Songs (2012 – nicht ganz zu gut gealtert, wie man es in Erinnerung hatte) und IX (2014 – dem die Zeit gerade in der zweiten Hälfte erstaunlich gut getan hat) dann bei aller Liebe nicht ganz das Verlangen auf regelmäßige Wiederkehr erweckenden Eindruck hinterließen, den man von einer Band, die in den 00er-Jahren so unheimlich viel für die musikalische Sozialisation taten, vielleicht erwartetet.Andererseits aber auch, weil Reece und mehr noch Keely ohnedies nie ganz von der Bildfläche verschwanden, während sich die Bandkollegen Jamie Miller und Autry Fullbright II mit Projekten wie Midnight Masses die lange Studio-Funkstille der Stammband vertrieben. Ironischerweise irgendwo, da Keely ja jahrelang ins Exil nach Kambodscha ging und von dort aus das in Eigenregie aufgenommene Original Machines veröffentlichte, mit Trail of Dead jedoch sporadische Tourneen unternahm, die sich etwa der chronologischen Wiedergabe der Klassiker Madonna und Source Tags & Codes widmeten und damit Wurzelsuche betrieben.

All dies hat nun das zehnte Studioalbum der mittlerweile wieder in Austin beheimateten Band beeinflusst und geformt: Miller (nun bei Vanishing Life und natürlich Bad Religion hinter dem Kit) sowie Fulbright (arbeitet derzeit als Manager von Flying Lotus und Thundercat) sind inzwischen ausgestiegen, dazu hat Keely X: The Godless Void and Other Stories (unter Mithilfe von Charles Godfrey) selbst produziert und ein Amalgam geschaffen: Die Platte will die Energie der Frühphase aufgreifen und gleichzeitig direkt an IX ansetzen, ist gewissermaßen sogar eine direkte Fusion aus der ersten Bandphase (bis spätestens The Century of Self) mit der zweiten (die eben ab bzw. nach 2009 datiert werden kann). Die Dringlichkeit und Stürmischheit von früher, diese Days of Being Wild, werden etwa greifbar, wenn der angriffslustig-rohe Quasi-Titelsong Into the Godless Void als angetriebener Punker ein so typischer Song unter Reece-Vorstand ungeschliffener und weniger ziseliert auftritt, auch wenn die Nummer kurz in eine digitalisierte Synth-Landschaft untertaucht, oder das nachdenkliche Children of the Sky sich erst als sorgsame Ballade entspannt von einer verträumten Gangart führen lässt, den Klimax aufschichtet und die Drums so sehr dem Trademark folgend wirbeln lässt, dass die Gänsehaut beinahe so wild und imposant steht wie einst.
Es gibt sogar in dieser Form erstmals seit So Divided wieder ein Intro mit dem gesprochenen Bandnamen: Das klassische The Opening Crescendo ist heroisch und beschwörend eine Verneigung vor den düsteren Momenten Hand Zimmers, steht hier im Kontext aber isolierter als entsprechende Ouvertüren der Vorgängeralben – wie auch Eyes of the Overworld als stimmungsvolle klimperndes Interlude dem Albumfluß nicht schadet, aber keineswegs essentiell Gewicht anhäuft, obwohl der Bombast und die Opulenz spätestens hier klar macht, dass Trail of Dead sich eben – aus der Tao of the Dead-Perspektive von 2011 – auch nicht gänzlich von Worlds Apart entfernt haben.

Gleichzeitig sind die kurzweiligen, auch nerdigen 51 Minuten von X: The Godless Void and Other Stories wie die Platten aus dem vorangegangenen Jahrzehnt enorm dicht gestaffelt mehr Maße und Fläche, schichten gesetzteren Pop als Prog, setzen die Akzente weniger breitgestreut räumlich und überwältigend. Mittlerweile kaum qualitative Amplituden in ihren Alben zu haben bedeutet für Trail of Dead immer noch, keine schlechten Songs schreiben zu können (nein, auch das sperriger Richtung My Bloody Valentine schielende, in schrammelnden Schüben lauernde und stampfende, den rezitierenden Spacerock findende Who Haunts the Haunter braucht nur mehr Zeit), während die Ausbrüche nach oben nicht die absolute Magie erzeugen können, die Keely und Reece gemeinsam mit Mike McCarthy am Produzentenstuhl (und großteils den alten Weggefährten Kevin Allen und Neil Busch) schufen. Was mit einem Übersong wie Blade of Wind, der seinen episch-erhebenden Refrain zum Niederknien in den Himmel schickt, nur um hinten raus im Blade Runner-Ambient zu baden, freilich einiges bedeutet.
Trotzdem klingen Trail of Dead im 26. Jahr ihres Bestehens wieder akzentuierter, artikulieren die Stärken der Band effektiver, auch weil (der zugegebenermaßen schon emotional packender gesungen habende) Keely den Sound in einer faszinierenden Melange aus düsterer Leichtigkeit und mystischen Cinematographie verortet hat.

Man kann X: The Godless Void and Other Stories insofern vorwerfen, dass Keely und Reece hier im Grunde eher Eklektizismus praktizieren, anstatt herausfordernde Ambitionen zu zeigen, dezidiert mit etablierten Standards und verdienten Formeln arbeiten – was niemals deutlicher wird, als wenn das bittersüß-nostalgische Gravity seinen wundervoll beschwingten Pathos neben zahlreichen im ganzen Albumverlauf subtil eingestreuten Selbstreferenzen zu einem herrlich augenzwinkernd-offenkundigen Eight Days of Hell-Zitat hinreißt.
Vielleicht stellt X: The Godless Void and Other Stories auch deswegen eher eine immanente Zufriedenheit – und auch Überraschung wie gut Trail of Dead ihr Handwerk immer noch beherrschen – ein, als eine tatsächliche Euphorie. Dass wirklich jeder einzelne Song hier ist ein Ohrwurm ist, der Momentum und Nachhaltigkeit beweist, ist dann aber eben auch einfach nur Klasse.

Gleich All Who Wander geht etwa nach einer kurzen Aufwärmphase so dramatisch, barock und wuchtig in die Vollen, lässt die Gitarren heulen, das Schlagzeug rotieren und das Piano klimpern, ist eher eine kaum brechen wollende Wave als eine Wall of Sound, die über ihre infektiöse Melodie mitnimmt, mitten rein in einen typisch zurückgenommen lauernde Bridge, in der sich diesmal ein Hesse-Zitat treiben lässt, lauert, die Spannungen anzieht und sich aufs Neue aufschwingt: Das ist im Grunde eine How to Trail of Dead-Lehrstunde.
Something Like This gibt sich entschleunigter, bis der imposante Refrain mächtig polternd aufdreht und hinten raus eine wehmütige Streicherelegie zu vorhersehbaren Strukturen ganz wunderbar die Nase zeigt. Don’t Look Down täuscht seine kontemplativ-pummelige Art dagegen nur an, artikuliert dann eine beschwingte Aufbruchstimmung in den Indierock, die so locker und flott die Nähe von Oasis sucht, dann aber doch lieber beinahe zum Jam loslässt: Man merkt, wieviel Spaß Keely und Reece immer noch gemeinsam haben, auch dabei, alte Sackgassen neu erkunden. Unter die auf dem Piano psychedelisch verschwimmende Ballade Gone spült sich im Hall pluckernde Elektronik, Marke Nine Inch Nails oder eben Lost City of Refuge. Die physischen Muskeln werden immer weiter anspannt, die Explosion aber hinauszögert, die Detonation der Katharsis verweigert. Das funktioniert im Kontext des Gesamtwerkes, für sich genommen fehlen dadurch aber auch das letzte zündende Quäntchen zum Genie.
Vielleicht wird X: The Godless Void and Other Stories auch wegen solcher Entscheidungen bald aus dem aktiven Teil der Wahrnehmung verschwunden sein, nur um bei jedem Wiederentdecken festzustellen, wie verdammt gut diese Platte tatsächlich ist; und eventuell fällt in dieser Vorahnung auch die abschließende Wertung (wie bereits bei den beiden Vorgängern) um eine minimale Spur zu sehr mit der Fanbrille getätigt aus. Doch spätestens wenn Through the Sunlit Door weniger wie ein epochales Finale auftritt, sondern eher wie ein offenes Versprechen, in dem Reece und Keely ihre Reise im Abspann so zielstrebig ohne Hast über den Horizon hinaus fortsetzen, zieht man diese Sicherheit insgeheim ohnedies jedem Spektakel vor.

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