Anna von Hausswolff – All Thoughts Fly

von am 27. September 2020 in Album

Anna von Hausswolff – All Thoughts Fly

Vom Park der Ungeheuer aus träumt sich Anna von Hausswolff zwei Jahre nach Dead Magic (2018) auf dem rein instrumentalen Orgel-Album All Thoughts Fly aus dem Griff der Pandemie in sphärische Ambientwelten.

The organ on All Thoughts Fly is situated in Gothenburg and is a Swedish replica of the Arp Schnitger organ in Germany. It is the largest organ tuned in Quarter-comma meantone temperament in the world. With it’s four manuals, one pedal and 54 stops, it was built as part of a ten-year research project reconstructing 17th Century North German organ building craft.“ 44 Minuten Musik alleine aus diesem anachronistischen Instrument erschaffen, aufgenommen mit Filip Leyman und der Unterstützung von Gianluca Grasselli, als Soundtrack über den Heiligen Wald und „love as a foundation for creation“, zudem ohne die ansonsten immer schon so prägend-fantastische Stimme der Schwedin – diese Ausgangslage kann schon selbst für geeichte von Hausswolff-Anhänger wie eine Herausforderung anmuten, zumindest aber wie eine sehr spezielle Nebenbaustelle im Schaffen der 34 Jährigen wirken.

Tatsächlich aber ist der Sachverhalt nun aber weitaus weniger (über)fordernder Kraftakt für den Hörer als erwartet: All Thoughts Fly ist nicht sperrig oder schwer zugänglich, kein verkopftes Avantgarde-Werk, sondern in seiner instinktiven Vertrautheit absolut bezaubernd, abholend und mitnehmend. Minimalistisch natürlich und dennoch vielschichtig, abwechslungsreich und fesselnd – die Platte funktioniert sowohl unterbewusst, als auch, wenn man sich aktiv auf sie einlässt.
Noch beeindruckender: Man vermisst die Stimme von von Hausswollff aufgrund der dabei erzeugten imaginativen Tiefenwirkung in diesem Dark Ambient-Kosmos niemals.

Theatre of Nature tastet sich mit prägnanten Motiv nach vorne, grotesk liebenswürdig und abgründig absurd irgendwo. Dahinter lebt ein Trance-Kosmos an Texturen und Spuren, sphärisch, shoegazend, hypnotische und sedativ führt Anna von Hausswolff in den Kaninchenbau, lässt zur Mitte hin alle Strukturen los, gleitet frei und entschleunigt in den Äther. Dolore di Orsini folgt seiner Melodie noch bedächtiger, ist ein vorsichtig wärmender Trostschleier, traurig, aber nicht hoffnungslos und mit dissonanten Schattierungen ausgestattet.
Sacro Bosco ist ein düster Drone, der in zwielichtigen Schüben ungemütlich in wellenförmigen Zeitlupenaufnahmen pulsiert. Irgendwann führt das sakrale instrument wie eine reinigende Lichtmesse über das Szenario – nicht gleißend, sondern behutsam wärmend. Persefone baut darauf die friedliche Brücke von Sigur Rós() durch den Weltall zu Interstellar, während Entering als vage, nebulöse Erinnerung an das einleitende Thema der Platte ein Intermezzo bietet.

Bevor das Titelstück mit viel Raum einen überwältigenden Klimax mit stellarer Katharsis verdichtet, gönnt sich die Platte etwas mehr mäandernden Müßiggang, auch die eine oder andere Länge.
Der zuversichtliche Abspann Outside the Gate (For Bruna) artikuliert danach jedoch die subversive Wirkungsweisen von All Thoughts Fly in ein Lächeln mit Tränen in den Augen, eine ergreifende, erhabene Schönheit, die auf einer zeitlosen, körperbefreiten, schlichtweg universellen Ebene nach vorne blickt und dem fünften Studioalbum von Anna von Hauswolff einen erhebenden Abschied beschert.
So erfüllend und versöhnliche, dass man auch mit dem verkorksten Verkauf der (für ein derartiges Projekt ärgerlicherweise wohl zwangsläufig limitiert erschienenen) Vinyl-Version von Southern Lord Europe Frieden schließen kann und das Arbeitsplatzausweitung der Schwedin auf den Soundtrack-Markt unabdinglich erscheinen lässt.

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