Die Alben des Jahres 2019: 30 bis 21

von am 3. Januar 2020 in Jahrescharts 2019

Die Alben des Jahres 2019: 30 bis 21

Songs | HM | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  |

Nuvoluscura - Nuvoluscura30. Nuvolascura – Nuvolascura

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Selbst mit Scheuklappen auf das vermeintliche Genre-Ereignis schlechthin fixiert – die Rückkehr der Ikone Jeromes Dream, die sich auf Platte übrigens als halbgarer Rohrkrepierer und live als furioses Spektakel entpuppen sollte – hat der Screamo, Powerviolence, Skramz, nenne man es wie man will, zuletzt derart viel aufregendes abgeworfen, dass all die Highlights kaum adäquat bemessen werden konnten.
Was auch daran lag, dass bereits im Mai eine Kombo, deren Platzierung der Vokale im Bandnamen man bis heute nicht fehlerfrei aus dem Stegreif hinbekommen will, mit ihrem Debüt um die Ecke biegt und so ergiebig fesselt, dass alle ähnlich gearteten nachfolgenden Kollegen ein klein wenig zur Ersatzdroge werden. Und dass NovuNuvalNuvolascura auch noch ihren (unter anderen Bannern, nämlich Vril) bis zum selbstbetitelten Einstand hinausgehauenen Output rückwirkend vereinnahmten und als Originale verschenkten, tut der Erschöpfung freilich auch keinen Abbruch.
Knapp 19 Minuten im Dauerfeuer reichen also, um aus dem Schwärmen nicht mehr herauszukommen. Über die tolle Produktion von Jack Shirley, der hier Rohheit und Durchschlagskraft punktgenau liiert. Über die schier wahnsinnig guten Vocals von Front-Sprengsatz Erica, die das exzellente Zusammenspiel der Instrumente mit einer solch dringlichen Verzweiflung anleitet, das Kurzweiligkeit zum Rausch wird. Oder eben das Songwriting, das immer wieder kurze Momente der ruhigeren Atmosphäre nutzt, um als zusätzlicher Katalysator Benzin in das ohnedies so leidenschaftlich lodernde Feuer zu gießen. Platten wie diese revolutionieren also vielleicht nichts, pulverisieren aber Scheuklappen und reklamieren sogar ein bisschen das Zepter für sich.

The Number Twelve Looks Like You - Wild Gods29. The Number Twelve Looks Like You – Wild Gods

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Jesse Korman kann zwar auf eine knapp zwanzigjährige Karriere im Musikbusiness vorweisen und hat sich zudem ein veritables Standbein in der Filmbranche aufgebaut. Bezeichnenderweise war sein bisher strahlendster Moment im Rampenlicht aber wohl jener, als er aus der zweiten Reihe die Bilder zu Heidi Klums Halloween-Irrsinn lieferte.
Durchaus symptomatisch vielleicht, dass auch das erste Studioalbum von The Number Twelve Looks Like You nach knapp einem Jahrzehnt gefühltermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit veröffentlicht wurde. Nichts zur Sache tut dabei wohl, dass die Platte erst gut zwei Jahre erschien, nachdem Korman und seine Band auf der Abschiedstournee von The Dillinger Escape Plan über ihre baldige Fertigstellung sprachen – wahrscheinlich ist die Zeit für derartige hyperaktive Mathcore-Früh-2000er-Spektakel wie Number Twelve, Fear Before the March of Flames, Heavy Heavy Low Low, The Fall of Troy, PsyOpus, Ed Gein, Horse the Band oder Genghis Tron, die die eigene musikalische Sozialisation prägten, aber eben auch eher temporärere Begleiter waren, einfach vorbei.
Gegen diese These stemmen sich aber nicht nur bejubelte Comeback-Konzerte von etwa Curl Up and Die oder anhaltende Machtdemonstrationen von Car Bomb, sondern eben vor allem Wild Gods – das bisher beste Album von Number Twelve, das seinen überbordend-kuriosen Wahnsinn tatsächlich reifer und fokussierter artikuliert als all seine Vorgängerplatten und auch ganz ohne nostalgische Voreingenommenheit zum stärksten gehört, was die ADHS-Ausläufer eines hiernach gar nicht mehr antiquierten Genres seit langem zu bieten hatte. Mögen Korman und Co. live mittlerweile auch nur noch vor einer Handvoll Eingeweihter zirkulieren: Das hier ist ein technisches Spektakel mit obskurem Anti-Realitätssinn, dessen Stil-Spektrum die absurde Übersteigerung zur rationalen Konfliktsituation erklärt.

No One Knows What The Dead Think - No One Knows What The Dead Think28. No One Knows What The Dead Think – No One Knows What The Dead Think

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Während sein alter Gridlink-Buddy Takafumi Matsubara mit einer unglaublichen Wiedergeburt beschäftigt war, ging Jon Chang die Zeit nach seinem offiziellen Grind-Rentenantritt genau anders an: Mit seinem alten Axt-Spezi Rob Marton sowie Drum-Erfüllungsgehilfe Kyosuke Nakano war er trotz adäquater Bandneugründung keineswegs damit beschäftigt neue Kapital aufzuschlagen, sondern vielmehr damit, eine Legende auszuerzählen. Mit Discordance Axis hatten zwei Drittel von No One Knows What The Dead Think Geschichte geschrieben und wollten diese nun – eben leider ohne Dave Witte – mit 19 Jahren Verspätung zu einem Ende bringen.
Dass eine Neueinspielung von Dominion den Kreis der (im Grunde niemals derart in der Luft hängen gelassenen) Discordance Axis-Diskografie schließen soll, ist dann aber vor allem eine nette Geste, wo man ganz nüchtern betrachtet festhalten muss, dass No One Knows What The Dead Think den etwas forcierten Kontext zur Quasi-Vorgängerband weder restlos schlüssig erzwingen können – noch unbedingt gebraucht hätten. Zu deutlich sind (natürlich, auch zwangsläufig) Unterschiede zur einstigen Genre-Ikone zu erkennen, The Inalienable Dreamless war ohnedies ein furioser Schwanengesang – und No One Knows What The Dead Think haben letztendlich auch klar ihren eigenen Sound und Charakter.
Was im Umkehrschluss auch bedeutet: Diese zehn Sprengsätze von technisch rasend schnellen Machtdemonstrationen funktionieren alleine für sich stehend auch ohne prominenten Aufhänger als das mindestens zweitstärkste Genre-Album des Jahres. Was dann eine Lektion wäre, die Matsubara in Zukunft zusätzlich beflügeln könnte und das Duo Marton/Chang bereits jetzt seinen Frieden (mit der Vergangenheit wie auch der Gegenwart) finden lassen könnte: Man muss dem Grindcore als Allstar keinen neuen Klassiker schenken, um dennoch zum besten gehören zu können, was die Szene aktuell zu bieten hat.

FKA Twigs - Magdalene27. FKA Twigs – Magdalene

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Die Musik von FKA twigs verkörpert seit jeher die Komplexität der menschlichen Sexualität. Tahliah Barnetts zweites Album gibt sich als schonungsloses Trennungshandbuch für eine unbekannte Spezies, ein Alien-Volk, das vermutlich durch dieselbe Perfektion glänzt wie ihre Kunstfigur und mit dem Abwandern ihrer Verflossenen auf einen entlegenen Leuchtturm etwa zu kämpfen hat.
Schon der unheilvolle Sirenengesang auf dem eröffnenden Thousand Eyes weist den Weg weiter fort von Pop-Karriere und Boulevard. Wo auf früheren Platten Erotik noch distanziert als ein leicht durchschaubares Netz aus Begehren und Abstoßung, Spannung und Entspannung skizziert wurde, gelingt es FKA twigs auf Magdalene durch die Personalisierung der Inhalte, die produktiven Kräfte ihrer Sexualität zu lyrisieren. Manchmal sind die Ergebnisse überwältigend, man gebe sich nur dem schönen Mikrokosmos der zerbrechlichen, ständig wechselnden Sounds, die in Maria Magdalene auf- und abebben, hin. Oder Home With You, mit seinem vertrackten Rhythmus, der aus eruptierenden statischen Störgeräuschen zu bestehen scheint, die wie verzerrte Schüsse klingen – Sounds, mit denen zuletzt schon Low überrascht haben, die hier aber vielleicht noch nicht mit voller Überzeugung und einer gewissen eleganten Unbeholfenheit zum Einsatz kommen. Bei allem Anschein, dass so gut wie alle Stücke auf Magdalene drohen, jederzeit in sich zusammenzufallen, findet FKA twigs immer zurück zu einer wilden Kraft in ihrer Musik und ihrer Weiblichkeit. Ein radikal sensibler, künstlerischer Reifungsprozess.

Malibu Ken - Malibu Ken26. Malibu Ken – Malibu Ken

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Der Hip Hop hatte in vier kaum spektakulären Quartalsabfolgen seine wenigen Sternstunden und definitiven Hingucker vordergründig durch kongeniale Kooperationen erhalten. Nicht unbedingt jene von Kanye und Jesus, als beispielsweise in Form des Madlib und Freddie Gibbs-Zusamentreffens Bandana, dem von Inflo betreuten Little Simz-Zweitwerk Grey Area oder vor allem auch den Arbeiten von Kenny Segal, der mit dem Billy Woods-Projekt Hiding Places sowie dem Hemlock Ernst-Debüt Back at the House gleich zwei Knalleralben mit Beats versorgte.
Keine dieser Synergien konnte allerdings dem Zusammenspiel von Multiinstrumentalist Tobacco und Rap-Meister Aesop Rock das Wasser reichen, die unter dem schmissigen Alias Malibu Ken samt einem grotesken Augenkrebs-Artwork schon im Jänner die Standards mit abstrakten, minimalistisch neben der Spur aus den Synthies stolpernden Songs setzten, die vollends im Humor beider Parteien aufgingen.
Als würden 80er-Arcade-Automaten mal spartanisch, mal verquer pumpen und stottern, wirkt all das anachronistisch im retro-irritierendsten Sinn, die ganzen hängenbleibenden Hooks muss man nicht mit Konventionen erklären, manchmal bleiben die Grinser im Hals stecken, dann wieder lässt der Schock schmunzeln. Die Chemie zwischen Ian Bavitz und Thomas Fec werkelt dabei stets so eigenwillig wie charismatisch, hat einen spontan um die Ecke gedachten Flow, dass es beinahe unglaublich scheint, dass Aesop und Tobacco an der Realisation dieser phasenweise wie ein zynisch brüllender, garstig pointierter Witz wirkende Platte bereits seit gut zehn Jahren tüfteln. Ausgezahlt hat sich jede Sekunde davon für das Dreamteam unter den Teamplayern.

Celestial Grave - Secular Flesh25. Celestial Grave – Secular Flesh

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Das Debütalbum des anonymen finnischen Black-Metal-Duos Celestial Grave beginnt und endet in den dunkel schimmernden Tiefen der trven nördlichen Depression. Eine lodernde Sensibilität und Angepisstheit wird nur hauchdünn durch eine grandiose Romantik, die die relativen Szene-Neulinge da herauswürgen, verschleiert. Sogar dem geneigten Blackgaze- bzw. Atmospheric-Black-Metal-Fan stünden da alle Türen offen und könnte man nur die vollste Empfehlung aussprechen, wenn es da nicht ein großes Hindernis gäbe: Eine derartige Rohheit gab es dieses Jahr sonst wohl nur bei den Asis von Pissgrave zu hören.
Aber sind wir ehrlich: Als Hörer gibt es nur wenig Befriedigenderes als rohe Musik, egal welcher Spielart. Musik, die kaum als solche in den Ohren der Uneingeweihten ankommt. Musik, die bei Familienmitgliedern Zweifel an der Lebenskompetenz aufkommen lässt. Musik, die durch viel zu laut aufgedrehte Kopfhörer besorgte Blicke von Passanten hervorruft. Barrierefreiheit ist anderswo: Fast schon verdutzt hinterlässt Secular Flesh nach den ersten Durchgängen und dem bisher veröffentlichten Material von Celestial Grave. Selbst für Black-Metal-Standards mutet die Produktion hier fast schon absurd unterirdisch an, wie ein zu weit getriebener Insider-Witz. Und doch ist man sich sicher, hier gerade Zeuge der vielleicht epischsten, traurigsten und erhabensten Melodiebögen geworden zu sein, die Metal abseits von Cloud Rat im Jahr 2019 zu bieten hatte. Vier lange Tracks, ein kurzes Album: wahrscheinlich das melodischste Raw-Black-Metal-Album oder das roheste Melodic-Black-Metal-Album. Wie auch immer, es ist schwierig, nicht am nordischen Leid teilzuhaben, das Secular Flesh aus allen Poren strömt, sobald die abstoßende Schale einmal geknackt wurde.

Billie Eilish - When We All Fall Asleep, Where Do We Go?24. Billie Eilish – When We All Fall Asleep, Where Do We Go?

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Knapp dreieinhalb Minuten gilt es zu untertauchen, dann ist man drinnen in jenem Popalbum, dass rückblickend wohl stärker mit dem Jahr 2019 verknüpft werden wird, als jede andere Platte. Denn auch wenn Millionen Fans und zahlreiche Chartverortungen Anderes behaupten, ist der When We All Fall Asleep, Where Do We Go?-Opener Bad Guy aufgrund seines törichten Refrains eine unangenehm eindimensional-simpel konstruierte Penetranz von einem Hit.
Was aber eine untergeordnete Rolle spielt, wenn die mittlerweile bereits 18 Jährige Billie Eilish im Verbund mit ihrem Bruder Finneas exakt jenen Einstand liefert, den man sich nach all den überragenden Singles und EPs im Vorfeld kaum zu erträumen wagte: Hier geben sich die Ohrwürmer und Smash-Singles die Klinke in die Hand, liefern eine praktisch ausfallfreien Stafette, die immer dann am besten ist, wenn Eilish ruhigere Töne anschlägt. Was der Shooting Star selbst nur zu gut selbst zu wissen scheint – die bereits nachgereichte Non-Album-Innenansicht Everything I Wanted hätte schließlich zu den Highlights auf When We All Fall Asleep, Where Do We Go? gehört.
Man darf also zuversichtlich in die Zukunft blicken: Die aktuell heißeste Pop-Aktie der Welt hat dem Hype scheinbar mühelos standgehalten und zeigt Luft nach oben. Während die textlichen Schwächen von When We All Fall Asleep, Where Do We Go? bis auf weiteres dem Generationsbruch zugeschrieben werden dürfen und Eilish momentan noch eher eine die Tiefe nicht dreidimensional angehende Songsammlerin ohne übergreifenden Spannungsbogen ist, kommen Vorbilder wie Lorde oder Lana jedenfalls schneller in Greifweite, als das selbst die kühnsten Prognosen in Aussicht stellten.

מזמור (Mizmor) - Cairn23. מזמור (Mizmor) – Cairn

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Von den gezählt acht Artworks, die der nach Mirror Reaper im Metal begehrt wie nie scheinende Mariusz Lewandowski alleine 2019 für Alben bereitstellte, ist kein anderes derart passgenau auf die Bedürfnisse des entsprechenden musikalischen Werkes eingestellt, wie es bei Cairn der Fall ist – vielleicht weil Bandkopf und Solo-Mitglied A.L.N. ja für seine vorangegangene Roadburn-Platte schon beim polnischen Künstler bestellt hatte und man die optischen repräsentativen Grenzmale deswegen dezidiert verlegen konnte.
Das ist deswegen elementar, weil alles am dritten Studioalbum von מזמור oder Mizmor danach strebt ein Gesamtkunstwerk sein zu wollen, majestätisch und groß und raumfüllend und verschlingend. Und man daran, dass sich die Finsternis am Himmel des Covers immer deutlicher von einer gewissen Helligkeit verdrängt wird, eben auch erkennt, dass sich die Alchemie im Kosmos von A.L.N. phasenverschoben hat. Wo sich Kollegen wie Thou oder Hell im garstigen Moloch des Nihilismus suhlen, sucht Mizmor längst nach einer erhebenden Schönheit, die eher mit Bands wie Pallbearer oder Bell Witch Verwandtschaftsverhältnise knüpft und die zugrunde liegende Melancholie auf eine Empore hebt.
Dass die Fusion von Black- und Doom Metal, von Sludge und Drone, ungeachtet des Titels und Artworks dabei so grenzenlos fließt wie auf keinem anderen Album der Quasi-Band bisher, muß ja auch nicht gleich zwangsläufig bedeuten, dass der gigantische Monolith am Horizont unter seiner Kutte subtil wissend schmunzelt.

Weyes Blood - Titanic Rising22. Weyes Blood – Titanic Rising

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Natalie Laura Mering inszeniert die Melodien und Harmonien auf ihrem vierten Studioalbum als Weyes Blood wie herzerwärmend umsorgende Erinnerungen, die auf eine entrückte Art verschwommen und doch konkret aus der überspannenden Atmosphäre des schwerelos unter Wasser schwebenden Ambientes auftauchen, deren nostalgischer Tiefen- und Sogwirkung sich auf dem Konsens-Artpop-Album der Saison niemand entziehen kann. Titanic Rising vermittelt den Eindruck, als hätten sich hier verloren geglaubte Ohrwürmer aus dem Schatz von Fleetwood Mac, von den Carpenters, Joni Mitchell, George Harrison und Brian Wilson oder aktueller auch Aimee Mann und Julia Holter gesammelt, die man ewig aus dem kollektiven Unterbewusstsein zu kennen meint.
Dass der kammermusikalische Softrock in seinem surrealen Existentialismus seine Inspiration aus der Vergangenheit zieht, sich unkaschiert auch mit einer unnahbaren Distanz und Eleganz nach simpleren Zeiten sehnt, ohne in Hoffnungslosigkeit zu versinken, sondern stets den tröstend jubilierenden Silberstreifen am Horizont fantasieren will, lässt Mering die Dinge relativieren: „I remember when you never had to take a selfie or send somebody a nude, and it was great. You didn’t see yourself unless you looked in a mirror. That leaves your mind a lot of space, a lot of comfort. But then there’s lots of people meeting each other who probably never would have were it not for Tinder and OKCupid and these things. You can’t throw out the cat with the bathwater. Somewhere in that mountain of bullshit is some gold. But it’s not easy to find.Titanic Rising ist insofern der Traum von besseren Zeiten, alten wie auch zukünftigen, ohne seine Illusionen der Naivität preiszugeben.

Tool - Fear Inoculum21. Tool – Fear Inoculum

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Ein Comeback ohne Extreme: Letztendlich ist Fear Inoculum (selbst aus der Pespektive einer unerschütterlichen Nibelungentreue heraus, die das Album höher einstufend verklären will, als man es verdient sieht) weder das aus traditioneller Unfehlbarkeit heraus erhoffte Meisterwerk am mystischen Olymp der Prog-Zukunft geworden, noch der nach 13 Jahren langsam aber sicher doch verdächtig scheinender Wartezeit befürchtete Ausfall.
Überwältigende Euphorie stellte sich jedenfalls hinter eine befriedigende Zufriedenheit, wenn das fünfte Album der Amerikaner in knapp 20 Bandjahren klingt, als hätte ein abgeklärter und distanzierter gewordener Status-Quo-Logarithmus mittels eines an sich unnachahmlichen Signature Sounds mit überragender Schlagzeugarbeit und sonstigem Autopilot den vermeintlichen Idealzustand eines aktuellen Tool-Werkes gezirkelt. Sechs Songmonolithen lang operiert dieser stets einen niemals greifbar werdenden Meter vom emotionalen Knackpunkt entfernt meditierend, kann alleine Keenan niemals aus der Reserve locken.
Der Effekt ist ein überraschender, weil all die auf den 30. August hingezirkelte Aufregung relativ nüchtern verpufft ist und der Wunsch, die (einfach nicht in geldbörsenfreundlichen Standardversionen erscheinen wollende) Platte unbedingt und maßlos zu konsumieren, bald gesättigt wurde – dafür aber bei jedem Kontakt längst ein Gefühl von wohliger, langjährig gewachsener Bekanntheit nachwirken lässt, das viel vertrauter wirkt, als es sein dürfte. Fear Inoculum ist als vermeintliches Ereignis des Jahres gerade mit einigen Monaten Abstand längst ein bisschen in den Hintergrund der Wahrnehmung gerückt, hat dort aber als Nicht-Spektakel den perfekten Ort gefunden, um beinahe unscheinbar zu wachsen und ohne Denkmalpflege oder -schädigung daran zu erinnern, weswegen man diese Ausnahmeband vergöttert. Außerdem: Schlechter geworden ist mit der Zeit schließlich noch keine Tool-Platte – was wohl auch für das bisher schwächste Werk des Quartetts gilt.

Songs | HM | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  |

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