Brian Wilson [20.07.2017: Stadthalle, Wien]

von am 23. Juli 2017 in Featured, Reviews

Brian Wilson [20.07.2017: Stadthalle, Wien]

Eigentlich paradox: Erst der Wunsch von Brian Wilson, nicht mehr auf Tour gehen zu müssen, machte Pet Sounds mitunter überhaupt erst möglich. Ausgerechnet das fünfzigjährigen Jubiläum des die Musikwelt revolutionierenden Beach Boys-Meisterwerks setzt den Kalifornier nun allerdings den Strapazen einer ausgiebigen Konzertreihe aus.

Auch wenn dies während der knapp 140 Minuten der Show nicht unbedingt danach aussieht: Wilson tut dies (ohne jemals auch nur den Anflug eines Lächelns in seinem traurig blickenden Gesicht aufkommen zu lassen, sowie trotz anhaltender Panik vor den Konzerten und angeschlagener Gesundheit) auf eigenen Wunsch. Selbst an einem neuen Studioalbum soll er aktuell wieder arbeiten.
Der Zeitpunkt seines Wien-Besuchs ist dabei je nach subjektiven Präferenzen eher suboptimal gefallen. Nicht nur, dass (der aktuell wieder einmal grottige Singles veröffentlichende) Mike Love mit seiner Söldnertruppe unlängst in Wien war, um für kalifornischen Surfsound zu sorgen, an dem drückend heißen Sommer-Donnerstag gäbe es theoretisch auch (von – den offenbar enttäuscht habendenDinosaur Jr. im WUK bis zu Alt-J am Out of the Woods) zahlreiche weitere Hochkaräter-Optionen für einen Konzertabend.

Alleine aufgrund des musikhistorischen Bedeutung von [amazon_link id=“B01FIM26IS“ target=“_blank“ ]Pet Sounds[/amazon_link] sind die Prioritäten allerdings klar. Zumindest für 1200 Besucher – und die nötige Finanzkraft freilich vorausgesetzt. Im Vergleich zum Beach Boys-Konzert bleiben damit einige Plätze leer. Abseits der Ticketpreislage eigentlich unverständlich: Wie oft sich Wilson die Anstrengungen live aufzutreten künftig überhaupt noch antun können wird, scheint schließlich fraglich.
Der 75 Jährige kommt gezeichnet vom Leben, Konflikten, Drogen, Medikamenten und psychischen Problemen selbst unter Hilfe nur wackeligen Schrittes auf die Bühne, wirkt vor allem im direkten Vergleich zum gleichaltrigen, immer noch eine spitzbübische Agilität ausstrahlenden Langzeit-Beach Boy-Kumpel Al Jardine gesundheitlich arg angeschlagen. Wilson sitzt die gesamte Konzertdauer zudem beinahe lethargisch hinter einem Flügel, der im Grunde nur halbherzig verdeckt, dass sich die Performance des Kaliforniens inmitten seiner virtuosen zehnköpfigen Band zumeist auf ein Minimum beschränkt. Ob Wilson überhaupt tatsächlich jemals selber in die Tasten greift, bleibt angesichts zweier Keyboards im Gesamtsound sogar ziemlich fraglich. Man sieht seine Hände jedenfalls über weite Strecken im Schoß gefaltet, während Wilson mit zunehmender Konzertdauer sogar immer öfter gedankenverloren an die Decke der Stadthalle zu starren beginnt. Dass er sich in diesen Momenten nur vollends in die bezaubernden Musik verliert, ist wohl nur zweckoptimistisches Wunschdenken.

Lakonische Einwürfe (etwa, dass die Band In My Room ausnahmsweise auf englisch spielen werde; dass Surfer Girl als erste nach wie vor die liebste seiner zahlreichen Kompositionen sei; sowie der Aufruf, eine Ladung Rock’n’Roll zu zelebrieren) lassen kurzzeitig schmunzeln und den stoischen Wilson gar neckisch wirken, erweisen sich jedoch als einstudierte Sager.
Von der Gesangsstimme der lebenden Legende ist derweil ohnedies auch nur noch eine brüchige, raue Erinnerung geblieben. In den hohen Tönen (und gerade während Pet Sounds) übernimmt deswegen Als Son Matthew mit gepresst-sauberen Falsett Wilsons Leadstimme, Papa Jardine rückt daneben flankierend durchaus willkommen auch öfter an die Mikro-Front. In Songs wie dem absolut wunderbaren I Just Wasn’t Made for These Times oder Wouldn’t It Be Nice spielen Wilson und die beiden Jardines sich mit dieser Arbeitsteilung so durchaus stimmig die Bälle zu. Dahinter trägt der weich und packende mehrstimmige Harmoniegesang der Band zusätzlich, während anderswo (Darlin) der junge Darian Sahanaja fantastisch beeindrucken kann. Ganz im Dienste der Sache bekommt hier eben jeder Musiker den Raum und die Zeit, um je nach seinen Stärken zu glänzen – so selbstlos hat Wilson immer gearbeitet. Zwar ist sein Name aus finanzieller Sicht das nötige Zugpferd der Tour, doch positioniert sich die Ikone (natürlich auch zwangsläufig) uneigennützig im Kollektiv, ordnet sich (und seine Limitierungen) der Musik unter.

Auch wenn „Brian Wilson presents Pet Sounds“ damit auf den ersten Blick phasenweise „nur“ wie eine großartige  Tribute Show samt Brian Wilson als sporadisch in Aktion tretenden Stargast wirken kann, überzeugt der Abend in dieser synergetischen Ausrichtung ansatzlos: Schon die Präsenz Wilsons fesselt irgendwo trotz allem, eine faszinierende Ausstrahlung umgibt den Ausnahmekünstler, der wie ein seltsam distanziert-charismatischer Ankerpunkt in einem zauberhaften Reigen zeitloser Musik wirkt.
Im ersten Part der Show scheint Wilson auch generell noch konzentrierter, tingelt mit seinen Jungs durch ein enorm kurzweiliges Potpourri zahlreicher Hits, die auch ohne Ablaufdatum und Meerzugang zünden – das bestuhlte Saalpublikum würde wohl am liebsten unmittelbar aufspringen, interagieren und sich mitreißen lassen. Stattdessen gibt es ausufernden Applaus und Standing Ovations. Matthew entpuppt sich zudem als Allzweckwaffe, der sowohl Carl als auch Dennis (nicht ersetzen, aber zumindest angemessen) vertreten kann.
Das für die letzten drei Songs hingegen Kurzzeit-Beach Boy Blondie Chaplin als prominent positionierter Gast mitmischen darf, erweist sich als spektakulärer Showact in dem enorm kurzweiligen Feuerwerk: Der 66 Jährige folgt als in Schale geworfene Rampensau gierig und ausgehungert dem Scheinwerferlicht, tänzelt über die Bühne, schäckert mit Damen, singt mit souliger Inbrunst, reibt sich mit stotterndem Hüftschwung an seine Gitarre.
Und er sorgt mit einer die Dynamik ankurbelnden Keith Richards-Imitation und unbändigen Jam-Energie für einen zusätzlich belebenden Konterpart zu den zweckdienlich zurückhaltend ihren Job verrichtenden restlichen Musikern – die es nun wiederum merklich genießen, die Zügel lockerer lassen zu können als bisher.
Auf Wilson scheint der plötzliche Tumelt dagegen zumindest befremdlich zu wirken – mit unverändert ausdruckslosen Blick verfolgt er das Geschehen und stackst nach kurzem Winken mit zitternden Schritt sogar bereits von der Bühne, während sich die restliche Band noch auslebt.

Nach diesem straighten Feuerwerk besteht der zweite Teil des Abends dann endlich aus Pet Sounds – chronologisch und zur Gänze. Die Komplexität steigt, Wilson singt nun auch öfter, wenngleich nicht alle seine ursprünglichen Parts. Womit die Darbietung zwangsläufig vom Studio-Original abweicht, jedoch muss man beeindruckt anerkennen: Wilson und seine zwischen den Instrumenten wechselnde Musikerriege leisten einen grandiosen Job, das Ausnahmealbum für die Bühne zu rekonstruieren. Eine Armada an Klängen (selbst die honkende Fahrradhupe in You Still Belive in Me ertönt!) füllt den akribischen, detailverliebten und doch locker aus dem Handgelenk kommende Sound voll auf – kleine Mäkel wie das zu energisch geprügelte Schlagzeugfinale von Sloop John B fallen kaum ins Gewicht.
Nachdem Wilson schon vor dem Ende von Caroline, No wieder als erster die Bildfläche verlässt, nur um während der die Zugabe einleitenden Bandvorstellung seine eigene Introduction gar nicht erst abzuwarten, sondern noch während Al Jardines Applaus ungeduldig zu seinem Klavier zu laufen, scheint für den letzten Part der Show alle Zurückhaltung über Bord geworfen.
Das Publikum drängt vor die Bühne,  es wird mitgesungen, getanzt und gefeiert. Uund während Wilson nicht so recht zu wissen scheint, wie er mit dem plötzlich alle Dämme brechen lassenden Euphorie umgehen soll, übersetzt seine Band die allgemeine Begeisterung mehr als nicht ohnedies bereits in eine unmittelbare Spielfreude, der man sich nicht entziehen kann. Der Zugabeblock ist eine einzige Nostalgie-Hitschleuder, in der die gute Laune überkocht. Experte Sahanaja massiert dem sich hilflos ergebenden Wilson die Schultern, mutmaßlich zur Beruhigung, es geht schließlich rund.

So unterhaltsam dieses rauschhafte Finale des Abends für nahezu alle Anwesenden auch ist, in Erinnerung bleiben werden wohl vor allem die weniger ausgelassenen Szenen. Die fast schon filigranen Momente, in denen Wilson selbst in dem Mittelpunkt rückt und in denen pure Emotionalität regiert.
Etwa, wenn er das unsterblich erhabene God Only Knows mit entrücktem Minimalismus an der Grenze zum Sprechgesang zu einer herzerweichend gefühlvollen Vergänglichkeit erhebt, die zwischen sorgsamer Inszenierung und Wilsons fragiler Performance wandelt; oder wenn das abschließende Love and Mercy ([amazon_link id=“B00ZWB0EXK“ target=“_blank“ ]bei dieser Gelegenheit sei noch einmal ausdrücklich auf das gelungene gleichnamige Biopic hingewiesen![/amazon_link]) als zurückgenommene Klavierballade schlichtweg unfassbar berührend gerät und für absolute Gänsehaut sorgt. Das sind bewegende Szenen, die erhebend und erleichternd strahlen, die über die Nostalgie-Revue wachsen und eine charismatische Größe zeigen, vielleicht sogar den ersehnten Funken Magie in sich tragen und mit Träne im Knopfloch glücklich machen.
Speziell aufgrund dieser Sternstunden neigt man dann auch kurz dazu, zu hoffen, dass Wilson noch einmal wiederkommen möge – eventuell ja mit kürzerer, weniger kräftezehrender Setlist und spartanischerem Rahmenprogramm. Wie er sich im Kreis seiner Musiker allerdings letzten Endes wenig agil verbeugt und mühsam von der Bühne wankt, will man daran einerseits weder so recht glauben – noch wünscht man Wilson andererseits im Grunde, dass er einen solchen Tour-Kraftakt noch einmal durchstehen muss (…).

Setlist:
California Girls
Dance, Dance, Dance
I Get Around
Shut Down
Little Deuce Coupe
In My Room
Surfer Girl
Salt Lake City
Wake the World
Add Some Music to Your Day
California Saga: California
Don’t Worry Baby
Let Him Run Wild
Darlin‘
Feel Flows
Wild Honey
Sail On, Sailor

Wouldn’t It Be Nice
You Still Believe in Me
That’s Not Me
Don’t Talk (Put Your Head on My Shoulder)
I’m Waiting for the Day
Let’s Go Away for Awhile
Sloop John B
God Only Knows
I Know There’s an Answer
Here Today
I Just Wasn’t Made for These Times
Pet Sounds
Caroline, No

Encore:
Good Vibrations
Help Me, Rhonda
Barbara Ann
Surfin‘ U.S.A.
Fun, Fun, Fun
Love and Mercy

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