Bruce Springsteen – Western Stars

von am 4. Juli 2019 in Album

Bruce Springsteen – Western Stars

Western Stars hätte ein aufgelegter Festschmaus nicht nur für all jene werden können, die Nebraska als das heimliche Juwel der Springsteen‘schen Diskografie listen. Doch dann vertändelt der Boss seine grandiosen Songs durchaus frustrierend in einer allzu tranig zugekleisterten Schwülstigkeit – und liefert damit ein zumindest polarisierendes Ergebnis.

Der 69 Jährige hat fünf Jahre nach High Hopes wohl eine seinem Alter entsprechende Americana-Platte als countryesker Singer-Songwriter im Chamber Pop, aufgenommen – „Southern California pop music“ und eine deklarierte „return to my solo recordings featuring character-driven songs“ – allerdings mit einem mächtigen Orchester im Rücken: Das reichhaltige Instrumentarium um Streicher, Bläser „Piano, Celesta, Glockenspiel, Synth-Strings, Percussion, Vibrafon, Orgel“ lässt durchaus an oppulente Kollegen wie Elvis Costello und Burt Bacharach, Glen Campbell oder Harry Nilsson denken.
Entgegen des wilden Mustangs am Cover ist Western Stars in dieser Ausrichtung jedoch eher milde und süffisant ausgefallen, lässt Springsteen und seinen Partner/ Produzenten Ron Aniello als federführende Kräfte in die (klang)landschaftlichen Vollen gehen, sich stets für Hochglanz-Luxus anstelle von Staub entscheiden. Studioalbum Nummer 19 ist deswegen hemmungslos sentimental und kitschig ausgerichtet, so nostalgisch wie cinematographisch, entspannt und pastoral, wo sich Springsteen zu einer Revue aus schmalzig übersättigten Arrangements durch Amerika schmachtet und croont.

Was schade ist. Da Springsteen in diese Umgebung gebettet nicht nur (phasenweise) gesangs-, sondern (sehr oft) vor allem geschmackstechnisch immer wieder über die Stränge schlägt. Etwa mit den zu pathetisch und bemüht rühren wollenden 0815-Streichern im an sich betörenden Chasin‘ Wild Horses. Oder mehr noch der geradezu unaustehlich galligen, altbackenen Gesten des so unedlich tranig und gestelzt intonierenden There Goes My Miracle. Während die Inszenierung sich über die gesamte Spielzeit ambivalent/konsequent positioniert, weil die Arrangements so generisch aus dem Baukasten schlüpfen, dass man teilweise an eine Persiflage denken muss, geht sie alleine in diesen Szenen schlichtweg zu weit, nervt einfach.
Kurzum also: Western Stars wäre ganz generell so viel besser ausgefallen, wenn die Ausstattung in ein archaischeres, nüchterneres Spektrum gebracht worden wäre, Springsteen und Aniello mehr Understatement und kreative Unkonventionalität in den (nichtsdestotrotz toll produzierten) Ausschmückungen walten hätten lassen. Wie der Boss bei diesem Kleister im Blickfeld dennoch soviel Authetizität erzeugen kann, bleibt eigentlich unerklärlich.

Doch ist der erste Zuckerschock erst einmal verdaut, kann das Songwriting wirken – und dann liefert Springsteen sein stärkstes, konstantestes Material seit Ewigkeiten. Hitch Hikin‘ stellt etwa einen wunderbaren Opener dar, sogar noch in nuancierter Ausstattung, bevor The Wayfarer und Tuscon Train die formidable Eröffnungsphase mit würdevoller Grandezza in die Prärie reiten, das heroische Element gut in die Waage bekommen.
Das unorthodoxe Sleepy Joe’s Cafe wirkt mit seiner Harmonika dagegen wie eine zu beschwingte Dylan-Nummer und das versöhnliche Drive Fast (The Stuntman) bereitet die genüssliche Hollywood-Atmosphäre von Sundown stilvoll vor. Springsteen flaniert später kontemplativ durch die Romantik angetriebene Schwofer (Hello Sunshine) und sanften Rock (Stones), streift am Schlager und liefert mit dem wundervoll intimen Somewhere North of Nashville (samt unaufdringlichen Chören und sehnsüchtiger Slide-Gitarre) sowie der melancholisch-tröstenden Erhebung Moonlight Hotel sogar absolut ruhig überwältigende Sternstunden seiner späten Karriere.
Was die Patina von Western Stars an sich nur noch ärgerlicher machen könnte – letztendlich aber eher mit dem üppigen Wesen der 51 Minuten aussöhnt. Deswegen wird Western Stars auch mit etwas mehr Abstand nicht nur als „das Orchesteralbum“ von Springsteen in Erinnerung bleiben (so wie High Hopes eben rückblickend nur „die Platte mit Tom Morello“ darstellt). Allerdings doch ein bisschen als sein bestes Werk seit über eineinhalb Dekaden – welches aber noch soviel mehr als „nur“ das hätte sein können. Und vielleicht sogar durch zuviel Brimborium den Klassiker-Anspruch vertändelt hat.

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