Caspar Brötzmann Massaker – Southern Lord Reissues

von am 26. Juli 2019 in Reissue

Caspar Brötzmann Massaker – Southern Lord Reissues

Absolutes Pflichtprogramm: Southern Lord Records veröffentlicht in chronologischer Abfolge und drei Tranchen alle fünf Alben des Caspar Brötzmann Massaker – ohne jegliches Bonusmaterial, dafür aber neu remastered.

Das trifft sich gut. Nicht nur, weil das noch nicht gänzlich ausgereifte The Tribe (1988), Black Axis (1989) als primitiv-kompromissloses Monument, das triumphal selbstsicher über die Improvisation hinauswachsende Der Abend der Schwarzen Folklore (1992), das finstere Koksofen (1993) sowie das (seitens Southern Lord noch ausständige) rekapitulierende Home (1995) in den Originalpressungen mittlerweile allesamt weitestgehend vergriffen sind, das 30 jährige Jubiläum des Massaker-Debüts zudem auch schon verstrichen ist.
Sondern , weil der anhaltende Einfluss der deutschen Kombo unter der Ägide des im Punk sozialisierten Sohnes des Freejazz-Saxofonisten Peter Brötzmann bis heute kaum groß genug einschätzbar ist. Durch den Vertrieb des amerikanischen Szene-Labels Southern Lord sollte diese Fakt eventuell ja auch bei jüngeren Generationen die verdiente Beachtung finden.
Wer also immer schon wissen wollte, was wie eine Shellac-Attacke von Hendrix auf die Swans began; woher beispielsweise Tool ihre Inspiration für Die Eier von Satan haben könnten; aus wessen Schaffen Sumac einen Gutteil ihrer kreativen Direktive speisen; warum Sonic Youth-Magier Thurston Moore bei Brötzmann ins Schwärmen gerät und Page Hamilton oder F.M. Einheit unbedingt mit ihm zusammenarbeiten wollte – ja, der sollte spätestens jetzt nicht mehr um das Material von Caspar Brötzmann und seiner Mannschaft um die Konstante Eduardo Delgado Lopez sowie  Begleiter wie Frank Neumeier, Jon, Danny Arnold, Danny Lommen oder Ingo Krauss umherkommen.

Die aus dem Jam heraus brütende Melange aus eruptiven Metal und unbequemen Noiserock ist allerdings eine Herausforderung, heute kaum weniger als damals. Stets brutal strukturoffen und hypnotisch weitschweifend, lässt Brötzmann seine mal repetitiv arbeitende, dann wieder meditativ heulende Gitarre über stoische Grooves und lose Beckenschläge wandern, hier atonal rückkoppeln, dort zyklisch präzise malträtieren. Sie mutiert ansatzlos von der vagen Klangkonstruktion zur sludgigen Post-Heavyness, über der der Namensgeber röchelnd rezitiert und hirnwütige Melodiedelirien bedrängt, psychedelisch und kantig. Lauernd beschwörend wie Nick Cave (für den er vor der Geburts des Massakers einst eröffnete) zeigt Brötzmann immer wieder, wo Till Lindemann seine Stimme gefunden haben könnte, kocht aber im Grunde als visionärer Vorreiter sein vollkommen eigenes Süppchen Avantgarde. Das Werk dieser Kombo ist auch ein bisschen Ursuppe, das vieles nachkommende erst möglich gemacht hat.

Mehr noch: Das Massaker war seiner Zeit nicht nur weit voraus, es klingt auch heute noch aufregend. Unkonventionell. Intensiv. Radikal. Brutal. Archaisch. Ungemütlich. Ein Vermächtnis auf Konfrontationskurs also, ohne Abnutzungserscheinungen. Der von Krauss im Juli 2018 in Berlin veredelte Sound der fünf Studioalben ist deswegen nicht nur durch den Remaster vital, hungrig und frisch. Schade allerdings, dass es keinerlei Bonusmaterial für die Neuauflagen gibt.
Auch schwer zu sagen, welches Werk von Brötzmanns Massaker nun am besten ist. Im Zweifelsfall sollte man sich idealerweise aber ohnedies für alle fünf entscheiden, gegebenenfalls in der später noch nachfolgen sollenden Komplettbox, für die Southern Lord bereits nach den bisherigen vier aufgelegten Platten den Mund wässrig macht – obwohl zum jetzigen Zeitpunkt noch gar kein Releasetermin für Home steht.
Zwecks Vorfreude auch noch erwähnenswert: Während man sich hier in bestehendes Kulturgut in dieser Aufarbeitung neu verliebt, stellt Brötzmann übrigens in Aussicht aktuell an neuem Material zu arbeitenBass Totem. Die Fallhöhe und Erwartungshaltung ist da freilich immens.

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