Cave In – Final Transmission

von am 18. Mai 2019 in Album

Cave In – Final Transmission

Eine Final Transmission im Andenken an Caleb Scofield: Das ungeschönt raue, eventuell auch letzte Studioalbum der Band hat gar nicht erst Interesse daran, die Geschichte von Cave In zu einem runden oder gar versöhnlichen Abschluss zu bringen.

Wie auch, angesichts der Genesis hinter diesen 34 Minuten neuer Cave In-Musik, die man in der bewegten – seit jeher von Umbrüchen, überraschenden Wiedergeburten und Sackgassen gekennzeichneten – Historie der Männer aus Massachusetts so eigentlich nicht mehr für möglich halten durfte.
Schließlich wurde das Quartett, nachdem das Erscheinen des 2011er Wutausbruchs White Silence nebst Konzentration auf all die anderen laufenden Projekte (u.a. Old Man Gloom, Mutoid Man, Zozobra, ….) eine neuerliche Pause für die Stammband verursachte, die den Fokus auf „hanging out, get-togethers, parties and camping trips as friends“ verlagert hatte, vom vernichtenden Schicksalsschlag getroffen: Justament nachdem sich Cave In wieder als Band zusammengefunden und an ihrem sechsten Studioalbum zu arbeiten begonnen hatten, fiel Caleb Scofield am 28. März 2018 einem tödlichen Verkehrsunfall zum Opfer.
Um den Hinterbliebenen des Familienvaters finanziell unter die Arme zu greifen spielten Cave In mit nahrhaften Ersatzmännern wie Aaron Turner (Isis, Sumac) oder Nate Newton (Converge, Doomriders) nicht nur einige Benefizshows samt folgender Tour (die sogar wieder nach Europa führen wird) und nahmen ein Roadburn-Konzertalbum auf, sondern haben die bisher live via 4 Spur-Tape eingespielten Rough Track-Demoaufnahmen unter mithilfe von Andrew Schneider (Mix) und James Plotkin (Master) zu einem mutmaßlich finalen Cave In-Album verarbeitet –  das im Pressetext bemührte „poliert“ ist hier eindeutet die falsche Wortwahl.

Alleine durch seinen direkten Beinahe-Proberaumsound bekommt Final Transmission als stilistischer Eklektizismus einen unverwechselbaren Charakter in der ihr Wesen bei jeder Platte neu positionierenden Diskografie von Cave In. Da schlägt das potentielle Schwanengesang-Comeback den Intentionen von Scofield folgend nicht nur die Brücke zwischen den beiden subjektiv besten Studioalben – dem psychedelisch schimmernden Spacerock von Jupiter und dem zwischen unerbittlicher Härte und versöhnlicher Harmonie gewachsenen White Silence – sondern speist sich (mal offenkundiger, mal subtiler) aus nahezu allen Phasen der Bandgeschichte (exklusive der Metalcore-Anfänge).
Dabei trägt Final Transmission sein klaffendes Loch im Herzen aber zu jedem Zeitpunkt unkaschiert zur Schau, schreit es entgegen einer ohne Gebell auskommenden Platte sogar förmlich heraus. Denn die neun Songs machen in vielerlei Hinsicht kein Hehl daraus, unlängst eigentlich noch Skizzen ohne Texte und Gesang gewesen zu sein, wenn gleich der Opener und Titelsong ein unmittelbar vor seinem Unfall über das Handy geschicktes Fragment von Scofield darstellt, den Kern als Melodie-Idee auf der Akustikgitarre samt summender Platzhaltertexte nicht rückwirkend auffettet: „We were surprised to get it from him, actually, but we thought it was great. And that was it. In a weird way, it’s the end of the story as far as our relationship together.“ – damit setzt der Beginn des womöglich finalen Cave In-Kapitels die ästhetische Ausrichtung.

Für ein theoretisches Flickwerk erstaunlich homogen gehalten, ist Final Transmission also merkbar in sich zerrissen. Wegen der produktionstechnischen Inszenierung, allerdings auch im Fluss der Platte. Gerade, wenn das mittig plazierte Lunar Day ein White Noise-Rauschen im Industrial-Drone und Ambient-Alptraum tranceartig verzerrt auslebt, den nicht restlos schlüssigen Spannungsbogen als ziellos verglühendes Intermezzi auf links dreht. Man merkt phasenweise, dass hier vorhandenes Material zu einen kohärenten Ganzen zusammengefügt wurde, ohne dem roten Faden den letzten Schliff geben zu können. Das Ergebnis ist eher unzureichend ausbalanciert, als unausgegoren.
Final Transmission tut gut daran, eben gar nicht erst zu versuchen, die Dinge künstlich zu beschönigen – oder gar, den zwar instrumental in jedem Song zu hörenden, aber als Brüllwürfel unersetzlich bleiben Scofield in ein versöhnliches Ganzes zu glätten. Gerade jene Szenen, in denen sich die Platte instrumental aggressiv aufreibt, lassen die brutal-archaische Präsenz von Shouer Scofield schmerzlich vermissen.
Etwa, wenn Night Crawler als heavy nach vorne gehender, trockener Rocker im Geiste von Perfect Pitch Black mit massiver Hardcore-Kante, der seine archaische Direktheit immer wieder in flirrende Gitarren kleidet, hinten raus sogar zur hymnisch Kathedrale reicht, oder mehr noch im abschließenden Led to the Wolves – symptomatischerweise eine Scofield-Komposition ohne Scofield. Dort beschwört die Band den massiv rumorenden Exzess und die Kakophonie, mit scheppernden Toms und getriebener Metal Post-Tollwut, bevor Cave In hirnwütig über ihre Instrumente herfallen, das fiepende Feedback setzt ein – doch plötzlich eine abrupte Ruhe herrscht, der Final Transmission ohne Conclusio der Strom abgedreht wird. Es gibt keine Auflösung, kein zufriedenstellendes Ende, keinen runden Abschluß.

Neben Scofields gesanglicher Abwesenheit ist dieser Abgang auch der elementare stilistische, ästhetische und kompositionelle Knackpunkt der Platte.
Man wird wird vom unvorbereiteten, geradezu willkürlich erscheinenden Ende von Final Transmission ebenso hängen gelassen, wie Scofield plötzlich und ohne Vorankündigung aus dem Leben gerissen wurde. Zzurück bleibt auch nach zahlreichen Durchgängen Ratlosigkeit und Irritation. Obwohl man erkennt: Diese Entscheidung ist als Analogie zur Gemütsverfassung und Situation von Cave In, als Reaktion auf den Tod von Scofield wohl ebenso stimmig wie symbolträchtig. Für sich genommen und vom Kontext gelöst (sofern das überhaupt möglich ist) entlässt Led to the Wolves ohne finalen Abschluss gefühltermaßen mittendrinnen, vor dem auflösenden Finale. Das bewirkt ein unbefriedigendes und frustrierendes Gefühl, dass Final Transmission vielleicht langfristig schaden könnte. Ein abschließendes Outro wäre (nach dem Intro und dem empfundenen Mittelteil-Interlude) auch strukturell versöhnlich gewesen.
Die gewählte radikale Entscheidung unterstreicht zudem aber auch, was aus dieser unfertig erscheinen Sammlung mit etwas mehr Zeit, Feinarbeit und Detailversessenheit noch hätte werden können. Denn das versammelte Ausgangsmaterial kann selbst in seiner spartanischen Erscheinungsform, dem reduziert scheppernden Sound und den minimalistischen Klangfarben vielleicht auf den Ersteindruck kaum überwältigend durchaus enttäuschen, wächst aber nichtsdestotrotz mit jedem Durchgang und ist durch die Bank absolut bärenstark und erstklassig.

Das im Gesamtwerk deutlich besser zündende All Illusion installiert die Basis aus wuchtig-scheppernden Schlagzeug und hypnotisch-stellar schimmernde Gitarren, bevor das von allen noch lebenden Mitgliedern eingesungene, lange Zeit instrumental bleibende Shake My Blod erst wie ein Bastard aus Joy Opposites und Seafrost klingt, sich der Song jedoch in eine melancholisch-sehnsüchtig  beschwörenden Wellengang wirft, sich selbst beruhigt, ohne wirklich abzuklingen.
Im überragenden Winter Window platzieren Cave In ihre Ruhelosigkeit in einem schwerfällig groovend-pochendenRahmen, dessen Mittelteil den Tempowechsel zum progressiv-zügigen Rock vollzieht und einen Refrain zum Niederknien parat hält. Das ruppige, ebenso große Strange Reflection sinniert dagegen wunderbar melancholisch-wehmütig in eine leidenschaftliche Intensität und driftet irgendwann gedankenverloren ab, zeichnet immaginativ enorm eindruckvolle Texte über aufwühlende Lyrics, wo Lanterna in Aussicht stellt, wie die Alternative-Zugänglichkeit von Antenna ohne saubere Produktion und zuviel Massentauglichkeit klingen hätte können: Eingängig, aber ungeschönt schleppend, während die Band das Steuer irgendwann wieder umher reißt, anzieht und abbremst. Das sind auch so Nummern für die hauseigene Ewigkeit.

Spätestens hier fällt auch auf: Wo White Silence auf Albumlänge einen entwicklungstechnisch kohärenten Evolutionsbogen beschritt, haben die Songs nun wieder innerhalb ihrer Grenzen und losgelöst von Kontext Freude an der Unberechenbarkeit, nutzen ihre spontane Impulsivität aus. Kaum ein Ausritt endet exakt dort, wo er begonnen hat – und trotzdem ist erkennbar, welche Linie Cave In im groben als Vision für die Sessions der Platte anberaumten.
Auch wenn die letzten Millimeter zur Katharsis dabei fehlen und am Ende Orientierungsschwierigkeiten als latente Einsamkeit über das Werk hereinbricht, hält Final Transmission als süchtig machender Grower und individuelle Highlight-Stafette trotz seiner ins Gewicht fallenden Schönheitsfehler den immens hohen Cave In-Standard weitestgehend ansatzlos. Das wirft vielleicht mehr Fragen auf, als letztendlich beantwortet werden. Dem folgend ist Final Transmission ein geradezu paradoxer Rohdiamant, der im gleichen Maße Wundreizung, Narbengewebe und Trostpflaster darstellt, aber eben auch nicht weniger als die vage Demo-Ahnung davon, dass in Cave In noch ein Meisterstück geschlummert hätte. Am Ende überwiegt deswegen auch Freude und Dankbarkeit, das letzte Material von Caleb Scofield in dieser Form zugänglich gemacht zu bekommen. RIP!

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