Daniel Rossen – You Belong There

von am 13. April 2022 in Album

Daniel Rossen – You Belong There

Komplex aus dem Handgelenk geschüttelter Folk zwischen Prog-, Chamber- und Avantgarde-Verortung: Neun Jahre nach der wunderbaren EP Silent Hour / Golden Mile (und immerhin vier nach der Standalone Single Deerslayer sowie fünf nach dem letzten Grizzly BearLebenszeichen) hat Daniel Rossen endlich sein Debütalbum You Belong There fertiggestellt.

Und auch wenn die 45 Minuten der Platte unter dem Solo-Banner firmieren, sei gleich zum Einstieg explizit darauf hingewiesen, dass You Belong There ohne das Schlagzeugspiel von Rossens altem Kumpel Christopher Bear (und Grateful Dead-Co-Fan) weitaus weniger faszinierend und charakterstark ausgefallen wäre: Wo Rossen das Hirn und die Seele der Platte ausbreitet, liefert Bear den vitalen Herzschlag, der im Dienste der Sache mit jazzig frickelnder Aufgewecktheit agierend so individuell und expressionistisch ausgelegt ist, vertrackt und kompliziert, leichtgängig und flink, quasi entspannt unter Strom stehend.
Ohne Aufdringlichkeit lässt Bear Rossen in einem Destillat technischer Virtuosität stets Raum zu atmen, zu flanieren, auch dem vermeintlichen Müßiggang zu frönen: Alles auf You Belong There scheint in der detaillierten Akribie so bescheiden und nebensächlich aus dem Handgelenk zu kommen, auch wenn zehn Hirnwindungen dazwischen liegen, fängt die ständige Bewegung mit einer Unruhe ein, die keine Nervosität, sondern zuckende, unbändige Elegie meint.

It’s A Passage gibt so zwar der Vorstellung der Gitarre als primär tragendem Element eine Bühne, doch schnell greift alles ineinander: diese sich nicht sofort, eigentlich lange nicht erschließen wollenden Melodien, der aufgeräumte Sound, der vor subtilen Feinheiten und dezenten Facetten wie weichen Harmoniengesängen und kaum greifbaren Piano-Erinnerungen strotzt, die Atmosphäre, der Schönklang und das Können. Shadow in the Frame erblüht in wohldosierten, fein temperierten Amplituden, eilig und beschwingt, nonchalant und ätherisch, das orchestrale Spektrum nur andeutend.
Der Rahmen der Platte bleibt übersichtlich, sein Innerstes funktioniert jedoch wie eine unerschöpflich scheinende Reise in den Kaninchenbau, die das kohärente Ganze über alles stellt – weswegen der Titelsong (ein Erwachen im Sonnenaufgang eines psychedelisch zerrinnenden Morgentaus, der Ryley Walker gefallen könnte, so wie hier alle Elemente eher lose interagieren, als ihre Fäden tatsächlich zu verknüpfen) sowie der sich somnambul in die Arme der Rossen‘schen Alleingemeinschaft legende Abgesang Celia dennoch (und gerade deswegen) eher einen mäandernden Interlude-Status tragen, während sich das labyrinthische Songwriting in seinen kryptischen Zielen im Verlauf ohnedies immer wieder dazu hinreißen lässt, sich in eine Nabelschau zu verlieren, die ein bisschen zu verkopft plingend den restlos packenden Zugang auf emotionaler Ebene vergisst.

Obwohl die grandiosen Highlights das restliche, mitunter auch ein wenig verkrampft agierende Material so merklich überstrahlen, wächst You Belong There allerdings mit jedem die Vertrautheit intensivierenden Durchgang; will die Faszination, die das Album ästhetisch und stilistisch entwickelt, auch instinktiv erforscht und genossen werden, wo die progressiven, enigmatisch bleibenden und sich gefühlt nie ganz erschliesenden Juwelen nach und nach doch griffiger wachsen.
Gerade das bittersüß-pastorale Meisterstück Unpeopled Space (das als verdiente Single nostalgisch auch auf einer alternativen Realität von Shields stammen könnte) beeindruckt, wenn Hooks wie die sanft gesummte Melodie nur sehr zaghaft hängen bleiben, wie subversive Optionen des abstrakten Stils wirken, aber nie wie zwingende Notwendigkeiten. In Tangle klimpert ein Klavier im wiegenden Gang, aufbrausend und verstörend, eine Konstanz im mystischen Suspence, die friedlich zur Ruhe findet. I’ll Wait For Your Visit baut darauf auf, fast wie die tropikale Fantasie eines Karnevals, bei dem die Instrumente miteinander kommunizieren, rumpeln und funkeln und eilen und scheppern, Bläser einen markanten Höhepunkt in die Ecken schleusen.
Keeper and Kin legt sich in eine ambient wogende Grandezza, hat wie alle Passagen etwas dringliches und rastloses, aber auch in sich ruhendes und meditatives – eine eruptive Statik, wie ein sich drehendes Kaleidoskop, das sein inszenatorisches Spektrum so nuanciert wie ambivalent und vielleicht gar widersprüchlich einsetzt. Alles scheint an seinem keinerlei Willkür zulassende Platz stattzufinden, spontan und instinktiv, perfektionistisch und Impulsivität verweigern wollend – leider auch im konkreten Fall mit zu abruptem Ende. Dennoch erfüllt sich das Finale der Platte seinen Wunsch nach mehr Lockerheit sogar relativ gesehen, daher The Last One um verhältnismäßig wenige Ecken gedacht beinahe geradlinig und merklich lohend konzipiert den unverkrampft-beschwingten Schlußpunkt Repeat the Pattern einleitet, der mit heimlich jubilierenden Texturen zweimal ein Ende sucht, sich letztendlich aber sogar noch einen Appendix gönnt. Das kann irritieren und desorientiert machen, im positiven wie frustrierenden, indem die Achse des zeitlosen Momentums den gordischen Knoten anzieht und wohl auch klare Fronten schafft, indem Rossens Kosmos den Zugang abweisend verweigert oder eine unbändige Anziehungskraft entwickelt. So oder so ist hat diese Wirkung jedoch wohl etwas erfüllendes für einen selbst, denn wahrhaftig –  You Belong There.

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