Idles – Joy as an Act of Resistance

von am 19. September 2018 in Album

Idles – Joy as an Act of Resistance

Joy as an Act of Resistance bedeutet Post-Punkrock in Anti-Anti-Alles, dafür ordentlich mitreißend-ausgelassener Aufbruchstimmung: Idles haben mit ihrem Zweitwerk ausdrücklich ihren Spaß daran, sich verletzlich zu zeigen, auf die Barrikaden zu steigen und sich mit trinkfesten Hymnen dezidiert auf der richtigen Seite der Fronten zu positionieren.

Das insofern präzise betitelte Zweitwerk Joy as an Act of Resistance justiert für seine darauf folgende Stafette ausgelassener Post-Punk/Rock-Hits knapp eineinhalb Jahre nach dem starken Debüt [amazon_link id=“B06Y6DYFMT“ target=“_blank“ ]Brutalism[/amazon_link] wenig subversiv die Schrauben des Idles-Sounds. Das Quintett aus Bristol hat seine Krallen profiltechnisch geschärft, indem die Melodien nun deutlich mehr trinkfesten Pop zulässt, griffig im Sturm nimmt und es kaum noch unter dem infektiösen Ohrwurm machen will, während Frontmann Joe Talbot seine (das politische und persönliche nicht notwendigerweise trennen wollenden) Texte mit einer Fülle an schmissigen Slogans, popkulturellen Verweisen und ansatzlos zitierbaren Zeilen füttert.
Egal ob eloquent vorgetragene emotionale Selbstherapie, das Rütteln am Stigmata der Geschlechterrollen oder ein Druckventil für gesellschaftliche Unzufriedenheit ganz allgemein: Der aktuell heißeste Scheiß Englands kennt den gemeinsamen Nenner in der Spannweite von nölig rezitierten Vorträgen ala Art Brut und Sleaford Mods auch mit einer weniger adretten Klinge als Shame sie pflegen, markiert aber ein stetes „Dafür“-Gefühl anstelle des obligatorischen Punk-„Dagegens“. Pro-Migration und keine Machismen, „Loneliness, loneliness, it just a waste of time“ und „a brave naked smile in this shitty new world„.
43 Minuten kennt diese wilde Protestparty voller assoziativer und direkter Reminiszenzen deswegen praktisch kein Halten und treibt das Feuilleton durchaus nachvollziehbar zur kollektiven Hipster-Schnappatmung, räumt auf und holt unmittelbar an Bord.

Colossus beginnt wie der dystopische Postpunk von Preoccupations, röhrt und brodelt und pocht aus dem kalten Hall heraus, rumort martialisch schiebend polternd, zu einer tollwütig beschwörenden Dramatik immer dringlicher hetzend – bis Idles den zweiten Part des Openers plötzlich für einen waschechten Punk-Sprinter revidieren, atemlos und simpel, der die ganze Band mit assigen „Yeah!“-Gebrüll im Rücken hat.
Never Fight a Man With a Perm ist die galoppierend-repetitive Raufbold-Variante von Protomartyr, verweist auf Nancy Sinatra und klaut bei Symarip („These boots are made for stomping/ And that’s just what they’ll do/ One of these days these boots are gonna/ Stomp all over you.“) und lässt den stampfenden Rhythmus in einen anstiftenden Refrain explodierend, wo auch I‘m Scum neben seiner bei den Buzzcocks und Undertones kurbelnden Basis plötzlich eine vor Spielwitz übergehendend antreibenden Chorus in die Waagschale wirft, wie ihn die Libertines, Paddingtons und Co. um die Jahrtausendwende aus den Pubs geschleudert haben, addiert aber den Mittelfinger Richtung Alt-Right: „This snowflake’s an avalanche“.
Auch nach zehn Bier wird dann das mitgröhlbare Danny Nedelko noch problemlos gehen: Idles‚ Tribut an den titelspendenden Heavy Lungs-Kumpel ist ein Statement zur Migration und nimmt den ermüden könnenden Weg von den Rakes auf Kerosin über die Ramones hin zu den Fratellis: „Yeah, yeah, yeah, yeah/ Yeah, yeah, yeah, yeah/ Yeah, yeah, yeah, yeah/ Yeah, yeah, Danny Nedelko“.

Love Song kickt abgedämpft, ungemütlich und gefährlich aufrührerisch, bekommt dann einen Achterbahn-Drive, der sich in einen schwindelerregend drehend entlädt, bevor das düster pulsierende June als Aufarbeitung vor Talbots tot geborener Tochter Agatha dient. Pietätlos zwar, aber: Trotz einer innerlich brodelnden Aufgewühltheit schaffen es die gezeichneten Bilder auch in ihrer wiederholten Limitierung nicht unbedingt, unter die Haut zu gehen (wie etwa ein Skeleton Tree dies tat und tut). Gerade auch wegen seiner permanenten Frontalität wollen die Momente emotionaler Katharsis auf Joy as an Act of Resistance ohnedies nicht auf berührende Art packen – für die Bandbreite und im Albumfluss funktioniert der Song rein auf musikalischer allerdings zweckmäßig.
Effektiver sind Idles ohnedies, wenn sie ihre Komfortzone bedienen. Samaritans (radikal: „This is a song about the disease in the brain called masculinity„) ist eine Paradesingle als konzentriertes Destillat aus ineinander verschweißten, sich gegenseitig aufreibenden Gitarren und einer eng nebeneinander stehenden Rhythmussektion, die im Refrain zum catchy Noiserock rollt und hinten raus eine smarte Interpolation von Katy Perry an den Tag legt („I kissed a boy and I liked it“) wo Talbot seinen Mann abseits von Klischees zu stehen versucht („The mask/ Of masculinity/ Is a mask/ A mask that’s wearing me/ …/ I’m a real boy/ Boy, and I cry“). Auch Television diskutiert Geschlechterrollen („I spoke to God in my dreams last night/She said / I’d go to heaven if my teeth was white“) und ist ein straighter Zug zum Tor, der die Kakophonie wie nebenbei im Hintergrund abdeckt und den Pop mit Rasierklingen ausstattet, wohingegen Great Future of the Left den Schlachtrufgesang für Stadien beibringen könnte.

Gram Rock reiht eine scharfkantige Hook an die nächste und zaubert für den Appendix noch einmal („Ten points to Gryffindor, uh-huh/ Yeah! (Yeah!)/ Uh-huh„), bevor sich Idles den Klassiker Cry to Me zu Eigen machen – selbst mit Tränen in den Augen lässt sich schließlich ein Stück leidenschaftlicher Euphorie finden. Nur das abschließende Rottweiler arbeitet in dieser Stafette aus kompakten Energiebündeln jedoch tatsächlich auslaugender, aggressiver, exzessiver und serviert sich nicht am Silbertablet – führt damit auch deutlich vor, was man am Zweitwerk der Band unmittelbar zu schätzen wissen darf, auf Sicht aber auch alles vermissen kann.
Während das rohe, angepisste und aggressive Element des Debüts fehlt, definiert alleine der pure Unterhaltungswert die Substanz von Joy as an Act of Resistance. Idles reißen dafür lieber auf dem Weg zu einem schnell erfassbaren Simplizismus mit, agieren damit aber auch zu wenig ausgefeilt und nutzen die enorme Eingängigkeit der Platte schnell ab.
Und natürlich: Die intuitive Dringlichkeit, der Spaß an der Sache sowie ein permanenter Sturm und Drang-Gedanke, der nicht über drei Takes hinausgehen darf, sind durchaus effektiv und Idles in dieser Phase ihrer Karriere weitaus wichtiger als nachhaltige Komplexität. Ein paar lautmalend anfeuernde Stimmungsmachende („Hey!“ und „Yeah!“ und „U-Hu!“ und „Yeah!“ an allen Ecken und Enden vieler smarter Zeilen) hier und da wären hinsichtlich der Halbwertszeit allerdings wohl dennoch ganz gut gewesen. So aber macht es Joy as an Act of Resistance der wachsenden Hörerschaft schlichtweg zu einfach, biedert sich mit einer stumpfen Plakativität auch immer wieder übersättigend an.

Auch inhaltlich und inszenatorisch. Idles treffen mit ihrem politisch korrekten Punkrock zwischen Brexit und #Meoo, Trump’ismen und anhaltenden Migrationsdiskussionen sicherlich einen Nerv der Zeit, und artikulieren ihr Gespür für ansteckende Smasher erfrischend spontan, energisch, gelöst und ausgelassen.
Dennoch wirkt die Platte lyrisch in ihrer klaren Verortung nicht unbedingt ausdifferenziert. Weniger, als würde Talbot dem Feuilleton und seinem Klientel unauthentisch nach dem Maul schreiben wollen, als würde sein permanenter Griff zum einfach aufzugreifenden Einzeiler einfach oberflächlich kalkulieren.
Auf der anderen Seite bleiben die Texte zumindest ansatzlos hängen – was man so nur von wenigen musikalische Ideen behaupten kann, die vielmehr als gleichförmig verschwimmender, aber extrem dynamischer Katalysator funktionieren. Das ist schade, weil Idles auf allen Hochzeiten tanzend vielleicht nicht den richtigen Fokus setzen und ihr Zweitwerk sich mit etwas Abstand eher als Strohfeuer, denn als Flächenbrand entpuppt.
Zumindest für den Augenblick spielen derartige Überlegungen aber nur eine untergeordnete Rolle. Joy as an Act of Resistance hat immerhin das unfassbar vitale Momentum auf seiner Seite. Und manchmal müssen die Dinge vielleicht auch einfach nicht verkompliziert werden, wenn die Botschaft (weitestgehend) stimmt, und die Masse für den lebensbejahenden Konsens geeint werden soll.

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