Jerry Cantrell – Brighten

von am 1. November 2021 in Album

Jerry Cantrell – Brighten

Alternative Rock mit omnipräsenten Country-Tendenzen zeigen Jerry Cantrell so zugänglich wie nie zuvor: Brighten ist also nicht das Album, auf das man fast zwei Jahrzehnte seit dem überragenden Monolithen Degradation Trip gewartet hat.

Dass ein abermaliger solcher Koloss unter den heutigen Umständen für den mittlerweile 55 jähren auch aufgrund einer gewissen Zufriedenheit, die er mit Alice In Chains im Leben nach Layne Staley gefunden hat, gar nicht mehr möglich gewesen wäre, ist an sich keine Überraschung.
Dennoch ist Brighten eine Platte geworden, die auf den Erstkontakt in ihrer schnell und einfach zu erfassenden Eingängigkeit enttäuschen, ja zumindest irritieren kann: Mit den Schlagzeugern Gil Sharone and Abe Laboriel, Jr. (Paul McCartney) im Rücken, dazu Pedal Steel-Mann Michael Rozon und Vincent Jones am Piano, Wurlitzer und Orgel sowie Gastbeiträgen von Bassist Duff McKagan und dem stets dezent zurückhaltenden Backgroundsänger Greg Puciato als Bandkollegen hat Cantrell eine regelrecht konsensfähige Sammlung aus (mal mehr, mal weniger) potentiellen Singles zusammengestellt.
Gelegentlich, wie im hardrockigen Titelstück, das eigentlich sanft und zurückgelehnt fast salopp klimpert oder im souliger unterlegten Had to Know, macht es sich Cantrell mit einer latenten Harmlosigkeit oder gar Radiotauglichkeit (was hier nicht unbedingt negativ gemeint ist, sondern eher die Verdaulichkeit im Verbund mit dem Händchen für eingängige Melodien und Tiefgang meint) vielleicht schon zu einfach, indem er die Dinge ohne Überraschung sicher nach Hause gespielt. Das Songwriting agiert dabei immer wieder vorhersehbar, weil so zuverlässig entlang der Cantrell-Signaturen gedacht, läuft wenig fordernd oft auf Schiene und serviert gewissermaßen bissfertige Verlängerungen von Rainier Fog, voller griffiger Harmonien und Hooks, atmosphärisch aufbereitet – weswegen sich Brighten nach und nach auch als Grower entpuppt, der vielleicht keine neuen Ebenen in seinem Wesen preisgibt, die immanente Klasse seiner Substanz allerdings eben auch zeitlos artikuliert.

Am besten ist Brighten dabei, wenn Cantrell den doomigen Grunge nicht alleine weit in den gediegenen Alternative Rock verschiebt (worauf er sich in den relativ konventionellen Refrains jedoch weitestgehend beschränkt und alle weiteren stilistischen Einflüsse zu unverbindlich aus dem Fokus nimmt, sie beinahe wie ästhetische Ausschmückungen wirken lässt), sondern die Stimmung an vom Country, Blues und Americana gegärbten Facetten reibt.
Zwar passiert das leider nie mehr derart konsequent wie im untypisch heavy einwirkenden Opener Atone, dessen Western-Flair düster stampft und mit der schreitenden Percussion über eine majestätische Prärie zu einer beschwörend-dräuenden Outlaw-Eindringlichkeit schnalzt. Es ist aber eine stilistische Optik, die Cantrell generell grandios steht, sogar wenn etwa Prism of Doubt ähnliches macht wie der Alice In Chains-taugliche Einstieg Atone, nur in der komplett entgegengesetzt Stimmung: So locker und gelöst, leicht und optimistisch, hat man Cantrell selten gehört, wenn er mit warmer Nostalgie alle Klaustrophobische Melancholie hinwegschunkelt. Auch Black Hearts and Evil Done eröffnet neue Perspektiven, wenn sich die Nummer von der Acoustic- und Lap Steel-Gitarre in den Singer/Songwrite- Folk tragen lässt um in gar blumigen 70s-Harmoniegesängen aufzugehen.

Der getragene Siren Song lässt seine Schuld-und-Sühne-Melancholie an Kakteen in der Finsternis durch die Prärie vorbeistrahlen. Staubig, aber präzise und glasklar produziert liefert Cantrell dazu einen hymnischen Chorus, heult mit großer Geste in die verdiente Komfortzone, wo auch Nobody Breaks You im einfühlsam-behutsamen Countryrock ein Instant-Ohrwurm ist. Dismembered gönnt sich einen Roadhouse-Anstrich ist aber primär ein typisiertes Schaulaufen, das ab dem Übergang in die psychedelisch loslassende Bridge toll aufzeigt, bevor das Elton John-Cover Goodbye einen Kreis zu Black Gives Way to Blue schließt und als kurzer Epilog in Form einer sentimentalen Ballade am Klavier mit orchestralem Kitsch die Balance bewahrt, ohne in den Schmalz abzudriften, derweil die verhalten dröhnenden Gitarren einen Kontext zum restlichen Album herstellen und Cantrell gesangliche Assoziationen an Chris Cornell weckt.
Dass die Dinge in diesem Schlusspunkt kurzweilig und bekömmlich bleiben, ja auch einfach angenehm und ein bisschen gefällig, ist durchaus symptomatisch – und spricht letztendlich doch vor allem für diese Qualitäten dieser Solo-Rückkehr. Anstatt sich einen weiteren schwer verdaulichen Brocken abzuringen, liefert Cantrell ein Album in für ihn ungewöhnlicher Ausrichtung: Es fällt leicht Brighten aufzulegen, es ist kein erschöpfender Kraftakt – man tut es einfach gerne und plötzlich auch immer wieder.
Das dritte Studioalbum der unfehlbaren Instanz ist vielleicht nicht am Optimum seiner Möglichkeiten gebaut, aber dabei eine neue Lockerheit zeigend stets absolut unterhaltsam und macht trotz einiger auch gerade textlich in den Abgrund blickender Szenen so ausgerichtet geradezu loslassenden, nun ja, unbeschwerte Laune.

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