Kayo Dot – Gamma Knife

von am 31. Januar 2012 in Album

Kayo Dot – Gamma Knife

Szene-Legende Toby Driver führt seine ohnedies noch niemals kontaktscheue Ambient-Free-Jazz Kapelle auf dem kürzesten Album seiner Kariere bis hinaus in den Black Metal. Und landet im Schlussakt im altmodischem Souljazz.

Wenn der als Schlußakt gesetzte Titelsong verklingt, hätte die Platte in seiner verqueren Schönheit noch mindestens eine Ewigkeit weitergehen können. Bezeichnend, dass man nach den abschließenden sieben Minuten den kakophonischen Wahnsinn nahezu vergessen hat, den Tobin Driver auf dem restlichen ‚Gamma Ray‚ losgelassen hat. Diesem überraschenden Quasi-Schnellschuss von einem Album-Berserker, der sich vor seiner regulären Veröffentlichung auf Vinyl schon auf die Bandcamp Seite der Band gedrängelt hat und dafür sogar ein Augenkrebs erregendes Neoncover als Übergangslösung akzeptiert. Ein Tribut an die neue Dringlichkeit im Kayo Dot Universum: ‚Gamma Knife‚ geht den – natürlich im Bandkontext zu betrachtenden – direktest denkbaren Weg. Obwohl die Brooklyner noch mehr Genres massakrieren, als je zuvor.

Eine dringend nötige Frischgellenkur, nach dem sehr guten, in seiner Ausformulierung jedoch auch ernüchternden ‚Coyote‚ von 2010. Dagegen fühlt sich ‚Gamma Knife‚ wie der spastisch unentschlossene, ambivalent homogene Schlag aus dem Hinterhalt an, eingerahmt von den bis dato eventuell „schönsten“ Kayo Dot Songs überhaupt: ‚Lethe‚ verzückt mit sakkralem Glockensturm, gibt sich erhaben und rückt die Streicher in die Ferne, Toby Driver´s Gesang schwebt dabei niemals greifbar über den Dingen. Dieser hat seine Sternstunde dennoch erst im erwähnten Titelsong, der den Bandmastermind als entrückte Ambientversion von Nina Simone in Erscheinung treten lässt – die Gitarre perlt dazu ohne nachvollziehbare Melodie, das Piano fängt die einsamen Töne behutsam auf. Ein Geniestreich zwischen Jazz, Soul und Blues, der bezauberndste Noir-Moment der Bandgeschichte – dafür wurden regentage gemacht.

Das Versöhnliche auf ‚Gamma Ray‚, das begrüßt und entlässt allerdings nur – zwischen dem Anfang- und Endpunkt des sechsten Kayo Dot Albums herrscht der Wahnsinn hingegen in abgründigen Formen: Toby Driver und die Seinen inszenieren Jazz so typisch als Kakophonie, wüten nun dazu auch in extremeren Gefilden. ‚Rite of Goetic Evocation‚ entpuppt sich als Black Metal ohne Blastbeats, als Blechblastornado mit keifenden Vocals und vollkommen austickendem Schlagzeugspiel, der seinen Gefährten im nicht minder monströsen ‚Ocellated God‚ findet: Riffskizzen werden von tollwütigen Saxofonen gefressen, kämpfen hinter der nächsten Ecke um ihr Überleben und hinterlassen ein Gemetzel der virtuosen Instrumentierung. Die verstörende Ambient-Noise Krawallwalze ‚Mirror Water, Lightning Night‚ geht in dieser Gesellschaft doch tatsächlich als Ruhepol durch.

Das Auf- und Ab der Platte findet seinen roten Faden in der weltfremden Stimmung und seiner Kompaktheit. Keiner der vorgelegten fünf Songs übersteigt die sieben Minuten, da kann für geübte Kayo Dot Hörer schon einmal (nicht nur zwangsläufig aufgrund der Länge/Kürze) der Eindruck entstehen, es mit beschnittenen Kompositionen zu tun zu haben. Im Grunde  formen Driver und Co. aus dem Material so jedoch das geschlossenste und stimmigste Kayo Dot Album seit langer Zeit. Und weil ‚Gamma Ray‚ dazu seit mindestens dem selben Zeitraum auch noch das mutigste Werk dieser ohnedies niemals Scheuklappen tragenden Band geworden ist darf man mutmaßen: spannender waren die Zukunftsaussichten für Kayo Dot wohl seit ‚Choirs of the Eye‚ nicht mehr.

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