Lana Del Rey – Norman Fucking Rockwell

von am 6. September 2019 in Album, Heavy Rotation

Lana Del Rey – Norman Fucking Rockwell

Zumindest sechs Songs hat Elizabeth Woolridge Grant in ihrer Rolle als Ikone der unglücklichen Romantik, glamourösen Nostalgie und melancholischen Tragik bereits im Vorfeld zu Norman Fucking Rockwell ausgekoppelt – jeder einzelne davon ein kleines Prunkstück ihrer Karriere.

Bevor man jedoch darüber ins Schwärmen gerät, weswegen die acht weiteren, nun ihr sechstes Studioalbum komplettierenden Nummern das Niveau der im Laufe des vergangenen Jahres vorausgeschickten Stücke mühelos halten (und aktuell gar zum unglaublichen Scene Stealer mutieren), fällt es beinahe schwer die wenigen, letztendlich kaum gravierenden Makel der Platte zu fokussieren.
Lana Del Rey mit Jack Nicholsons Enkel Duke am Segelboot, das ist mit seinem wahllos eingefügten Comicstyle nicht unpassend spontan, aber doch ein bisschen billiger hingeklatscht wirkend, als dass es die dahinterstehenden Musik tatsächlich adäquat und würdig repräsentieren würde. Gerade bei diesem Titel hätte mehr drin sein sollen. Es mag allerdings entfernt dem popkulturellen Referenzwahn von einem Werk namens Norman Fucking Rockwell entsprechen, in dessen Verlauf man unter anderem namentlichen Verweisen auf Dennis Wilson, Kanye West, Slim Aarons oder Sylvia Plath begegnet und deswegen immer wieder an eine kalifornisch schwelgende, profane US-ikonische Variante von Father John Mistys Sternstunde Pure Comedy (2017) denken darf.

Dass sich die Texte dabei primär einmal mehr formelhaft um die üblichen unerfüllbaren Sehnsüchte – also Schlagwörter a la „Beach“, „Love“, „Dance“ und „Party“ – in wehenden Kleidern drehen, ist vor allem dann nur bedingt tiefgründig, wenn man sich nicht mit all den smarten, mal direkter, mal subversiver eingebauten lyrischen Verweisen auf Neil Young, Led Zeppelin, The Shondells, Crosby, Stills, & Nash, Joni Mitchell, Ozzie Nelson, Cyndi Lauper bzw. Robert Hazard oder die Beatles auseinandersetzen möchte. Zur Not bleibt aber ja selbst dann die gewohnt imaginative Wirkung der verführerischen Tropen und Klischees, in dessen teilfiktiver Melange aus autobiographischen Aufnahmen man sich ohne Raum-Zeit-Gefühl verlieren kann.
Und ja, wie jedes ihrer vier Major-Label-Alben Born to Die (2012), Ultraviolence (2014), Honeymoon (2015) und Lust for Life (2017) ist Norman Fucking Rockwell selbst gelöst von diesem Raum-Zeit-Gefühl mit seiner Spielzeit von 67 Minuten ebenfalls eine Spur zu voluminös ausgefallen – paradoxerweise oft gerade dann, wenn Lana die weitestgehend balladesk-entschleunigte Klammer der Anfangs- und Endphase zugunsten einer rhythmusoffener arbeitenden Phase dynamisch antaucht.
Einzig: Es lassen sich im Gegensatz zu den Vorhängerwerken diesmal im Umkehrschluss jedoch eigentlich keine tatsächlich schwächelnden Songs festmachen; es gibt kaum ein qualitatives Gefälle, gerade nicht hinten raus wie üblich und leider auf dem superben Ultraviolence. Man möchte keine der 14 eleganten Nummern missen, nicht einmal den doch ein wenig zu lamoryant und träge gen Eagles aus der Spannung schwofenden, eventuell auch nur seinen ethno-affinen Chorus zweimal zu oft benutzenden Ohrwurm The Next Best American Record. Weil Norman Fucking Rockwell selbst hier niemals wirklich auf gefälligen Durchzug schalten lässt, stets mit grandiosen Melodien und Hooks an der Stange hält, sei es durch kleine Nuancen oder grundlegende Variationen.

Und ganz allgemein hat die 34 Jährige unter der federführenden Ägide von Produzenten-Wunderwuzzi und Co-Autor Jack Antonoff durchaus an der Verortung ihrer Kompositionen geschraubt. Eine stilistische Gewichtsverlagerung rückt ihren patentiert-typischen, so vertrauten Signature Sound mit den sepiaschwülstigen Trademark-Gesten hin zu einem aufgeräumteren, softrockigeren, mit latenten Psych-Ansätzen spielenden Klangbild, formt eine einlullende „folk record with a little surf twist„, direkt aus den 70ern implementiert, der die Ästhetik ebenso wie das Songwriting auf das wohl ambitionierteste Podest der Lana Del Rey hebt.
Klangen die Alben der New Yorkerin stets wie authentische Hommagen an entrückte Erinnerungen im 50s-Look der Vereinigten Staaten, schärfen die Stücke von Norman Fucking Rockwell in ihrem Wesen gefühltermaßen die künstlerische Handschrift von Anachronistin Grant sogar zusätzlich, indem sich die Konturen weicher betten als zuvor, sich dabei nahezu formvollendet in einem vergänglichen Tagtraum des Classic Rock ausbreiten. So agiert Del Rey nahbarer und auf authentische Art intimer als bisher, gerade in den Szenen, die alleine ihre Stimme vor einem einsamen Klavier ausleuchten, nur wenig sonstige Ablenkung zulassen. Love Song ist da etwa pure Fragilität und das anbetungswürdige Bartender pirouettiert in Zeitlupe um sein Wortspiel und den Alkoholismus. Hope Is A Dangerous Thing For A Woman Like Me To Have-But I Have It beendet den Reigen so naiv wie hoffnungsvoll über einen traurigen Optimismus („Don’t ask if I’m happy, you know that I’m not/ But at best, I can say I’m not sad“) und der Opener und Titelsong gönnt seiner verspielten Nachdenklichkeit an den Tasten eine kurze Streicher-Ouvertüre, setzt seine Orchesterbegleitung später so subtil ein. Die Balance der des Albums ist sensationell.

Gerade nach den doch enttäuschenden, ernüchternd schlecht gealterten Trap-Zeitgeist-Anbiederungen von Lust for Life funktioniert das Gewand von Antonoff für Del Rey wie ein Befreiungsschlag, deutlich klassischer und stilvoller, auch näher bei sich selbst, legt aber im direkten Vergleich zu beispielsweise dem elegischen Golden Age-Cinemascope von Honeymoon eine luftigere, weniger hermetische Gesamtdichte an den Tag, wodurch alles hier leichtgängiger und beweglicher anmutet. Dazu kommt im Ganzen ein generell runderer Spannungsbogen, der die homogene Stimmung ohne Gleichförmigkeit fließen lässt.
Insofern erweist sich allein die an sich spektakulärere, aber kohärenter in den Kontext eingefügte Wahl des obligatorischen Coversongs als repräsentativ für das Auftreten: Doin‘ Time, der Gershwin‚eske Ska von Sublime, wird hier ein unheimlich relaxt groovender Yacht-Bummler durch Malibu im weichen Sonnenschein, jene Art subtiler Club-Enstpannung, für die Lust for Life zu wenig subversiv war – und funkelt damit nicht nur gewissermaßen als Korrektur der Vorgängerplatte, sondern auch das Original vereinnahmend als Paradebeispiel für die smoothe Gangart von Norman Fucking Rockwell im Speziellen.

Man gerät also trotz der einen oder anderen Kleinigkeit also unweigerlich ins Schwärmen durch all die emotional aufwühlende und versöhnlich einnehmende Schönheit – irgendwann über das Gesamtkunstwerk Norman Fucking Rockwell, zuvor über einzelne Glanztaten.
Mariners Apartment Complex addiert zu dem Spektrum des schüchternen Pianos beispielsweise eine akustische Gitarre samt zurückhaltendem Schlagzeug für ein sanftes Folkrock-Flair, das Sean Lennon gefallen wird. Mal scheint es, als hätte Del Rey im weiteren Verlauf Halluzinationen von Portishead assimiliert (im wogenden Trip Hop-Lullabye Fuck It I Love You) und dann in Cinnamon Girl wieder eine so minimalistische, synthiesk-dunkel funkelnde Mitternachts R&B-Elegie aufgenommen, wie sie den frühen The Xx ins Konzept gepasst hätte – samt ambienten Abspann, der alle Zeit der Welt hat.
Stichwort Müßiggang: Der Geniestreich Venice Bitch hat als durch SoCal driftender Opus, der als Kaleidoskop-Jam mit sanft gezupften Saiten und ein bisschen Fuzz seiner Melodie in immer neuen strukturoffenen Schattierungen über knapp 10 Minuten folgt, auch nach bald einem Jahr nichts von seiner Faszination verloren. Im Gegenteil: In das Album integriert funktioniert die uferlose Nummer noch fesselnder, was so auch für die mit unsichtiger Beat-Zurückhaltung restaurierte Vintage-Romantik des unscheinbaren How to Disappear gilt.
California hat dagegen als Aushängeschild eine fast verzweifelt beschwörende Dringlichkeit, konterkariert diese aber mit einem sedativen Schleier, wo auch Happiness Is A Butterfly aus dem Kontrast der kraftvollen Geste und der weichen Harmonieseligkeit auftrumpft, wo The Greatest nicht weniger als eine triumphierende Hymne ist, die sich in der Inszenierung jedoch so bodenständig für eine energische Zerbrechlichkeit ohne billigen Pomp entscheidet.
All diese Kompositionen heben den Output der wohl konstantesten Pop-Lieferantinnen des laufenden Jahrzehnts auf die nächste Entwicklungsstufe, verleihen Norman Fucking Rockwell die Grandezza eines assoziativen Lebensgefühl-Soundtracks, in den man sich unvergänglich verlieren kann. Ob man daraus so bald überhaupt wieder auftauchen wollen wird bleibt fraglich – und das obwohl Lana Fucking Del Rey mit White Hot Forever bereits einen Nachfolger für 2020 angekündigt hat.

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