Melt Downer – Melt Downer

von am 30. Juni 2017 in Album, Heavy Rotation

Melt Downer – Melt Downer

Während etwa Meat Wave mit The Incessant bereits furios vorgelegt haben und Metz ihr Drittwerk in die Startlöcher bringen, ist das theoretisch hart umkämpfte Rennen um die Noiserock-Krone 2017 praktisch eigentlich bereits entschieden: Einen fieseren Brocken als das Wollmilchsau-Debüt von Melt Downer wird das gegen den Strich randalierende Genre schließlich so bald nicht auskotzen.

Ein bisschen konnte man Melt Downer ja eigentlich bereits aus den Augen verlieren, bevor das Trio wirklich in die Gänge kam. Immerhin ist es bereits über drei Jahre her, dass Wolfgang Möstl und Mario Zangl ihre Killed by 9V Batteries beerdigten, nur um kurze Zeit später im Verbund mit Torso-Gast Florian Giessauf eben gleich Melt Downer aus der Taufe zu heben – gefühltermaßen auch wegen der personellen Überschneidungen sowie des zeitlich nahtlos fließend scheinenden Übergang das inoffizielle Nachfolgeprojekt zur legendären Indiekombo.
Wie dem auch sei – die subjektiv lang scheinende Wartezeit auf das erste Tonträger-Lebenszeichen sieht man Melt Downer nun bedenkenlos nach. Weniger deswegen, weil Möstl in den vergangenen Jahren (ob nun als Go to Guy am Produzentenstuhl, [im Verbund mit Zangl] als Motor von Mile Me Deaf oder erfrischender Impulsgeber von Sex Jams) bekanntlich mehr als vollbeschäftigt seinen Ruf als getriebene Veröffentlichungsmaschine untermauerte. Sondern viel eher, weil sich nun zeigt, dass Melt Downer seit ihrer Gründung akribisch an Material arbeiteten, es über Live-Exzesse destilliert und geformt haben – und jedwede Erwartungshaltungen damit nun praktisch ansatzlos aus dem Stand heraus übertreffen, indem sie mit ihrem selbstbetitelten Debüt einen bestialischen Kraftakt abliefern, alleine schon quantitativ. 74 fordernde Minuten frisst dieses Monstrum von einer Platte, das sich mit unberechenbarer Vielseitigkeit in einer Kampfzone austobt, die den Noiserock bloß als assimilierende Kernkompetenz begreift.

Junkademy explodiert gleich drahtig über seine hyperventilierenden Drums und die industrial-artigen Gitarrenspuren, spätestens wenn Melt Downer zur Attacke umschalten, hat das etwas von der Gefährlichkeit der frühen Icarus Line, die Cardamona so ähnlich auch seinen Spezis wie Destruction Unit eingeimpft hat. Das Trio aus Österreich wagt dagegen irgendwo die Probe aufs Exempel, wie ungemütlich eingängig der Hang zum giftig aufs Gaspedal tretenden Noise hinter vorgehaltener Hand sein kann. RAVE bringt dagegen den punkigen Country des Gun Club in den Pit, stackst heftig, der Groove hat etwas von der rohen Unsane-Drahtigkeit, bevor Keep Falling Off erst auf der Tanzfläche flimmernd knarzt und seinen Twang mit sägendem Hardcore-Antrieb eskalieren lässt, um sexy zu stampfen.
Mutter schüttet einen Kübel Dreck über die Dinge, die man von Duane Denison und The Jesus Lizard gelernt hat – so könnte Andy Falkous mit Future of the Left oder Christian Fitness ohne seine griffigen Einzeiler klingen: Nach Proto-Grunge mit subtil injizierten Melodiegespür. White Gathering fackelt als schmissiger Stop and Go-Punker nicht lange, ist räudig und brachial ungestüm. Back Down for the People of the Past hämmert sein Riff in die Nackenmuskulatur weniger Sludge-affiner Momente der Melvins, Trespass sprintet in gerade einmal 102 Sekunden über eine Blumenwiese aus Stacheldraht.
Eine Treffsicherheit, die beispielsweise  Science is Fiction ausnahmsweise abgeht: Was zuerst als High Speed-Hatz auf der Überholspur begeistert, die nervös an der Gangschaltung reißt, verliert sich nach und nach in der eigenen Widerborstigkeit. Nur selten hat man auf Melt Downer so wie hier das Gefühl, als würde die Band nicht wirklich zum Punkt kommen.
In der steten Wendigkeit um ihre Dringlichkeit ist die Platte aber selbst in den reduzierter mitreißenden Augenblicken in einem kohärenten Fluss. Melt Downer erarbeiten ihre Launenhaftigkeit schließlich weniger aus dem Hinterhalt kommend mit unvorbereiteten Überraschungseffekten, sondern lassen jede Finte, Ecke, Kante und neue Abzweigubg im steten Fluss heranwachsen. Das Album mutiert ständig um ihren Kernsound, ist sprunghaft, aber nicht inkonsistent. Die fabelhafte Produktion schwitzt dabei eine pure DIY-Ästhetik, zähnefletschend, treibend, druckvoll und aggressiv. Knackig und zielgerichtet eben, aber nicht einengend. Das Klanggewand unterstützt so die Impulsivität der Platte in all ihren Texturen, Facetten und unbarmherzigen Widerhaken, gibt ihren atemlosen Dynamiken und Spannungsbögen jedoch immer wieder den nötigen Raum, um die Zügel zu lockernm auch einmal neugierig und pirschend umherzustreunen, um tollwütige Erkundungstouren zu unternehmen.

Dann bilden sich plötzlich oszillierend ausgebremste Exkursionen wie das mit geschlossenen Augen auf einen Trip begebende Patterns in Random Data. Über sieben kurzweilige Minuten intellektualisieren Melt Downer weiterhin nicht, aber trällern sich über eine zurückgenommene Berg und Talfahrt in ein psychedelisch schimmerndes Slint-Konstrukt aus spinnennetzartigen Gitarrenfiguren, einem gurgelnden Bass und nicht stillhalten wollenden Drums – im Verbund greift hier jedes Detail wunderbar zweckdienlich und unegozentrisch ineinander. Die Platte atmet in dieser Phase erstmals durch, baut über deliriante Schichten und den immanenten Groove neue zwielichtige Spannungen auf, ohne diese demonstrativ aufzulösen: Das wäre im Kontext beruhigend, wenn es sich nicht viel eher anfühlen würde, dass würden sich Melt Downer aus der Rückenlage langsam aber sicher umso energischer auf die Hinterbeine zu stellen beginnen.
Doch das Trio geht selten den obligatorischsten Weg. The Leisure Death flirtet lieber mit dem Postpunk von Suicide und kurbelt stoisch, maschinell, sogar irgendwo poppig. Das Tempo zieht an, der Song wird ein kreischendes Loslassen – nicht aggressiv, sondern befreit. Samples und säuselnde Backingchöre schmücken die klar erkennbaren Ursprünge der Kompostion als Jam aus.
Im knapp neunminütigen Geniestreich Sri Lanka lichtet die Band den Tumult gar mit entwaffnender Melodie und einer Sonic Youth’schen Anti-Sesshaftigkeit. Das brutzelt mit Dampf unter der Haube, aber nonchalanter Genügsamkeit in der Wucht, dreampoppige Patina über der kantigen Geschmeidigkeit und einer fiependen Rebellion in der traumwandelnd neben der Spur cruisenden Scheuklappenlosigkeit: Melt Downer haben hier halluzinierende Visionen von Weltmusik-Ansätzen, als wäre es das Selbstverständlichste im Noiserock-Kosmos – die Rhythmussektion grundiert unbeirrt funkelnd mit der unbedingten Geduld des Krautrock, während das beschwörende Solo in den Orient fliegt.
Dass es Melt Downer mit derartig weitgereistem Rückenwind am Ende komplett aushängt, ist da irgendwo nur die logische Konsequenz der Platte: Über knapp eine halbe Stunde gebähren sie Dawner, einen aus dem Drone kommenden Mahlstrom, der zwischen bedrohlich drückendem Feedback-Doom durchaus Platz für eine retrofixierte Heavy Rock-Lavalampen Lounge mit dubbiger Prägung lässt.

Schwer zu sagen also, welcher Punkt in diesem hirnwütigen Ringelspiel am meisten beeindruckt. Ob es nun die inhaltliche Unbändigkeit der Platte ist, oder das über seine Mosaiksteine heinausgehende, so absolut homogen verschweißte Gesamtgefüge, in dem jeder der zwölf autonomen Exzess gerade auch im großen Ganzen absolut stimmig und berauschend funktioniert? Oder wenn sich Melt Downer (ihrem Namen alle Ehre machend) scheinbar mühelos stilistisch weit auseinander liegende Brennpunkte einverleiben, aber dabei trotz der kompromisslosen, auch erschlagenden Ausführlichkeit eine zwingend aufgehende Kompaktheit an den Tag legen, in der die transportierte Ästhetik nicht zum Selbstzweck wird, sondern stets im Dienste eines schlüssigen Songwriting arbeitet, und damit kaum eklatante Länge oder Ermüdungserscheinungen in diesem randalierenden Fiebertraum zulassen?
Es kann die Art und Weise sein, wie hier jeder Part des Trios immer wieder individualistisch für austickende Highlights sorgt, nur um im geschlossen anziehenden Kollektiv am eindrucksvollsten zu zünden. Auch die Kunst, den eigenen Eklektizismus assoziativ ansatzlos zwischen der Creme de La Creme der internationalen Szenen zu verankern und dabei dennoch wie keine andere Band da draußen zu klingen. Eventuell ist es der Fakt, dass hier (Schmerz)Grenzen genüsslich ausgelotet werden, und Melt Downer trotzdem (oder gerade deswegen) vor allem Bock ohne Ende macht.
Vielleicht ist es auch vollkommen unnötig sich diesbezüglich festzulegen. Denn sicher ist nur, dass derartige Analysen während dieses eineinviertelstündigen Rausches ohnedies kaum von Relevanz sind, weil dieses Debüt mit Haut und Haaren verschlingt, in seinen instinktiven Rausch mitreißt und dabei keine Gefangenen nimmt: Das ist schlichtweg der Stoff, aus dem Genre-Legenden wachsen könnten.

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