Messer – Jalousie

von am 6. Oktober 2016 in Album

Messer – Jalousie

Also Ermittlungen in Shanghai wäre echt der bessere Titel gewesen.“ sagt Bass-Gigant Pogo McCartney und hat damit eventuell sogar recht. Das Drittwerk von Messer beobachtet die Aussenwelt schließlich nicht nur durch die Jalousie hindurch aus den eigenen vier Wänden heraus, sondern wandert weitschweifend umherziehend durch dessen geheimnisvolle Wirklichkeit.

43 Minuten lang zeichnen Messer auf Jalousie ein atmosphärisch enorm dichtes Stimmungsmeer, das wie der Besuch in einer Parallelwelt wirkt, wie eine Milleustudie und Hard Boiled-Noir-Romanze: Der Nebel kriecht langsam durch die Straßen, halbseidene Typen warten hinter jeder Ecke, viele scheinen Dreck am Stecken zu haben und jeder zumindest ein dunkles Geheimnis. Junkies und bedrohliche Zimmerpflanzen bevölkern diese stets in Zwielicht getauchte Welt, man hört von Morden – und immer wieder von der Liebe. Wie sie ist, und wie die Dinge sein könnten.
Es riecht nach Regen, riecht nach Metall, es schmeckt nach Blut in deinem Mund“ heißt es gleich im trostlosen (oder doch eher hoffnungsvollen?), so melancholischen Eröffnungsstück So sollte es sein. Schon dort wird Hendrick Otremba auf den Wogen seiner Band (sowie unter Mithilfe von Stella Sommer von Die Heiterkeit) mit bedächtiger Unaufgeregtheit hineingezogen in diesen schon mal beklemmenden Wunderland-Kaninchenbau von einem Album, das die Umbrüche im Messer’schen Kosmos mit beeindruckend feiner Klinge abrundet.

Wo die Gang aus Münster früher bisweilen mit einer nihilistischen Schonungslosigkeit geflirtet hat, keimt nun ein synergetisches Gemeinschaftsgefühl in den Songs, das über das Gruppengefüge hinausgeht – man hat sich klar weiterbewegt und neue Einflüsse assimiliert: Neo-Gitarrist Milek hat neben funkelnden Scheinwerfer-Gitarren auch den Funk mitgebracht, Percussionist Manuel Chittka unterstreicht grundierend zwischen den sich auftuenden Schichten.
Für Gefilde, die Messer nicht alleine erreichen, zaubert dann etwa Micha Acher von The Notwist sich betrübt schleppende Trompetenmagie herbei, tüftelt Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten an passenden Ambienttexturen oder sorgt Katarina Maria Trenk von Sex Jams für zusätzliche Nuancen Im Jahr der Obsessionen – diesem unwirklichen Traum, der wie eine elegische Zeitlupenaufnahme für das Stadion funkelt.

Die Wut, das Rohe und Energische, das mit Im Schwindel wie im Rausch über einen herfiel, es ist auf Jalousie also nahezu vollends verschwunden. Stattdessen folgt die Gruppe Ansätzen, die bereits auf Die Unsichtbaren verwurzelt waren. Sie setzt Melodien variabler ein und ist versierter im Beschwören der atmosphärischen Ausstrahlung geworden, detailverliebter im Ausstaffieren der Arrangements. Messer tauchen griffig in ein vielschichtiges Klangbild ein, das gerade in Symbiose mit den mysteriösen (nicht verkopft oder prätentiös eingesetzten, sondern bedeutungsschwer und unterhaltsamen, hypnotisch faszinierend und auf eine kaum greifbare Weise gefangen nehmenden) Texten Otrembas eine imaginativ beeindruckende Sogkraft entfaltet.
War es bisher so vor allem die beispiellose Unmittelbarkeit, mit der die Gruppe in ihren Bann zog, ist sie nach knapp drei Jahren multimedialer Streifzüge und kreativer Exkursionen auch zu einem effektiven Katalysator für das Kopfkino geworden, ohne dafür die Verbindungen zur eigenen Vergangenheit kappen zu müssen.

Die Evolution von Im Schwindel her zu Jalousie ist durchaus logisch und nachvollziehbar, nicht nur im rhythmusfixierten Niemals. Denn der nach vorne gehende Postpunk, er spielt generell weiterhin eine wichtige Rolle. Im gedankenvollen Vielleicht-Lovesong Der Mann der zweimal lebte etwa, noch mehr im funky ermittelnden Detektive; Meine Lust flimmert so hektisch wie stoisch, und Der Staub zwischen den Planeten bedient sich eines geheimnisvoll-peppigen Grooves, nur um dann wieder die Zügel wie unter Narkose zurückgelehnt enger zu ziehen.
Die Echse präsentiert dann ganz offensichtlich ihren pumpend treibenden Bass und lässt Messer im Spannungsfeld von The Cure und The Wire mit einer U2-Erhabenheit glimern, während das zackige Schwarzer Qualm an versöhnlichere Protomartyr denken lässt.
Ddennoch sind gerade diese beiden Nummern in ihrer Zuverlässigkeit die am wenigsten spannenden Puzzleteile der Jalousie, weil Messer auf diesem perspektivenwechselnden Drittwerk zumeist schon viel weiter sind. All die aufgefahrenen Ohrwürmer sind schließlich nur die Grundlage für die transportierte Aura der gesamten Platte – die wirklichen Highlights spielen sich unter der Oberfläche ab. Zumal klar gezogene Genre-Fronten der Band endgültig zu eng geworden ist, wie sich immer wieder destilliert: Die Hölle ist mit seinem unaufgeregten Elektrobeat, den Verweisen auf Suicide und die Young Marble Giants schlichtweg minimalistische, unkaschierte Schönheit in aller Tragik; das abschließende Schaumbergs Vermächtnis pluckert aus den Synthies, entspannt eine einnehmende Krautrock-Extravaganza, und spart sich den Exzess dennoch auf, weil das Quintett hier sorgsamer mit den Kräften umgeht.

Und natürlich: Gerade weil Messer nicht aufhören sich ständig zu entwickeln, ihren Sound und ihr künstlerisches Umfeld wachsen lassen, ihre Kunstfertigkeit auf eine immer breitere Basis stellen, kann Jalousie insofern zumindest auf den Erstkontakt hin sicherlich auch eine Herausforderung für Puristen darstellen, alte Tugenden vermeintlich vermissen lassen.
Man verliert sich jedoch nur zu schnell in diese Platte der neuen Möglichkeiten, auf der das Quintett geschmeidiger und facettenreicher arbeitet, Zuversicht in die Tristesse lässt und im wenig Konkreten eine Ausstrahlung des Unergründlichen beschwört, eine vorhandene Liebe mit neuen Stärken versorgt: Indem Messer hinter dem veränderten Auftreten im Grunde ihr unverkennbares Gespür für eingängige Szenen und stilvolle Melodien auf das nächste Level heben, zudem eine Intimität und Grandezza zulassen, die mit der Wut der Anfangstagen schlichtweg kaum möglich gewesen wäre, ist Jalousie das nächste Zeugnis einer großen Band, die nicht müde wird sich nach neuen Ausdrucksformen zu strecken.
Alleine schon wenn Otremba die Bühne der Metaphorik verlässt und sich ganz ungeniert in eine Woge der Gefühle fallen lässt („Doch diese Welt läßt sich nicht träumen/ Sie läßt sich leben einfach so/ Gib mir dein Herz, ich will es hüten/ das Flimmern schweigt, chercher les mots„), dann haben sich Messer schon wieder ein gutes Stück weit erfolgreich neu erfunden – und sind vielleicht sogar besser denn je.

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