Miguel – Wildheart

von am 17. Juni 2015 in Album, Heavy Rotation

Miguel – Wildheart

Um zu verdeutlichen welch revitalisierender Quell der Lebensfreude das dritte Studioalbum von Miguel Jontel Pimentel geworden ist, genügen vielleicht alleine schon die abschließenden viereinhalb Minuten von ‚face the sun‚, in denen der Kalifornier sogar dem seit Jahren im kreativen Stillstand dahintümpelnden Lenny Kravitz einen leidenschaftlichen Gitarrenorgasmus abringt.

Einer der wenigen negativen Punkte, auf den sich zahlreiche Reviews zu ‚Wildheart‚ eingeschossen haben, ist, dass Miguel 2015 keinen derartig gewichtigen Smashhit wie den Grammymagneten ‚Adorn‚ vom gefeierten Vorgänger ‚Kaleidoscope Dream‚ an Bord hat. Was alleine deswegen Unsinn ist, weil sich Miguel schon im knisternden Vorboten ‚Coffee‚ mit im Schritt geplatzter Jean so unwiderstehlich ohrwurmtauglich durch die Kissen seiner Angebeteten räkelt – und darumherum die kaum weniger potenten Singlekandidaten aneinanderreihen: ‚Wildheart‚ ist tatsächlich sogar deutlich songorientierter angelegt als sein Vorgänger, die Produktion zudem organischer, weil die traumwandelnde Bildsprache zugunsten einer schärfer fokussierten Körperlichkeit hinter sich gelassen wird. Aus „Let my love adorn you“ wird im subkutan wummernden ‚Valley‚ konsequenterweise ganz unkaschierte Sexmusik, aus Balztanz schwitzender Porno: „I’m your pimp, I’m your pope, I’m your pastor babe/ Confess your sins to me while you masturbate/…/ I wanna fuck like we’re filming in the valley/ I wanna push and shove and paint your hills and valley/ (Lips, tits, clit, slit, lips, tits, clit, slit)„. Miguel ist auf ‚Wildheart‚ horny und nicht zimperlich, ein Blick auf das Albumcover genügt um die Fronten zu klären.

Wo die esoterisch aufgeladene körperliche Erotik zu jedem Zeitpunkt über den verruchten 47 Minuten der Platte schwebt, ist ‚Wildheart‚ aber tatsächlich in jeder Hinsicht eine zügellose, geradezu hedonistische Platte geworden. „Speeding through all of these red lights, fast life/ Dreaming a beautiful exit/ We’re gonna die young“ flüchtet sich das eröffnende ‚a beautiful exit‚ in eine rebellische Verfolgungsjagd-und-Todes-Fantasie, zu den schwer scheppernden Drums braten fette Rockgitarren. Von seinen Idolen Prince, Marvin Gaye oder Jimi Hendrix borgt sich Miguel nicht nur weiterhin zahlreiche stilistische Merkmale, um sie mit einem ähnlichen Neo-Soul wie Frank Ocean oder The Weeknd aufzupumpen, sondern orientiert sich nun auch deutlicher an funkensprühender Popkurzweiligkeit und zelebriert mit omnipräsenten E-Gitarren eine verruchtere Breitbeinigkeit. Soll heißen: Wo ‚Kaleidoskop Dreams‚ seine einzelnen Parts noch ohne Bruchstellen ineinander verschmelzen ließ, komplettiert ‚Wildheart‚ nun als sprunghaftes, aber kohärent aneinandergereihtes Stückwerk die Vision des lebenshungrigen, triebgesteuerten, einfühlsamen, notgeilen R&B-Sängers mit der Leg Drop Power. Auf seinem Drittwerk hat Miguel den Fokus so im Detail gleichzeitig schärfer eingestellt, wie er im Gesamten freigeistiger agiert und seine Stilpalette praktisch in jeder Nummer in andere Schattierungen taucht.

DEAL‚ dreht am Geschwindigkeitsrad des Funk, das perkussiv wummernde ‚NWA‚ bietet den Nährboden für Hip Hop-Elemente und Altmeister Kurupt. ‚Hollywood Dreams‚ ist auf eine Art Sepia-Aufarbeitung der Traumfabrik, die – wenn auch mit anderen Mitteln – jener von Lana Del Rey gar nicht so unähnlich ist. Da glaubt man ohne Umschweife, wenn in den Credits zum entschlackt zwischen Snow Patrol, den Silversun Pickups und O.C. California aufgebauten Heartbreak-Feuerwerk ‚leaves‚ plötzlich Smashing Pumpkins-Kopf Billy Corgan gelistet ist. Letztendlich eine rechtliche Angelegenheit – da das verwendete Riff zu identisch mit jenem von ‚1979‚ ist – aber doch irgendwo auch symptomatisch, weil ‚Wildheart‚ Assoziationen neu verpackt und oberflächlich sofort zündet, hinter seinem Glanz als wahrscheinlich perfektes Sommeralbum jedoch auch genug Überraschungen parat hat um langfristig abhängig zu machen.
Der leichtfüßig-catchy daherkommenden Ohrwurm ‚waves‚ ist dann folgerichtig keine freiheitsliebende Ode an das Meer, sondern eine Hymne an die eigene Standhaftigkeit („Yeah, get wild baby, so hot, god damn, I need a towel baby/ I could wipe you down right now baby/I could ride that wave right now, say„), Miguel kann Fickmusik im Pop eben gleichermaßen wie im transzental pulsierenden Hypnosemodus (‚FLESH‚). Ob diese plakative Gangart nun überhöhte Kunstform oder Überkompensation ist spielt bei der Klasse des Songwritings nur eine untergeordnete Rolle, die nachdenklicheren Töne der Platte funktionieren aber im Grunde ohnedies nachdrücklicher: „Too proper for the black kids/ Too black for the Mexicans/ Too square to be a hood/ Nigga, what’s normal anyway?/…/I’m in a crowd and I feel alone, I look around and I feel alone/ I never feel like I belong, I wanna feel like I belong“ schmachtet Miguel in der melancholischen Kindheitserinnerung ‚what’s normal anyway‚.

Ganz am Ende kulminiert der weitschweifende Blick eben in ‚face the sun‚, das selbst den hüftsteifen Lederhosen von Lenny Kravitz leidenschaftliche Inspiration einklatscht, sich die Perspektiven die ausschweifenden Abenteuer der vorangegangenen Platte umkehren und Miguel ein ohne Angst vor Kitsch oder Falsettjaulen ein in den Himmel hinausfeierndes Liebeslied an seine Langzeitfreudin Nazanin Mandi anstimmt: „You shouldn’t worry ‚bout someone new/ Cause no matter where I go, you know I know I belong with you/…/ Cause when it’s time to face the sun/ I know that you’re the only one, only one„.
Seine Prioritäten kennt Miguel ungeachtet aller Ablenkungen, selbst wenn ihm anhand von ‚destinado a morir (enter.lewd)‚ und ‚…goingtohell‚ kurzfristig die Spannung im Gesamtkontext abhanden kommt. Andererseits zeigt sich hier auch, dass es ‚Wildheart‚ trotz seiner hartnäckig haften bleibenden Melodien und Hooks gar nicht ultimativ darum zu gehen scheint ausnahmslos maßgeschneiderte Chart-Aspiranten aneinander zu reihen: weitaus eindeutiger sind diese 13 den Augenblick in die Unendlichkeit jubilieren lassenden Songs nämlich Ausdruck davon, dass Miguel sich endgültig klar darüber geworden ist, wohin sich sein Sound und seine Präsenz entfalten sollen.

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