Mike Shinoda – Post Traumatic

von am 10. Februar 2018 in EP

Mike Shinoda – Post Traumatic

Knapp sechs Monate, nachdem sich Chester Bennington das Leben genommen hat, verarbeitet Mike Shinoda den Tod des Linkin Park-Frontmannes: Post Traumatic zeigt textlich Zähne, bandagiert offene Wunden musikalisch möglichst schonend und überzeugt entlang dreier einnehmener Kleinode, bleibt jedoch letztendlich auch frustrierend hinter den Möglichkeiten zurück.

Dass Shinoda die zehn Minuten der Post Traumatic EP nicht im Alleingang als direkten Nachfolger zum letztjährigen Linkin Park-Polarisierer One More Light veröffentlicht hat, ist natürlich logisch. Doch auch, dass er die drei Tracks abseits der regulären Fort Minor-Schiene vorlegt, macht rundum Sinn: Der 40 Jährige geht auf der ohne große Ankündigungen vorgelegten Trauerarbeit einerseits in musikalischer Hinsicht weicher und melodiebewusster zu Werke, öffnet sich trotz einem dunkleren Flair auch deutlicher dem synthieflächigen, nach Schönklang suchenden Pop als auf seiner Alias-Soloplattform. Gleichzeitig versucht Shinoda auch als Rapper eine rohere und direktere Gangart zu kanalisieren, spukt textlich bisweilen sogar wütend um sich: „What (are) they saying, I’m not raw?/ What the fuck you take me for?/ All the sudden you hear what I’ve said a hundred ways before?/ I been pushed, I been trapped/ Drug myself through hell and back and/ Fallen flat and had the balls to start it all again from scratch/ …/ And everybody that I talk to is like, “wow, must be really hard to figure what to do now”/ Well thank you genius, you think it’ll be a challenge/ Only my life’s work hanging in the fucking balance.

Dass Shinoda dabei vor allem ein grundsolide zu Werke gehender Performer ist, der in heutigen Trap-Unzeiten eine regelrecht unspektakulär klassische Technik an den Tag legt, nimmt praktisch unmittelbar in den Arm. Flow, Stimme und Texte sitzen, doch fehlt auch das letzte Quäntchen, um eine rundum gute Leistung zu einer herausragenden zu erheben – oder vor dem aufwühlenden Hintergrund von Post Traumatic eben zu einer tatsächlich bewegenden.
Dabei macht Shinoda hier grundsätzlich deutlich mehr richtig als falsch (gerade in den stillen Momenten), bricht seiner ersten Solo-EP unter eigenem Namen eher durch eine beiläufige Entscheidung das Genick. Place to Start ist ein in sich gekehrter Opener, ruhig und unheimlich atmosphärisch. Shinoda rappt nachdenklich und sinniert merklich abgekämpft, ist ein Spielball der Umstände, macht keinen Hehl daraus macht, dass er mit Chester nicht nur einen Freund, sondern auch Arbeitskollegen und Businesspartner verloren hat („‚Cause I’m tired of the fear that I can’t control this/ I’m tired of feeling like every next step’s hopeless/ I’m tired of being scared what I build might break apart/ I don’t want to know the end, all I want is a place to start/ Oh, oh/ I don’t want to know the end, all I want is a place to start/ Oh, oh„).
Die Produktion kommt dazu ideal abgestimmt gedämpft daher, breitet sich wie unter einem melancholischen Schleier aus, nimmt sich (jedoch leider nur scheinbar) alle Zeit der Welt. Nach viel zu kurz schwelgenden eineinhalb Minuten kippt der sorgsam aufgebaute Song plötzlich alles bisherige mit einem nicht nachvollziehbaren Schnitt zu einer Reihe von Voicemailaufnahmen mit Kondolenzbekundungen und zerstört damit die eingefangene Stimmung zu forciert und unnatürlich in Sekundenbruchteilen.

Vor allem deswegen immens ärgerlich, weil die Post Traumatic EP abseits dieses unnötigen – oher eher: absolut schlecht umgesetzten – Intermezzos eine weitestgehend runde Angelegenheit darstellt, die durch ihre stilistische Ausrichtung eine ausführlichere Umsetzung (auf Albumlänge?) enorm aussichtsreich vorbereiten würde. Ganz so, wie Mike sich das wünscht: „I don’t want to know the end, all I want is a place to start„.
Das pastorale Over Again übernimmt schließlich eigentlich perfekt abgestimmt direkt von Place to Start; bald kippen jedoch bestimmt auftretende Beats ins Geschehen, schlürfen geduldig dahin, gehen unaufdringlich catchy ins Ohr. Die Effekte auf den Vocals im empfangenden Refrain wären eigentlich nicht nötig, sind im Gegensatz zu One More Light aber geschmackvoll produziert. Shinoda agiert vor dem sphärisch-kompakten Teppich selbst in den angepissten Momenten weniger aggressiv als ratlos aufgebracht, versucht das allgegenwärtige Gefühl der Hilflosigkeit zu reflektieren: „We said we ought to play a show in honor of our friend/ Well now that show’s finally here, it’s tonight/ …/ There’s no way that I’ll be ready to get back up on that stage/ Can’t remember if I’ve cancelled any show/ But I think about what I’m supposed to do and I don’t know/ Cause I think about not doing it the same way as before/ And it makes me wanna puke my fucking guts out on the floor/ …/ Sometimes, sometimes you don’t say goodbye once/ You say goodbye over and over and over again.
Dass Shinoda in den zutiefst autobiographischen Lyrics durchaus fesselt und der Track trotz eines theoretisch intimen Therapie-Charakters praktisch eine gewisse Distanz behält – kein Katastrophentourismus sondern eher nüchterne Dokumentation darstellt – ist faszinierend. Doch ändert dies nichts daran, dass der grundlegenden Komposition auch der Geniestreich fehlt, um die nötigen Impulse zu setzen, die aus einer gewissen Standard-Komfortzone holen.

Auch Watching as I Fall schlägt um sich („And honestly I buy that I can sound cold/ Still upset from shit that’s 15 years old/ I don’t know what it takes to make me let go„), verschiebt die etablierte Gangart danach nur um feine Nuancen und fügt sich dennoch kohärent in den Gesamtkontext. Das funkelt und wummert subtil, wirkt dringlicher und massiver, aber nicht gehetzt oder muskulös. Shinoda baut mit relative minimalistischen Mitteln bescheidene Spannungen auf, bastelt einen zurückgenommen physisch schraubenden und rotierenden Groove. Die Melodie könnte so auch im Linkin Park-Kosmos stattfinden, spart allerdings die zuletzt praktizierten penetranten Zeitgeist-Anbiederungen aus und lässt sogar die Ahnung einer Gitarre in den Himmel blicken – doch erschöpft sich auch diese Nummer in ihrem letzten Drittel ihrer kurzen Spielzeit bis zum abrupten Schluss.
Weswegen am Ende ein skizzenhafter und unfertiger Eindruck bleibt, Post Traumatic EP eher wie ein vielversprechender Teaser wirkt, der Potential zeigt, aber (abseits der Texte auf musikalischer Ebene) nicht wirklich befriedigt. Vielleicht zu spontan und unfertig aus der Hüfte geschossen, nicht restlos zu Ende gedacht, skizziert Shinoda da Songs, die zu flüchtig sind, um die erschöpfend-impulsive Katharsis zu evozieren und für Außenstehende damit nur eine vage Standortbestimmung mit fast beiläufigen Charakter bleiben.
Weswegen Post Traumatic (so makaber dies auch ob der Thamatik auch sein mag) zwar absolut Lust auf mehr macht, allerdings für sich genommen auch nicht restlos funktioniert: Für den Könner Shinoda mag das ein adäquates Druckventil darstellen, den Hörer packt das Material aber emotional nur bedingt und entlässt sogar mit dem Gefühl, im Regen stehengelassen zu werden.

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