Misery Signals – Ultraviolet

von am 18. August 2020 in Album

Misery Signals – Ultraviolet

Nicht umsonst kontrastiert Ultraviolet den Titel des Vorgängeralbums derart klar: Ausgerechnet die Metalcore-Wiedergänger von Misery Signals verbreiten im Jahr 2020 einen unerwartet hoffnungsschwangeren Optimismus.

Es liegt jedoch keineswegs an diesem durchaus überraschenden, sich von der bisherigen Gangart unterscheidenden Atmosphäre und Zeilen wie „When the world becomes so black/ We must sculpt the night/ And remake the skies“, dass dieser fünfte Langspieler mit ambivalenten Gefühlen entlässt: Nicht alleine, aber vor allem Mirror war zur Blütezeit des Metalcores ein die eigene musikalische Sozialisierung durchaus prägendes Werk aus dem Haushalt von Misery Signals. Dass die Amerikaner es sich (und den Ansprüchen des Hörers an ein Quasi-Comeback) danach aber mit einer langen Pause vor dem Viertwerk auch selbst schwer machten, tat ebenso viel dafür, keine euphorisches Momentum für die Band mehr entfachen zu können, wie das 2013 zwischen einzelnen Highlightmomenten und billigen Streicher-Szenen in seinem kompetenten Handwerk pendelnde Absent Light, das viele Epigonen an sich vorbeiziehen lassen musste.
Mit einem noch ausführlicheren Abstand von diesmal sieben Jahren hat Ultraviolet nun aber auf mehreren Ebenen einen zusätzlichen Nostalgieschub an Bord: Misery Signals haben sich auf ihre Wurzeln besonnen, eine Zäsur vollzogen und rund um die Jubiläumstour zum vielerorts als Genre-Klassiker gefeierten Of Malice and Magnum Heart eine neuerliche (diesmal scheinbar auch etwas unschöne) Rochade am Mikrofon vollzogen – mit Jesse Zaraska ist der ursprüngliche Sänger der Band 16 Jahre nach dem Debüt wieder an Bord.

Um nicht so lange zu fackeln, wie Misery Signals selbst dies zwischen zwei Platten tun: Ultraviolet ist ein gutes, nach zahlreichen wachsenden und die Perspektive relativierenden Durchgängen auch knapp sehr gutes Album geworden. In Summe besser als Absent Light, aber qualitativ nicht auf einer Stufe mit den Veröffentlichungen davor agierend. Denn mehr als alles andere ist die neuerliche Rückkehr der Band auch ein unterwältigendes oder gar enttäuschendes Album geworden, selbst jenseits des ohnedies so verklärenden Schleiers der Vergangenheit, indem so viel Potential liegen gelassen wird und dieser Umstand zudem auch beinahe permanent spürbar ist.
Die Möglichkeiten der Rückkehr von Zaraska werden beispielsweise auf enervierende Weise nicht ausreichend abgeschöpft. Jesses Gebrüll scheint auf Ultraviolet primär den Abgang seines Vorgänger (ehemals auch Nachfolgers) Karl Schubach kompensieren zu sollen, anstatt die eigenen angestammten Stärken zu forcieren. Wo Schubach sich etwa oft vorwerfen lassen musste, nur ein unvariabler Brüllwürfel zu sein, agiert nun nömlich auch Zaraska weitaus monotoner, hat aber nicht den selben monströsen Stoizismus in den Lungen. Das hat zur Folge, dass die Intensität der Platte weniger hart und brutal auftritt, gleichzeitig aber auch die melancholischen Momente der verletzlichen Emotionalität nicht die packende Tragweite und Konzentration bekommen, die möglich gewesen wären. Wo sich die Melodien und die Heaviness früher gerne umgekehrt proportional zueinander ausgerichtet und gegenseitig belohnend in die Höhe hoben, passieren diese Extreme nun in einer kaum ambivalenten Balance, sie provozieren weniger Reibungsfläche. Oft wirkt es deswegen auch aufgrund der so frontal gemixten Vocals so, als würde die Katharsis ohne befriedigende Ausbrüche vertröstend hinausgezögert werden und die Amplituden zu eindimensional abdrehen.
Symptomatisch insofern, dass die hymnisch vorhandene Kante im fett galoppierenden Brett Sunlifter nun unbedriedigenderweise nicht ergiebiger, leidenschaftlicher und befriedigender zelebriert wird, als es bei der seit Jahren existierenden Version mit Schubach bereits der Fall ist, sondern quasi von einem stimmlich kaum differenzierteren Sänger reproduziert wird.

Derartige Entscheidungen sind zudem ein Aspekt der Tatsache, dass sich Ultraviolet über den Verlauf seines zerfahren zusammengesetzten Gesamtflusses überhastet und unausgegoren entlanghantelt.
Spätestens wenn der Closer Some Dreams mit den Djent liebäugelt, dann auch immer mehr Richtung epischen Horizont zieht, ohne das überwältigende Momentum erzwingen zu können, lässt dies die Platte nach durchaus kurzweiligen, aber eben auch ein klein wenig unerfüllend zu flüchtig bleibenden 34 Minuten wie eine Aufwärmübung zurück, die, kurz bevor der Knoten für triumphale Szenen aufgehen könnte, den Saft abdreht,  ohne ein rundes Ganzes mit restlos packendem Narrativ und Spannungsbogen beschreiten zu können.
Doch auch wenn Misery Signals nicht mehr wieder derart entlohnen, wie zu ihren Glanzzeiten, unterstreicht die Band ihren Ausnahmestatus mit einer qualitativ nach oben tendierenden Handarbeit voller Klasse und kleinen Schönheitsfehlern.
Gleich The Tempest ist schließlich eine rundum kompetente Rückmeldung mit einnehmender Handschrift, tollen Drums und latent unter Wert verkauften Gitarren, in der Tempo und Dynamik variieren, selbst wenn die flächige Produktion das nicht wirklich würdigt. Der Opener macht immer wieder Raum für melodischere Passagen, verschafft zwar nicht die nötige Aussicht mit geschärften Konturen im Drumherum liegenden Geballer, das an sich griffigen Strukturen folgt – doch hier verschenkt man letztendlich einen noch zwingenderen Hit.

Das überragende River King beginnt fast verträumt postrockig und ruhig, erinnert im Klargesang gar an Post Hardcore-Kollegen wie MeWithoutYou, und gönnt  sich am Ende eine psychedelische Patina – wenngleich diese nicht die inszenatorische Imposanz bekommt, die möglich gesehen wäre. Through Vales of Blue Fire lender in dröhnenden Schüben auf und ab, rahmt das Ende mit dem Baukasten der Band ein. Dazwischen schrammt man an einer majestätischen Ahnung vorbei, die eher wie eine nicht freigelegte Erinnerung anmutet – als wäre die Nummer zu früh aus dem Inkubator gezogen worden.
Das catchy Old Ghosts erfüllt danach ohne dienstleistendes Pflichtbewusstsein alle hohen Ansprüche an Misery Signals 3.0 als weiteres Highlight, die feine Achterbahnfahrt The Fall knüppelt mit Backing Shouts und gelungen-clean gesungenem Part noch näher zum Ohrwurm. Das versöhnliche Redemption Key schielt intim zum Alternative Rock von Brand New, kontemplativ und weihevoll, wenngleich eher ein nicht zu Ende gedachten Zwischenspiel.
Geradezu klassisch dann Cascade Locks, dass die Tradition fortsetzt den vorletzten Song einer Misery Signals-Platte imposant aufzeigen zu lassen. Hier geschieht dies, indem der Fünfer sich mit schwelgender Nachdenklichkeit Zeit nimmt, dann knackig am Hardcore zupackt und um eine tröstende Ebene auch skandierend-rezitierenden Vocals auffährt. „Once again, we ride as one/ All in time, we sing/ Verses to recalim/ The beloved star-filled gaze/ And a chance, a chance to frame/ Our own image of grace/ A path back to the sun/ …/ Tomorrow starts today/ Will yesterday fade?/ Through the ashes/ …/ Will blue stars appear again?“ heißt es da – und trotz allem lässt man sich von diesem nach vorne blickenden Optimismus gerne anstecken. Ob er weitere sieben Jahre ohne Platte am lodern bleiben könnte, ist freilich eine andere Frage.

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