Mrs. Piss – Self-Surgery

von am 2. Juni 2020 in Album

Mrs. Piss – Self-Surgery

Ästhetik, Artwork und Attitüde gehen hier Hand in Hand: Chelsea Wolfe und Jess Gowrie verunreinigen auf dem Mrs. Piss-Debüt Self-Surgery die Ecke aus Noise Punk und Garage Rock mit allerlei stilistischen Fäkalien.

Sicherlich wäre das Auftauchen von Mrs. Piss noch radikaler, kontroverser und auch aufmerksamkeitsgenerierender gewesen, wenn Chelsea Wolfe es unter eigenem Namen veröffentlicht hätte. Self-Surgery ist aber eben zu gleichen Teilen das Kind der Sängerin und Gitarristin, wie es jenes der Multi-Instrumentalistin Gowrie ist, die hier für Drums, Bass, Programming und eine zusätzliche Gitarre verantwortlich zeichnet.
Gemeinsam haben die beiden seit der 2017er Tour zu Hiss Spun an Material gearbeitet, dass die pittoreske, sakrale Bedeutungsschwere von Chelsea Wolfes Soloalben nimmt und deren Stimme in einen impulsiveren, such instinktiveren Kontext setzt, der sich assoziativ irgendwo zwischen PJ Harvey und Nine Inch Nails, Chastity, Metz und Cheena verortet.

Nach dem Intro To Crawl Inside, das „bathing in the filth of the world“ aus dem Feedback einer abgründigen Finsternis wie ein Hexensabbat auftaucht, gibt das bereits bekannte Downer Surrounded by Uppers als dreckiger, simpler Noiserock mit rohen Instrumenten diesen Weg auf betont eingängige und straighte Weise vor, während das folgende Knelt nimmt dieses Tempo unmittelbar wieder herausnimmt, einen garstiger Zeitlupen-Fiebertraum am Doom gebiert, sich mit einem heavy Rhythmus über den ätherischen Gesang wälzt und die Stimmung der Platte apokalyptisch und stoisch ausbreitet.
Das hat alleine durch die vibrierende Stimme von Wolfe eine eigenwillige Grandezza und lässt atonale Frequenzen wie Säure auslaufen, doch bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt stets eine einzelne grundlegende Idee hinter der prägenden Ästhetik des Projektes das Wesen einer Nummer – das Songwriting zeigt innerhalb einzelner Kompositionen noch keine Entwicklung, bezieht seine Spannungen auch aus dem Kontrast der diametralen Dynamiken im gesamten Fluss.
Und obwohl Self-Surgery ein Album bleiben wird, das seine Extreme niemals wirklich bis zur Schmerzgrenze auslotet, eine zu kurze Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration besitzt, um dorthin zu gehen, wo es wirklich weh tut stecken Mrs. Piss damit eingangs eher nur die ungefähre Bandbreite ihrer Interessen ab und deklinieren diesen Rahmen danach mit der selben Spontanität durchaus noch ergiebiger und variabler durch, indem immer wieder mit neuen stilistische Facetten und Schattierungen geliebäugelt wird.

Nobody Wants to Party with Us blickt etwa auf eine dunkel modulierte Elektronik, auf den Darkwave und Industrial – nur um dann plötzlich im unkompliziert randalierenden Punk aufzuplatzen. M.B.O.T.W.O. inhaliert den Spirit des Grunge, erinnert auch durch den dominant gnarzenden Bass an frühe Smashing Pumpkins aus der Albtraumperspektive. You Took Everything lehnt sich dort für einen sinistren Groove zurück, kratzt sich aber das Fleisch mit ballernden, brüllenden Death-Schüben im Refrain ab und bäumt die Bridge dystopisch auf.
Der Titelsong stampft pressend und kraftvoll, als gelte es einen massiven Alternative Rock von der Leine zu lassen, der zu giftig für das Stadion nölt und sich für den Chorus deswegen lieber gleich in der ätzenden, sphärischen Balsamierung der elegischen Wunde ausbremst, der Projekt-Namensgeber öffnet das Ventil ein finales Mal mit roher Unmittelbarkeit, auch wenn sich Wolfe und Gowrie letztendlich für eine trügerische Ambient-Einkehr entscheiden.
Diese Sprunghaftigkeit mildert zwar nicht das latente Gefühl, nach den ersten Durchgängen nicht mehr viel essenziell neues auf Self-Surgery entdecken zu können, doch macht die Platte auch alleine aufgrund ihrer Kürze von gerade einmal 19 Minuten und dem so destillierten Unterhaltungswert süchtig genug, um einer Fortsetzung ungeduldig entgegenzublicken, auf der Mrs. Piss nicht nur ihren Sound, ihre Attitüde und Ästhetik gefunden haben, sondern ihr Potential auch über den Anriss hinaus ausformulieren.

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