NOFX – Single Album

von am 1. März 2021 in Album

NOFX – Single Album

Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass die Welt vor einiger Zeit in eine Paralleldimension und alternative Zeitlinie abgebogen ist, dann liefert Fat Mike diesen mit Single Album: NOFX-Songs erschließen sich nicht mehr unmittelbar, sondern verlangen Zeit, um sich als Grower zu erweisen.

Zumindest in der Ästhetik sinnbildlich dafür steht gleich The Big Drag, das über sechs Minuten beansprucht und dennoch niemals wirklich in Gang kommt, auch insofern symptomatisch ist, weil Single Album manchmal besser in seiner Intention, als der letztendlichen Umsetzung ist. Doch steht der Opener mit seiner bemühten Vertracktheit aber eben auch als Symbol für die Ambition der Band, nicht den einfachsten Weg zu gehen, in der allgemein zwidernen Stimmung mit all den wahlweise provokanten, rücksichts- und schonungs-, oder bisweilen auch geschmacklosen Texten, auf der Basis solider Standards komplexer zu komponieren.
Wie eine von der Gruppe aufgefangene Fortsetzung zu You’re Welcome zündet Single Album insofern zwar generell vielleicht nicht so zwingend, wie es die grundlegende Intention war, allerdings doch deutlich besser, als es auf den ersten Blick auf die Oberfläche voller semi-gelungener Melodiebögen und aufgewärmter Hooks scheint: Wo der Erstkontakt einen zu umständlichen und pseudo-inspirierten Totalausfall vortäuscht, ist spätestens ab dem zweiten Durchgang eine Faszination da, die die letztendlich greifende Substanz der Platte vorwegnimmt.

Ein I Love You More Than I Hate Me oder Fuck Euphemism holen nach anfänglicher Ernüchterung effektiv ab, im mäandernd tingelnden Ska von Fish in a Gun Barrel mit seinem Saxofon funktioniert die gepresst quengelnde Stimme von Mike sogar überraschend geschmeidig. Birmingham hat mit seiner nostalgischen Melodieseligkeit, die den suchtkranken Mike mit einem Augenzwinkern entblößt, entwaffnende Ansätze, vertändelt diese aber ohne auf den Punkt zu kommen und ausgerechnet der Reboot Linewleum gehört zu den direktesten Stücken, nicht nur wegen den gniedelnden Solos – ist aber wie vieles hier einfach zu lang. My Bro Cancervive Cancer macht geht strukturell nicht den allersimpelsten Weg, packt aber auch deswegen nur bedingt, ohne wirklich etwas falsch zu machen. Das tolle Grieve Soto fährt sein unkonventionelles Intro bewusst gegen die Wand, um dann seine Routine um ein paar smarte Ideen – gesangliche Unterstützung und eingefädelte Wendungen – auszuspielen, bevor der Adolescents-Tribut als direkte Referenz ausfranst.

Das noch bessere Doors and Fours flirtet mit dem Midtempo, mit Americana-Nuancen, beschwört zurückgenommenen pochend und mit trockenem Bass mahlend seine unaufgeregt hinausrockende Catchyness und verstärkt so auch den dynamischen Fluss der Platte, in dem Your Last Resort als Klavier-Ballade beginnt, aber als umso heftigerer Tritt aufs hymnische Gaspedal endet.
Zwar ist das alles dann kein vollkommener Paradigmenwechsel für NOFX, auch sicher keine lupenreine Offenbarung – aber doch eine in vertrauter Umgebung angesetzte Frischzellenkur zwischen den Zeilen, die eine zuletzt vollkommen redundant geworden zu sein scheinende Band rund um ihren 40. Geburtstag plötzlich wieder interessanter erscheinen lässt, als seit vielen Jahren.

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