Old Man Gloom – Seminar VIII: Light of Meaning & Seminar IX: Darkness Of Being

von am 24. Mai 2020 in Album

Old Man Gloom – Seminar VIII: Light of Meaning & Seminar IX: Darkness Of Being

Old Man Gloom sind Troll-Experten und veröffentlichen nach der Fake-Bemusterung von Ape of God kurzerhand abermals einen Doppelschlag: In die lange Vorlaufzeit von Seminar VIII: Light of Meaning wurde kurzerhand dessen Nachfolger Seminar IX: Darkness of Being vorauseilend veröffentlicht eingeschoben.

Ein spontaner Schritt der Band: „As we’re all locked down, and uncertain about what will shake out of all this bonkers shit, we at Old Man Gloom have decided to reverse Gloom you all. What is a reverse Gloom? Well, it’s pretty simple. Instead of playing a trick on everyone, we’re going to play a trick on ourselves, and unfortunately for Profound Lore, our record label. Here’s what was GOING to happen….We made two records. I know, it’s not a surprise, we usually do. Over the course of recording, we had so many plans with how to release it. (…) Eventually we settled on doing all the announcements for Seminar VIII: Light of Meaning, and then a week before its release, drop Seminar IX: Darkness of Being without announcement. A sort of PRE Glooming, if you will. It would’ve been a pleasant surprise for everyone in the lead up to the LoM release, and we get our trick. Well, since a few weeks ago when we made this plan, the world has drastically changed. (…) Most of us can’t make a living, all of us in Gloom included, and we’re all just sitting and waiting for the tides to turn. Last week we spoke together and wondered if we could just send “Darkness of Being“ out into the world now, to help bring a little light into this situational seclusion.

Dass sich der Doppelschlag der beiden Seminare auch artworktechnisch wie ein symbiotisches, zusammengehörendes Miteinander anfühlt, kommt nicht von irgendwoher: „These records have taken the simple act of being a band and transcended into a bonding and healing process I never thought music or specifically Old Man Gloom could be. Almost every song has elements of our last two years without Caleb, and even the songs that aren’t directly related to him are embedded with the emotion and struggle for closure and healing that we’re all going to be in for a long time. This pandemic we’re all living through is creating so much distance between all of us. This is our way of bringing us all a little closer.
Insofern lassen sich gleich vorab auch einige allgemeine Punkte über die beiden Platten festhalten.

Dass (den genau genommen sogar gar nicht ausschließlich nur) mit Kurt Ballou, Randall Dunn und Matt Bayles gleich (eher: mindestens) drei Produzenten-Koryphäen an verschiedenen Teilen der Alben gearbeitet haben, sorgt zu keinem Zeitpunkt für eine ästhetische Inkohärenz  – die zwei Alben treten in sich geschlossen und homogen auf, bieten allerdings auch klarer definierte Nuancen der jeweiligen Vorlieben aller Beteiligter, die immer wieder individuell gewichtete Extreme  im Amalgam zeigen.
Was gerade auch deswegen deutlich auffällt: Der Einstieg von Stephen Brodsky als Ersatzbassist für den verstorbenen Caleb Scofield passt so natürlich wie perfekt, indem er als Instrumentalist weitestgehend zweckdienlich in die Fußstapfen seines Kumpels tritt – doch gerade stimmlich bietet er dem Kollektiv neue Facetten an, die im gewohnt rohen, fetten und brutalen Old Man Gloom-Sound sogar für geradezu nahbare Momente sorgen können, diese aber vorerst eher als Ausnahme der Regel anbieten, selbst in den konkretesten Szenen vor allem als Option für die Zukunft anzeigen.
Und obwohl sich die beiden Seminare vor diesem Hintergrund mitnichten wie Übergangswerke anfühlen, bleibt letztendlich in Summe doch auch der Eindruck, dass die Allstar-Gang hier anstelle zweier (sehr) guter Alben doch auch ein herausragendes destillieren hätte können, wenn der Fokus schärfer eingestellt gewesen wäre. Gerade daran haben Old Man Gloom jedoch kaum Interesse, wie der Blick ins Detail verrät.

Old Man Gloom - Seminar VIII Light of MeaningOld Man Gloom – Seminar VIII: Light of Meaning

Seminar VIII: Light of Meaning nimmt ganz bewusst in Kauf, zu frustrieren und zu enttäuschen, indem es als das eigentlich angekündigte erste Studioalbum seit sechs  Jahren auf den letzten Metern nicht nur kurzerhand überholt wurde, sich angesichts der vorgelegten Konsistenz von Seminar IX: Darkness Of Being auch einer unfairen Erwartungshaltung ausgesetzt sieht; vor allem aber auch durch die strukturelle Beschaffenheit der Platte, die sich demonstrativ ausbremst und sich dezitiert schwieriger in der Form gestaltet, als der schneller erschienene, weitaus konkreter ausgelegte Nachfolger.
Immerhin wachsen die sechs greifbaren Songs hier stets nur wie zufällig aus einem rücksichtslosen Interesse von Old Man Gloom am Ambient aus noisigen Klanginstallationen herausragend: Unter den Kompositionen von Seminar VIII: Light of Meaning lebt der organisch suchende Experimental-Jam als Konstante, der seine Muskeln sporadisch anspannt, die Nummern in langen Soundcollagen und Interludes waten lassend im Drone und verrauschten Feedback platziert. Während man bei dieser Praxis durchaus an die Gangart von Frances the Mute erinnert werden darf, beläuft sich die „Netto-Spielzeit“ der Platte also auf weitaus weniger, als die versammelten 46 Minuten, wenn die tatsächlich eingrenzbaren Kompositionen  als solche umso tatkräftiger in den Kontext einer theoretischen Avantgarde-Platte platzen.

Wo es also gilt, die Qualität der Stücke in diesem die Wahrnehmung erst verwässern könnenden Umfeld mit Schärfe zu erkennen, gönnt sich EMF ein kurzes Geplänkel, bollert dann aber erzürnt am sludgigen Mathcore in bester Botch-Manier los. Nate Newton bellt zu matschig peitschenden Drums und finsteren Riffsalven, bis sich alles im Dreck wälzt. Zwar badet die Band durch Intro und ein lang anhaltendes Outro, das in seinem elektronischen Fiepen und Brutzeln bis weit in Wrath of the Weary hineinreicht, ausführlich in der Zwanglosigkeit, doch zieht die Band die Zügel gegebenermaßen abseits des Mäandernd durchaus eng. Wrath of the Weary kippt in eine doomig röchelnde Slo Mo-Walze, die ihre Nahverwandschaft zu Sumac stolz vor sich herträgt und mit postmetallischen Isis-Melodie-Überbau aus dem Morast strahlen lässt – bis die Band tollwütig aufstickt.
True Volcano ist dann als punkiger Brecher a la Cave In mit sampelnden Horror-Einsprengsel eine so kompakt und knackig im Crust und Blackened Sludge verwurzelte Abrissbirne, das erste von zwei auf Scofield-Ingredienzien beruhende Amalgam: „That was a demo Caleb made for a Zozobra project we never got around to about 5 years ago. (…) We were pretty blown away to find a lot of weird ambient noise and even super distorted weird vocals. All that stuff at the end is caleb. Of course Steve added vocals and some very contextually inspired lyrics, and Kurt made the recordings sound super beefy, but it’s mostly caleb at home, including of course the only appearance of his bass on the album“.
Der zweite solche schlägt in die selbe Kerbe, näher hin zu White Silence (2011) als Final Transmission (2019): Final Defeat improvisiert lange minimalistisch moduliert, mutiert dann zu einem Wechselspiel aus Brodskys halluzinogener Psychedelik und einer reißend brüllenden, räudigen Bestie, die den Kompromiss als ätherisch aufmachende Symbiose der beiden Pole findet, sich in einem unwirklich schön-besessenen Kotzen ablegt. „A true Caleb banger!

Noch besser ist da nur Calling You Home, durch dessen ziselierte Folterkammer bald ein episches Echo eines Solo hallt. Spannungen bauen sich dahinter stakkatohaft und geduldig auf, legen sich mit Klargesang fragil sinnierend in eine Goth-Melancholie, die im Verlauf an Intensität, Heavyness und Dichte gewinnt, dabei jedoch immer mehr verzweifelt flehend anzieht und zum emotionalen Herzstück der Platte mutiert – ein Meisterstück.
Der Closer By Love All is Healed beginnt als zügige Turner-Nummer mit postpunkiger Kante und mathlastigem Zwischenspiel im Geifern samt zusammengebissenen Zähnen, wird danach jedoch eher ein Mosaik aus verschiedenen Ideen mit stoischem Trance-Groove, der affektierte Gespensterchöre und frickelndes Gitarrenspiel einlädt, die Auswirkungen des Zusammenspiels von Sumac mit Keiji Haino anhand eines konstant unausgegoren bleibenden Stückwerkes zeigt, dass unter dem Strich doch auch ein bisschen die Vermutung bestätigt, dass sich die Stoßrichtung von Turner und Santos auf der einen Seite und der Cave In-Fraktion auf der anderen hier deutlicher als bisher auseinanderdividiert haben – Seminar VIII: Light of Meaning aber zwischen einer geregelten Zerfahrenheit entlang einiger Machtdemonstrationen einen mehr als befriedigenden Kompromiss bietet, auf den man sich einlassen muß.

Old Man Gloom - Seminar IX Darkness Of BeingSeminar IX: Darkness Of Being

Als gelte es diese These der gewachsenen Diskrepanz innerhalb des Old Man Gloom-Kontextes zu widerlegen, präsentiert sich Seminar IX: Darkness Of Being nicht nur zielstrebiger und entschlackter, indem es sich elaborierte Interludes höchstens in wenigen Passagen gönnt, sondern tut dies alles auch noch, indem es sich beinahe demonstrativ Gäste einlädt, die mal deutlicher dem Umfeld von Turner, mal jenem der Cave In-Riege zuzuordnen sind – und diese unter dem größten gemeinsamen Nenner des Kollektivs eint.

Schon der wuchtige Einstieg mit Procession of the Wounded ist jedenfalls direkter ausgelegt, straight nach vorne drückend. Anspeitschende Drums und die atonal aufflackernden Gitarren unterstützen ein nicht unbedingt inspiriertes Riff, dass sich monoton repetiert und vor allem durch die Umgebungsstörgeräusche sowie die Intensität der Performance lebt, gerade auch durch das aufgepimpte Stooges-Piano einnimmt. Sobald Turner sein Reibeisen mit vollem Gewicht in die Nummer bellt, ist das aber sofort zündend. Heel to Toe pflegt zwar einen rückkoppelnden Einstieg, bratzt dann aber wuchtig mit Newton am Bug rockend los, zeigt Ambition zur Melodie, zur griffigen Struktur und zum unmittelbar packenden konventionelleren Songwriting, schiebt seine Kaskaden so sportlich Richtung kompakten Beinahe-Hit, und könnte in seiner eingeklammerten Form trotzdem auch eine Reminiszenz an Seminar VIII darstellen.

The Bleeding Sun folgt in Zeitlupe einer Leadgitarre zur Melodic Hardcore-Entfesselung mit mystischen Score-Tendenzen und Canto De Santos zerhackstückt seine angespannten Saiten im Niemandland der Experimentierfreude, an sich als Nachbesprechung des nominellen Vorgängers. Old Man Gloom beginnen aufgerauht polternd die Konturen zu schärfen, am Noiserock die Muskeln zu spannen und entlassen aufgestaute Energien in einem brachialen Tritt auf das Gaspedal, in dem sich die beiden Brüllwürfel der Band die Bälle zuwürgen und die Gitarren sich selbst das Fell über die Ohren ziehen, JR Connors zusätzliche Percussion beisteuert und Mike McKenzie ein Solo von der Kette lässt. Trotzdem: In dieser Phase besticht eher Attitüde und Ästhetik, fesselt die jammende Stimmung und das formlose Ambiente, als die kompositionelle Substanz dahinter.

Eine Gewichtung, die sich im weiteren Verlauf zumindest phasenweise noch ändern wird. Death Rhymes ist eine versöhnliche Akustikballade mit dissonant shoegazendem Anstrich und Brodsky am Gesang, dazu Faith Coloccia als Backingstimme und an der Orgel – das ergibt ein ergreifendes Echo von Final Transmission, ein bedrücktes Kleinod der Melancholie im Geiste des Dark Folk auf Droneflower, mit tröstender Atmosphäre und sakralem Anstrich, auch eine grandios-anmutige Einkehr im ruhigen Inneren der Platte.
In Your Name dirigiert dagegen mit militärischer Strenge ein postmetallisches Ungetüm, das einer beinahe Mastodon‘esk schlängelten Hook Platz einräumt. Zwar mäandert die Band dann auch in einem meditativ improvisierten Meer aus Verstärker-Geräuschen, das kurz zurück zu seiner pointierteren Prägnanz findet, doch haben sich eigentlich längst alle Beteiligten mit dem Gedanken angefreundet, in den Äther und eine tröpfelnde Nacht im Radiatorenschein abzudriften.
Das grandiose Love is Bravery schleppt sich aus dieser Mystik nach vorne blickend zu einem Kräftemessen zwischen einem erstaunlich griffig zupackenden, eingängigen Anspannen der Muskulatur und einem somnambul treibenden Sinnieren über die Vergänglichkeit – letztendlich gewinnt die Kompaktheit und entlässt aber auch etwas abrupt. Hätte die Band sich hier hinten raus ein bisschen vom Hang von Seminar VIII zum Müßiggang geborgt, wäre dieses Kapitel der Bandgeschichte wohl etwas runder, besser balanciert und ausgewogen, wenn auch immer noch zu ausführlich und zu wenig streng selektiert beendet worden. Dass sich die Favoritenrolle zwischen den beiden Platten entlang einiger konstanter Highlights sowie individueller Vorzüge und Nachteile jedoch um minimale Nuancen immer wieder abwechselt, ist dann wahrscheinlich so oder so nicht das schlechteste Zeichen.

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