Record Store Day 2014

von am 22. April 2014 in Sonstiges

Record Store Day 2014

Jack White veröffentlicht “the world’s fastest-released record“, Chuck D preist als offizieller Botschafter die Vorzüge lokaler Plattenläden während Ebay und Discogs nachwirkend wie gewohnt zum nimmermüden Geldgrab werden: auch am Record Store Day 2014 war wieder so einiges los. Exklusive Schätze reihen sich da an ernüchternde Enttäuschungen oder wenig notwendige Wiederveröffentlichungen an spannende Kollaborationsexperimente. Wie im letzten Jahr folgt an dieser Stelle der versuch sich durch das Dickicht an erwähnenswerten Releases zu kämpfen.

Record Store Day 2014 Kurzreviews: Teil 1 |Teil 2 | Teil 3 |

LCD Soundsystem - The Long Goodbye LCD Soundsystem Live At Madison Square Garden LCD Soundsystem – ‚The Long Goodbye: LCD Soundsystem Live At Madison Square Garden

The Long Goodbye‚ unmittelbar in den Stand eines (zeitgenössischen) Klassikers, auf eine Ebene mit Konzertaufnahmen wie ‚Live at Leeds‚ oder ‚The Last Waltz‚ zu stellen ist freilich verfrüht – zumindest wenn man sich nicht unter den knapp 14.000 tanzwütigen Beerdigungsgästen im innerhalb von Sekunden ausverkauften Madison Square Garden befunden hat, die am 2. April 2011 Abschied von James Murphy’s Dancerrockflagschiff nahmen und seitdem mit einer geradezu mythologisch angehauchten Faszination über einen Abend berichten, den selbst die sorgsam inszenierte Videodokumentation ‚[amazon_link id=“B008MMONCE“ target=“_blank“ ]Shut up and play the Hits[/amazon_link]‘ unmöglich wiedergeben kann. Und tatsächlich scheint es sogar, dass, um die bedingungslose Faszination und allgemeine Hipster-Begeisterung,die LCD Soundsystem bis zu dieser alleine dimensional eindrucksvollen finalen Implosion auslöste, im Detail nachvollziehen zu können, es durchaus hilfreich zu sein scheint zumindest schon einmal einen Fuß nach New York gesetzt zu haben, um das von James Murphy und seiner Band offenbar so nahtlos artikulierte Lebensgefühl der niemals schlafenden Metropole – eine zwischen Hektik und Coolness pulsierende Rhythmik im Spannungsfeld der nostalgischen und melancholischen Euphorie –  nachempfinden zu können.
Kein Muss, nichtsdestotrotz und letztendlich ist ‚The Long Goodbye‚ auch so schlicht und ergreifend nichts weniger als ein Nahe der Perfektion wandelnder Livemitschnitt: dass die über 3 Stunden gehende Setliste so gut wie perfekt ist (alle Hits, einige Raritäten) und die Gäste (Reggie Watts, Arcade Fire) den Abend zusätzliche Höhepunkte verpassten ist längst bekannt. Wirklich überraschend sind aber auch die am Record Store Day in rein audiotechnischer Hinsicht offen auf den Tisch gelegten Erkenntnisse nicht: Murphys Produktion ist fantastisch, die haptische Aufbereitung in Form von fünf schick designten Platten eine enorm stilvolle Verlängerung der Gegebenheiten. Rundum eine Veröffentlichung, die den Plattenladenfeiertag praktisch im Alleingang aufwertet. Eine gute Sache also, dass diesem auf 3000 Stück limitierten Sahnestück am 19.05.2014 eine weitreichendere Veröffentlichung folgen wird: denn wer auch nur ansatzweise etwas mit discotauglichem Indie der Post-Giuliani-Ära anfangen kann sollte dieses Zeitgeist-definierende Zeugnis im Regal stehen haben.09

Ulver With Tromsø Chamber Orchestra  Ulver with Tromsø Chamber Orchestra ‎– ‚Messe I.X-VI.X

Die edelste Version von ‚Messe I.X-VI.X‚, der sakralen Klangkathedrale aus Klassikversatzstücken und Ambientcollagen von Ulver und dem Tromsø Orchester bleibt weiterhin die längst unerschwinglich gewordene Deluxe Version im massiven Boxformat – von den herkömmlichen Vinylversionen ist die nun erschienene Picture Disc allerdings definitiv eine der am ästhetischsten. Womit der Mehrwert dieser Veröffentlichung allerdings auch schon umrissen ist: wer ‚Messe I.X-VI.X‚  noch nicht im Plattenregal stehen hat oder als Hardcorefan der kollaborationswütigen Getaltenwandler Ulver respektive leidenschaftlicher Sammler jede Variante der Platte sein eigenen nennen will kann hier bedenkenlos zugreifen. Ansonsten ist diese Veröffentlichung – ungeachtet der schlichtweg großartigen Musik natürlich- viel mehr nette Kür als essentielle Pflichtübung.06

12 Jacket (3mm Spine) [GDOB-30H3-007}  Various Artists – ‚In Utero: In Tribute: In Entirety

Im letzen Jahr feierte Nirvana’s ‚In Utero‚ seinen 20. Geburtstag. Grund genug für das Washingtoner Label Robotic Empire sich zu verneigen und dabei gleichzeitig die eigene eineinhalb Jahrzehnte dauernde Existenz mit der 100 Veröffentlichung unter eigenem Banner zu zelebrieren. Seit über sieben Jahren trägt man die Idee zu einem ‚In Utero‚-Tribut nun bereits mit sich herum und die Songs dafür zusammen. Ein Aufwand, der trotz der üblichen Höhen und Tiefen im Repertoire der Mühen durchaus wert war: alleine das Aufgebot der namhaften Bands wird dem einen oder anderen Fan die Tränen in die Augen treiben.
Überraschenderweise sind es allerdings vor allem die weniger bekannten Begleiter des Labels, die auf In Utero: In Tribute: In Entirety nachhaltig beeindrucken: Circa Survive (‚Scentless Apprentice‚ lässt keinen Raum für Androgynität) und ausgerechnet Thursday (mit ‚Rape Me‚) begnügen sich als die wohl größten Zugpferde enttäuschenderweise damit Songs nur nachzuspielen und bleiben so auf umspannende Weise zu dicht am Original. Theoretisch tun das auch die großartigen, aktuell im Wachkoma liegenden Daughters – ‚Radio Friendly Unit Shifter‚ klingt trotzdem gleichzeitig straight und herrlich zerschossen; der kurze Austicker von Ceremony (‚Tourette’s‚) bietet ebenso keine neuen Facetten, beschwört aber das richtige Maß an Energie – der sprintende Rock von Mean Jeans in ‚Very Ape‚ bleibt dagegen kaum in Erinnerung.
Durchwegs besser, weil eigenständiger, gelingt die Sache These Arms Are Snakes oder Young Widows, die ‚Heart-Shaped Box‚ und ‚Dumb‚ in den fiesen Noiserock ziehen und auch die Shoegazerocker Whirr funktionalisieren ‚Pennyroyal Tea‚ durchaus ansprechend in der eigenen Komfortzone. Vereinzelt schraubt sich ‚In Utero: In Tribute: In Entirety‚ sogar bestechend hochklassig an die Erwartungshaltung heran: ‚Serve the Servants‚ wird in den Händen von Pygmy Lush zum himmelschreiend traurigen, am reduzierten Country pochenden Dunkelkammerfolk. Die Covergaranten Thou mischen ‚Milk it‚ gar nicht so spektakulär als Dämonenaustreibung auf, haben mit cleanem Gesang (!) das Überraschungsmoment absolut auf ihrer Seite. Dass der Lo-Fi-Rock des verstorbenen Jay Retard toll zu ‚Frances Farmer Will Have Her Revenge on Seattle‚ passt weiß man seit 201o – in der erstmals fertigproduzierten Fassung wirkt er sogar noch besser. Der schiefliegende Retrorock der auch nicht mehr existierenden Black Math Horseman in ‚All Apologies‚: ein psychedelischer Ausklang, der wie die meisten Songs hier an den überragenden Originalen scheitert, aber durchaus stimmungsvoll den Hut zieht. Insgesamt eine durchaus runde und unterhaltsame Angelegenheit ohne tatsächlichen Ausfall. Dass Robotic Empire der auf 1000 Stück limitierten Version weitere Vinyl-Exemplare und Downloadmöglichkeiten folgen lassen wird passt also schon so, obwohl (und gerade auch weil) das den Sinn des Record Store Day bedingt untergräbt aber vor allem Wucherpreisen entgegen spielt.06

Various Artists - The Space Project  Various Artists – ‚The Space Project

Ja, das ist die Compilation, bei der Spiritualized Frontmann Jason Pierce nur mitgemacht hat, weil er „derartige Drones im Schlaf schreiben könnte und schlicht das Geld gebraucht hätte„. Dieser durchaus wenig schmeichelhaften Vorabrandnotiz wird ‚The Space Project‚ nun allerdings nicht gerecht. Tatsächlich ist die Compilation sogar zu einer durchwegs homogenen und einnehmenden Sammlung atmosphärischer Stimmungsbilder geworden, stets ruhig und besonnen fließend, weitestgehend instrumental gehalten und gedankenverloren in ambienten Klangwelten driftend. Manchmal durchaus griffig (wenn sich Mutual Benefit etwa gar nicht so weit von seinen gängigen Schema entfernt und mit ‚Terraform‚ einen sanftmütigen Folk vorlegt), dann in mitternächtlicher Noir-Dunkelheit prophetisch (wenn The Antlers mit ‚Jupiter‚ den bläsergetränkten Dreampop/Darkjazz ihres superben Albums ‚Familiars‚ vorwegnehmen) oder als hymnisch in Schach gehaltener Spacerock umspülend: ja, Pierce hat unter seinem Alias The Spiritualized Mississippi Space Program mit ‚Always Together With You (The Bridge Song)‚ vielleicht einen höchstens routinierten Standardsong aufgenommen – das ist trotzdem auf Tremolo-melancholische Art und Weise toll. Wenn man ‚The Space Project‚ etwas vorwerfen kann dann allerhöchstens, dass der ambitionierte Überbau und Grundbaustein der auf den Voyager-Missionen aufgenommenen Sounds abseits der transportieren schwerelosen Atmosphäre zum unwichtigen Beiwerk verkommt.
Wem die klingenden Teilnehmernamen von Beach House über Youth Lagoon bis hin zu Jesu also nicht von vornherein das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, der wird ja eventuell von der hübschen 7×7″ Vinylbox überzeugt. Zumal ja selbst Jason Pierce der Compilation doch noch seinen Segen gegeben hat.07

Death Cab for Cutie - Live 2012  Death Cab for Cutie featuring Magik*Magik Orchestra – ‚Live 2012

Live 2012‚ gehört zu jenen Record Store Day-Veröffentlichungen, die eigentlich viel zu schade dafür sind, in das gängige Geldmaschinen-Prozedere nach dem Tag zu fallen: ein großartiges Release, dass wohl jeder Fan gerne im Schrank hätte,  mit einer zu geringen Auflage  vor allem für Menschen ohne 10 Plattenläden in der Stadt online aber nur noch zu Preisen erhältlich ist, die einem jegliche Freude an diesem Feiertag rauben. Davon abgesehen ist die Zusammenarbeit von Death Cab for Cutie und dem umtriebigen Magik*Magik Orchestra (Mike Patton, Nick Cave, The Dodos oder The Walkmen können unter anderem von den Vorzügen des wandlungsfähigen Orchesters berichten) eine reine Ohrenfreude. Der ganze Schwarm an Hits den Ben Gibbard und Co. hier auffahren verschmilzt nahtlos mit der sorgsam arrangierten Orchestrierung, und ein gesundes Maß an wohldosiert-zusätzlichem Schmalz schadet den emotionalen Herzschmerzsongs erwartungsgemäß kein bisschen. In ‚I Will Follow You Into The Dark‚ oder ‚Transatlanticism‚ gipfelt die Kooperation in romantischen Gänsehautszenarien mit strahlender Opulenz aber ohne galligen Bombast, ein ‚Stay Young, Go Dancing‚ klang vielleicht noch nie derart unbeschwert lieblich, beim launigen ‚Codes And Keys‚ stellen sich die Nackenhaare auf. Ein großartig gelungener Seiltanz, mit allumfassender und enorm ergiebiger Setlist. Begrüßenswerter als eine weitreichende Veröffentlichung hiervon wäre da höchstens endlich einmal ein reguläres Death Cab for Cutie Livealbum vorgesetzt zu bekommen.08

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