Sturgill Simpson – Sound & Fury

von am 30. September 2019 in Album, Heavy Rotation

Sturgill Simpson – Sound & Fury

Wirklich erwünscht gefühlt hat sich Sturgill Simpson wohl ohnedies nie in Nashville. Weswegen er ohne falsche Verbundenheiten kurzerhand zum ultimativen Outlaw-Mindfuck ansetzt und seinen Unmut über das Business in ein überbordendes Gesamtkunstwerk projiziert: Für Sound & Fury und den dazugehörigen millionenschweren Netflix-Film erfindet sich der Country-Rebell als postapokalypischer Rocker neu.

Dass der ohnedies mit jeder neuen Platte um unerwartete Wendungen und eine immanente kreative Ruhelosigkeit bemühte Simpson über sein viertes Studioalbum zum bisher eklatantesten Stunt seiner Karriere ansetzen würde, darauf konnte man sich bereits im Vorfeld spätestens verlassen, als der 41 Jährige relativ unkonventionelle Einflüsse Preis gab (neben Eminem bestand der Musikkonsum von Simpson offenbar vornehmlich aus „a lot of hip-hop, and Black Sabbath, and the Cars, and old funk records and things„) und seine „most psychedelic“ und „heaviest“ Songs bisher anteaserte, eine „sleazy, steamy rock’n’roll record“ versprach.
Mittlerweile weiß man: Der Mann hat sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, im Gegenteil. Im Ganzen besteht Sound & Fury hinter dem sensationell Badass-übersteigerten Mad Max-meets-Knight Rider-Trash-Artwork einerseits aus einem bockteuer zwischen Anime und Real-Konzeptfilm wechselnden Netflix-Video mit unbescheidenem Grundgedanken („I came up with the idea to travel to Japan and get the five most legendary animation directors in history together and get them all drunk and put them to competition to see who can outdo one another, and we’ll just animate the whole fucking album“ – geworden sind es letztendlich zumindest annähernd namhafte) sowie andererseits musikalisch einer stilistischen Actionsequenz, die Simpson kurzerhand mit beeindruckend radikaler Konsequenz im retrofuturistischen Cyber-Country verortet.

Auch wenn das Songwriting an sich immer noch typisch ist, Sound & Fury im Kern kompositionell durchaus in einer evolutionären Linie mit High Top Mountain (2013), Metamodern Sounds in Country Music (2014) und A Sailor’s Guide to Earth (2016) nachvollziehbar bleibt, ist der Sound der Platte ein überraschender Genre-Auslagenwechel für Simpson, der erst einmal auf dem falschen Fuß erwischen kann.
Immerhin klingen diese Überholspur-Dystopien irgendwo zwischen Bluesrock, Synthwave und psychedelischem Boogie rasend nach elektronisch aufgepimptem Rock in Neonfarben – mit einer extrem dicht produzierten Wall of Sound aus in der Distortion bratenden Gitarren, wuchtigen in die Hüften gehenden Drums, lasziv swingenden Bassläufen und den überall fiependen Keyboardflächen.
Als hätte Simpson plötzlich Dragon Sound als Backingband engagiert; als würde Waylon Jennings als Leithammel den Black Keys den Mut geben, wieder mit sexy-kompromisslosen Eiern zu musizieren; als würden die Queens of the Stone Age sich von Carpenter Brut inszenieren lassen; oder eben, als hätten ZZ Top sich vor dem Hintergrund einer Perturbator-Produktion an ihre besten Tage erinnert.
Ein betonter artistic move von Simpson, klar; ein dezitierter Mittelfinger für Puristen und Traditionalisten, sicher. Aber eben deswegen keine künstliche Verbiegung, keine erzwungene Entwicklung um jeden Preis und auf Kosten der eigentlichen Stärken. Sound & Fury hat ungeachtet der frontalen Fuck You-Attitüde schließlich gewohnt starke Melodien und eine leidenschaftliche Performance zu bieten, ist so authentisch wie dringlich, zeigt Simpson wahrscheinlich sogar zudem anhand seines am eingängigsten zündendenden Material – und damit entlang von zehn starken Smashern vor allem schlichtweg verdammt unterhaltsam und kurzweilig. (Wo die inhaltlich so selbstreferentiellen, die eigenen Befindlichkeiten in einen animierten Konzext katapultierenden Nummern zugegebenermaßen emotional deswegen weniger universell als bisherige Songs im Simpson’schen Repertoire in die Tiefe gehen).

Ronin startet die Motoren als rein instrumentaler Jam, stellt den Radiosuchlauf zwischen den Sendern wechselnd ein – und Sound & Fury wird trotz klarer Anfangs- und Endpunkte dramaturgisch eben tatsächlich eher eine homogene, szenengetriebene Songsammlung bleiben. Doch der gerne unterschätzte Techniker Simpson findet bereits für diesen stilbildenden Vorspann eine grell schimmernde, düster funkelnde Vision voll exaltierter Gitarrensoli, die hungrig macht. Remember to Breathe legt dort über orientalisch groovender Patina seine Keyboardtexturen geduldig in einen krautigen Rhythmus, bevor Sing Along in den nächsten Gang schaltet, das Tempo tanzbar anzieht, und als waschechter Hit in einer Stafette aus ausnahmslosen Ohrwürmern die überragendste Phase der Platte einläutet.
A Good Look setzt nach langer Vorlaufzeit schließlich zum funky Disco-Squaredance an, wo  alleine der Bass klingt, als würde John Travolta zur Super Mario Bros. Super Show auf Underground-Speed abgehen. Das sinnbildliche Herzstück Make Art Not Friends wächst aus der tranceartig entspannten, abgedämpften Club-Atmosphäre, schreitet dann getragen in einer synthetischen, geradezu maschinell wirkenden Motorik. Simpson singt seinen Hymne darauf, kreative Entscheidungen über falsche Zweckfreundschaften zu stellen, so vorsichtig und betulich wie möglich, liefert ein im Grunde zärtliches Stück, dass in einer entmenschlichten Umgebung nach echten Gefühlen sucht. Toll auch, wie nachhaltig sich die Bilder zur Musik einprägen.

Best Clockmaker On Mars werkelt knackig und lasziv an den Saiten der Axt, bis in die Welten von Captain Future konzentriert, wohingegen die nachdenkliche Schönheit All Said And Done für Tarantino die soulige Verbindung von verträumt-bimmelnden Motown-Deep Cuts und ätherischer Western-Musik findet, die sich elegisch, wohlig und unwirklich bis über den Umweg des Black Mountain treiben lässt. Der kompakt shuffelnde Twist Last Man Standing zieht die Schrauben danach hingegen umso schmissiger eng, funktioniert jedoch eher im Kontext als Katalysator und wirkt abseits davon fast ein bisschen zu direkt gestrickt.
Doch das entlädt effektiv aufgebauten Druck vor einem Finale, das erst nichts überstürzt. Mercury In Retrograde ist relaxt und beschwingt, ein munterer, poppiger Blues, der Spannungen löst und auch nicht vor Synthies zurückschreckt, die bis in den Fernsehgarten der 80er schweben. Fastest Horse In Town holt während des Abspanns umso heavier brütend im Southern Rock aus, nähert sich als Post-Credit Pointe gar nach und nach dem auslaufenden Exzess an, peitscht und kreischt und heult – und beendet Sound & Fury trotzdem auf eine subjektiv zu knapp bemessene Weise, irgendwo unvollend, als würde man Kill Bill 1 ohne Teil 2 sehen. Es fehlt der auch wegen ihrer ausfallfreien Kompaktheit süchtig machenden Neuerfindung von Simpson gefühltermaßen dann hinten raus doch an einem oder zwei zusätzlichen Songs, um die herrschende Euphorie auch mit dem angemessen-voluminösen Gewicht auszustatten.
Ob Sound & Fury allerdings überhaupt tatsächlich für sich selbst stehen wird, keine Fortsetzung oder etwaiger Appendix dieser spektakulären Hatz nachjagen wird, muss sich aber ohnedies noch zeigen. Immerhin ist die im Vorfeld getätigte Prognose, dass sein Viertwerk wohl ein Doppelalbum werden würde, das eigentlich einzige von vielen vollmundigen Versprechen, dass Simpson mit dieser potenten Singleschleuder (noch) nicht eingehalten hat.

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