Taylor Swift – Evermore

von am 14. Dezember 2020 in Album

Taylor Swift – Evermore

Schon der Überraschungs-Coup Folklore vertändelte seine Kompetenzen zu ausführliche Spielzeit und vielen Songs. Jetzt hat Taylor Swift und ihr Kompagnon Aaron Dessner mit dem Schwester-Album Evermore noch einmal (mindestens) 61 Minuten Musik aufgenommen.

Mit 15 Songs ist Evermore zwar minimal kürzer als das nur fünf Monate alte Vorgängeralbum, aber immer noch zu lange: Nahezu jede der (niemals redundanten, aber bisweilen auch zu unkritisch im Kontext mitgezogenen) Nummern hätte gekürzt werden können, ohne die gefällige Atmosphäre zu beschneiden.
Trotzdem fällt diese Länge in Summe diesmal nicht derart gravierend ins Gewicht, weil sich Swift und der weiterhin als gemütliches kreatives Kissen herhaltende Aaron Dessner auf eine deutlich weniger gleichförmige Gangart verständigt haben: Auf dem achten Studioalbum der 31 Jährigen passiert deutlich mehr, als noch auf ihrem achten. Auch, weil das Duo die kuschelige Folk-Wohlfühlzone von Folklore nun wieder näher zu den Kompetenzen der vorangegangenen Pop-Konsenswerke von Swift dirigiert – schon wenn der schöne Ohrwurm Willow behutsame Percussion unter die gezupfte Akustikgitarre legt und seinen Refrain zu oft wiederholt; mehr noch im kräftiger pulsierenden Rumpler Long Story Short, der mit seinem maßgeschneiderten The National-Skin Indie-Fans ohne kalkulierte Agenda ansatzlos zum angenehm konsumierbaren, aber auch latent egalen Formatradio abholt.

Mit mehr Variabilität in der Inszenierung (von genau genommen dennoch relativ genormten Melodiebögen und Arrangements) gestaltet sich der Fluss der Platte jedenfalls etwas dynamischer und auch kurzweiliger, differenziert sich individueller auseinander. So entsteht eine überzeugende Basis mit mehr Bandbreite, in der diesmal keine solch herausragenden Highlight-Songs wie Cardigan gelingen wollen – dafür allerdings zumindest ein enervierender Ausfall.
No Body, No Crime kehrt smart ausbalanciert zu den Country-Wurzeln der Sängerin zurück, zeigt durch die musikalisch enorm eingängig schunkelnde Hitfähigkeit auch, wie effektiv die Gäste von Haim aktuell im akzentuierten Pop sind – ist als True Crime-Detektivinnen-Geschichte inhaltlich aber kurz vorm spannungslosen Nervpotential angelegt. Bezeichnend, dass es die einzige Nummer mit alleinigen Songwriter-Credits für die Amerikanerin auf einem betont die Zusammenarbeit hervorhebenden Werk ist?
Die restlichen Kooperationen auf der erweiterten Achse von Swift und Dessner, der hier allerhand Szene-Kumpels an Bord geholt hat, enttäuschen vielleicht, liefern aber als Zielgruppensynergie ab: Coney Island ist eine klassische ruhige, schöne The National-Nummer als melancholische Nostalgie, ein bisschen zu formelhaft, in der die Stimmen gefällig harmonieren, aber auch aufzeigen, dass Swift gegen die charismatische Organfarbe von Matt Berninger kaum tiefenwirksam verblasst. Der an sich feine, klar bezaubernde Titelsong wäre ohne die formelhaft nach Cut-and-Paste-Pflichtprogramm klingenden Vocals von Bon Iver-Mann Justin Vernon dagegen purer, da sie den Closer vom Kern entfernen und überhöht in eine willkürlich aufkochende Katharsis lenken, die nach Sekunden verpufft.

Die Backingvocals von Marcus Mumford in Cowboy Like Me sind kaum der Rede wert, die Nummer aber eine gemütlich schippernde Berieselung aus Versatzstücken, die man so im Verlauf der beiden Alben einfach schon (zu) oft gehört hat – was so auch für den weichen Aufguss des tröstenden (Großmutter-Tributes oder True Crime-Da Capos?) Marjorie gilt. BJ Burton hilft unter das immer gleich temperierte Klavier des wenig substanziellen Intermezzos Closure einen verspulten Elektronikrhythmus zu produzieren, Ivy träumt als winterliche Antonoff-Ausfahrt, die ihre Konturen immer stärker kontrastiert, aber enorm subtil bleibt –  und auch weiter weg aus den Hohheitsgebieten von Lana Del Rey agiert, als die vorsichtig in Sepiatönen wehende Upbeat-Streicheleinheit Ivy (als zweiter Antonoff-Credit) oder das meditative Andenken Happiness.
Bis auf No Body, No Crime lässt sich Evermore allerdings stets gut durchhören, auch wenn das stärkste Material doch in der tollen ersten Hälfte der Platte aufzeigt. Der Ohrwurm Champagne Problems hätte als liebenswürdig-heimelige Piano-Miniatur mit dezenten rhythmischen Akzenten (und zu bedeutungsschwer tief intonierter Titelzeile) auch ebenso ansatzlos auf den Vorgänger gepasst, wie Tolerate it. ‘tis the Damn Season ist ein behände nach vorne orientierter, aber unaufgeregt in sich ruhender Balsam und das unaufdringlich beschwingte Dorothea einmal mehr eine Swift-Komposition im The National-Gewand, die ihren Mehrwert fürsorglich umarmend im Optimismus sowie einer auf Evermore allgegenwärtigen Nonchalance und absoluten Natürlichkeit findet.
Auch wenn gerade dieser spontane, bescheiden bleibende und instinktive Zugang aller Beteiligten, der vielleicht außerhalb dieses Jahrgangs so für eine Musikerin wie Swift gar nicht möglich gewesen wäre, einen Teil der authetischen Anziehungskraft dieser immer wieder gerne für die Hintergrund-Berieselung herausgeholten Platten-Schwestern ausmacht, lässt sich rückblickend doch festhalten: Destilliert auf ein zwanzig Songs starkes Doppelalbum wäre diese Entwicklungsphase von Swift noch wunderbarer dokumentiert gewesen. Dennoch eine der schönsten (beiden) Überraschungen 2020.

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