The Rolling Stones – Blue & Lonesome

von am 4. Dezember 2016 in Album

The Rolling Stones – Blue & Lonesome

Dass Blue & Lonesome postwendend in die Top Ten der Jahrescharts des US-Rolling Stone geschossen ist, ist freilich ein wenig übereuphorisch (bzw. symptomatisch für die konservative Zeitschrift an sich), aber es stimmt schon: Besser als auf ihrem ersten Coveralbum überhaupt waren Keith Richards, Mick Jagger und Co. seit Dekaden nicht mehr.

Elf lange Jahre nach dem mediokren A Bigger Bang verneigen sich die Stones auf ihrem 23. (oder je nach kontinentaler Zählweise 25.) Studioalbun tief vor dem Blues, vor Chicago, vor legendären Größen wie Willie Dixon, Howlin‘ Wolf oder Memphis Slim – und liefern damit insofern eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln, wenn man sich vor Augen hält, dass die Glimmer Twins einst einen Song wie As Tears Go By postwendend an Marianne Faithfull weiterreichten: „We didn’t think of [recording] it, because the Rolling Stones were a butch blues group.
Wo Blue & Lonesome auf den ersten vorschnellen Blick (gerade auf das schrecklich einfallslose 0815-Augenkrebs-Cover gerichtet) allerdings primär nur zu leicht nach einer inspirationslosen Nummer Sicher-Cash Cow zur Weihnachtszeit anmutet, entpuppt sich das fertige Werk als beseelter Jam, der den Stones eine lange nicht mehr gehörte Kurzweiligkeit und Leidenschaft injiziert. Quasi eine Blutauffrischung, der man anstandslos das Feuer anhört, das in der Altherrenfraktion während der grade einmal drei Studiotage brannte, an denen Blue & Lonesome entstanden ist.

Geradezu paradox eigentlich, da die nun vorliegenden 43 Minuten eigentlich nur als warmspielendes Nebenprodukt zu regulären neuen Original-Stones-Songs gedacht waren. Nur klappte das mit der Kreativität nicht wie erwartet, eigene Kompositionen blieben aus, wiewohl sich die Inspiration gnädigerweise anderweitig kanalisierte.
Dass Produzent Don Was den Sound dabei vielleicht um das Quäntchen zu sauber ausgeleuchtet hat (wo ein bisschen mehr anrüchiger Schmutz und Schweiß den dennoch rauen, ursprünglichen Charakter der zwölf Nummern wohl noch zusätzlich unterstrichen hätte) fällt da letztendlich nur unbedeutend ins Gewicht. Was zählt ist die zwingende Performance, mit der sich die Stones in die Kompositionen legen, dem hochklassigen Songwriting Tribut zollen – und gleichzeitig auch ihre eigenen Stärken darin anrufen.

Richards und Wood sind hier sowieso in ihrem Element, ergänzen sich als exzellente Bluesgitarristen zudem makellos mit dem slidenden Eric Clapton, der für Everybody Knows About My Good Thing (zurückgelehnt und nonchalant bäumt sich die Nummer von Miles Grayson und Lermon Horton jammend auf) sowie die absolut fantastisch in Wehmut strahlende Blues-Standard-Schönheit I Can’t Quit You Baby (ja, die Stones können sich die Nummer auch nach den promienten Interpretationen von Led Zeppelin, John Lee Hooker oder John Mayal tatsächlich ohne jedweden angesetzten Staub einverleiben) aus dem Nebenstudio bei den Aufnahmen vorbeischaute.
Der gar nicht so heimliche Held der Platte ist dennoch Jagger: als MundharmonikaSpieler darf sich der 73 Jährige immer wieder so hemmungslos wie songdienlich ins Rampenlicht (und aus dem Schatten von Brian Jones) spielen, für allerlei fiebrige Exkursionen sorgen. Sein packender Gesang ist dazu unprätentiös und voller Hingabe, kommt ohne Manierismen frischer auf den Punkt als man das bei dem so oft bloß nur noch stolzierenden Gockel zuletzt (…) oft der Fall war, er schwitzt bisweilen gar wieder eine entfesselt-jugendliche Sexualität. Etwa, wenn der Titelsong verführerisch dösend seine Dämonen intensiv beschwört oder das unaufgeregte All of your Love lässig strawanzend über seinen stoisch nickenden Groove klimpert, bis die Harmonika vibriert. Es ist auch diese scheinbare Unangestrengtheit im Agieren – im puren Können! -, die Blue & Lonesome dermaßen in die Karten spielt.

Gerade die lagsameren Stücke geraten den Stones so zu absoluten Sternstunden der jüngeren Discografiegeschichte. Gibt die Band (bei denen von der bezahlten Musikerriege nur der  grandiose Langzeit-Basser Darryl Jones als Rhythmus-Stützpfeiler nach vorne rückend darf, während Matt Clifford und Chuck Leavell sich glücklicherweise darauf beschränken dezent im Hintergrund zu texturieren) mehr Gas, stehen da energische Stampfer wie Just Your Fool oder das geschmeidige Commit A Crime. I Gotta Go dreht beschwingt und ausgelassen auf, Watts treibt die Single Ride ‚Em On Down gewitzt an. Das so oft gehörte Little Rain mutiert countryesk schlapfend zur Musik für das Absacken im Roadhouse am Highway, das muntere Just Like I Treat You destiliert den Proto-Rock’n’Roll.
In Summe steht damit eine nicht essentielle, aber herrlich schnörkellose, hingebungsvolle, unterhaltsame und zeitlose Zeitreise-Platte, die man der Dienstleister-Stadion-Institution, die die Rolling Stones längst geworden sind, so beherzt gar nicht mehr unbedingt zugetraut hätte. Vielleicht auch, weil Blue & Lonesome – seien wir uns ehrlich – im Grunde dann doch mehr richtig macht, als es Jagger und Richards mit neuen eigenen Songs wohl überhaupt machen hätten können. Beinahe so, als hätte sich mit dieser Frischzellenkur also wieder einmal nur die alte Weisheit bewahrheitet. „You can’t always get what you want/But if you try sometimes well you just might find/You get what you need„.

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