The Specials – Encore

von am 7. Februar 2019 in Album

The Specials – Encore

The Specials waren schlau genug, mehr Sorgfalt und Gedanken in die Musik, als in das karge Artwork von Encore zu stecken: Ihr klassischer 2 Tone-Reggae über soziale, politische und kulturelle Missstände liefert erstaunlich treffsicher über der Erwartungshaltung ab.

Diese mag beinahe zwei Jahrzehnte nach dem letzten offiziellen Studioalbum (und knapp vier Dekaden nach den prägenden Heydays) von vornherein zugegebenermaßen nicht die höchste gewesen sein – zumal mit Lynval Golding, Horace Panter und (der erstmals seit 1981 wieder auf Platte anwesende und mit seinem Gespür für Melodien prägende) Terry Hall „nur“ noch drei Originalmitglieder in der On-Off-Besetzungsliste der UK-Legende zu finden sind.
Warum die seit Jahren live wieder durch die Lande tingelnden Specials jedoch bei Eingeweihten einen weiterhin unangetasteten Ruf genießen, kann man den der Special Edition beigepackten Live-Mitschnitten nachvollziehen: Die rund um Jerry Dammers-Ersatzmann, Keyboarder und Produzent Nikolaj Torp Larsen versammelte Band (mittlerweile unter anderem auch The Libertines-Drummer Gary Powell sowie Paul Weller-Intimus und Ocean Colour Scene-Gitarrist Steve Cradock) ist fantastisch aufeinander eingespielt, klingt tight ohne jeden Zwang, und hat mehr Gefühl im kleinen Finger, als andere Kombos im ganzen Körper.
Was sich anhand der Live-Aufnahmen mit Best of-Selektions-Charakter jedoch auch nachhören lässt: Neuerliche Klassiker sind den Specials auf Encore keine gelungen – dafür aber zehn ausfallfreie, frische Revival-Ergänzungen der hauseigenen Diskografie, die mit funky Gitarrenlicks, schmissig groovenden Rhythmen und bisweilen auch anachronistische Disco-Streichern im organischem Soundbild direkt in den Bauch gehen, dabei aber stets die nötigen Denkanstöße geben wollen. Dass auf der Welt aktuell mal wieder so einiges schief läuft, ist überhaupt erst der Grund, aus dem Encore seine Substanz schöpft.

Die Interpretation des The Equals-Funk-Hits Black Skin Blue Eyed Boys geht mit seinem zündenden Singalong-Refrain gleich ins Ohr, auch Blam Blam Fever (von The Valentines) hofiert eine poppige Leichtigkeit und nonchalant-catchy greifendes „Gunfever“. Covern können die Specials also zweckmäßig stark, viel falsch macht die Band aber auch sonst nicht. Es existiert entwaffnend karibischer Ska (Embarrassed by You) wie selbstverständlich neben butterweich-soulig texturierten Spoken Word-Innenansichten ( The Life and Times (Of a Man Called Depression)). Am besten, weil bewegendsten, ist diesbezüglich übrigens B.L.M. – eine rezitierte Erinnerung von Lynval Golding über die globale Wirkung von Rassismus und Black Lives Matter über Landesgrenzen und Zeitzonen hinweg. Vote for Me lässt danach sogar kurz die Nostalgie von der Leine (als ideale Reminiszenz an das unsterbliche Ghost Town), entspannt sich als geschmeidiger Bap, bevor sich das unaufgeregte The Lunatics mit Bläsern vor dem hauseigenen The Fun Boy Three-Original verneigt.
Und den weniger überzeugenden Routinearbeiten (Breaking Point schunkelt gemütlich als Kirmesmusik, die textlich ausnahmsweise zu bemüht der Zeit hinterherzuhecheln scheint: „Here comes another email/ There goes another shemale/ Social media is a trend that will send us all round the bend“) stehen Blutauffrischungen wie 10 Commanments entgegen. Hhier rappt Feministin Saffiyah Khan im zwischen unterschwellig grollendem Ska und sentimental-romantischer Streicher-Melodieseligkeit. Hier kann Encore sogar ein bisschen Dringlichkeit in die Erbverwaltung pumpen.

Was der Platte dabei jedoch selbst in diesen ambitionierter aus der versierten Komfortzone ausbrechenden Szenen fehlt, ist ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit. Eine grundlegende Gefahrlosigkeit der Musik kann die Angriffslust der Texte nicht anpeitschen, sondern fällt abseits der Highlights in eine gefällige, zu solide nach Hause gespielte Nebensächlichkeit, die ein paar spritzige Geistesblitze wünschenswert gemacht hätte – vielleicht fehlt auch einfach der Input von Dammers als kreativer Reibungspunkt?
So bleiben auf lange Sicht abseits der schmissig gewählten Fremdkompositionen als Aushängeschilder deswegen eher isolierte Elemente und Bausteine einzelner Nummern zurück, oder die jeweilige Ästhetik des Songwritings – explizite Melodien oder Hooks erweisen sich dagegen nicht wirklich als erinnerungswürdig. Nichtsdestotrotz funktioniert dieses unverbraucht und motiviert über den Erwartungen performende Comeback über die Achse aus Form und Inhalt unter dem Strich absolut stimmig.
Spätestens wenn der symptomatische – tolle, aber auch in der Luft hängen lassende – Closer We Sell Hope als gefühlter Nachtrag zur Brexit-bedingten Rückkehr von The Good, The Bad & The Queen aus dem vergangenen Jahr anmutet, mit seinem beruhigenden Optimismus im Tonfall zwar textlich über plumpe Gegenüberstellungen nicht besonders kreativ aufgestellt sein mag („White is black, black is white/ Right is wrong, wrong is right/ If night is day, then day is night“), wird jedoch klar, dass Encore alleine deswegen schon überzeugt, weil diese Zugabe ihr Herz mit einer simplen Grundwahrheit am rechten Fleck hat: „Looked all around the world/ We’ve gotta take care of each other“.

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