Tricky – Ununiform

von am 28. September 2017 in Album

Tricky – Ununiform

Nach seinem 2016 getätigten Besuch bei Massive Attack hat Tricky sich nun auch nach knapp zwanzig Jahren wieder mit seiner einstigen Muse Martina Topley-Bird im Studio ausgesöhnt. Wo man Adrian Thaws insofern nur zu leicht auf einem mit der Vergangenheit Frieden schließenden Nostalgie-Trip wähnen könnte, verliert Ununiform jedoch eher frustrierend unentschlossen seine Orientierung inmitten der sich aktuell auftuenden Perspektiven.

Überraschung: Die famose Topley-Bird-Reunion When We Die stellt als erste Single irritierenderweise ausgerechnet den Closer des dreizehnten Studioalbums von Tricky. Zwar fasziniert die Nummer auch dort mit dieser nebulös-beklemmenden, fesselnden Atmosphäre, die automatisch entsteht, wenn Thaws mit seiner unterschwellig bedrohlichen Stimme an der Hand nimmt um über Abgründe zu führen, und seltsam anziehend finstere Szenarien entwirft, während Topley-Bird den Refrain mit sphärischer Unwirklichkeit in Sicherheit wiegt, mit einer andersweltartigen Schönheit bezaubert und die Gehörgänge zart umschmeichelt… bis das elegische When We Die unmittelbar vorbei ist und der Cut so unfassbar abrupt auch gleich vollends aus Ununiform katapultiert.
Wo da zwangsläufig Fragen offen bleiben (wie vor allem jene nach dem Sinn der unheimlich unpassenden Platzierung einer für sich selbst ganz wunderbar funktionierenden Einzelnummer im generell absolut schrecklich zusammengestellten Gesamtgefüge), ist diese Entscheidung nur zu symptomatisch für den generellen zerfahrenen Charakter von Ununiform.

Konzipiert in Russland, aufgenommen in Berlin und mitunter betreut von Jay-Z, stilistisch zerrissen zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsperspektiven: Man könnte beinahe attestieren, dass die wenig sesshafte Entstehungsgeschichte von Ununiform sich nun eklatant in den kaum fokussierten 39 Minuten einer Platte ohne sinnvollen Spannungsbogen niederschlage. Sicher ist allerdings, dass das Album seine Bestandteile (hinter der nichtsdestotrotz kohärenten) Atmosphäre im Detail immer wieder geradezu frustrierend verwässert: Ununiform strotzt vor feinen Ideen und beherbergt vielleicht sogar grundsätzlich das Potential, um die beste Tricky-Veröffentlichung seit Blowback stellen hätte zu können. Nur gelingt es Thaws und seiner (irgendwann die Sicht auf das Wesentliche verstellenden) Armada an Gästen selten bis nie, die eingesetzten Elemente hinter dem transportierten Flair auch tatsächlich zu schlüssig zu Ende gedachten Songs zusammenzusetzen.
Ein Same As it Ever Was flimmert beispielsweise zuckend pumpend und seltsam entrückt flimmernd auf der Tanzfläche, bietet sich als Disco für ausgemergelte Konturen an, und zieht damit erst verfänglich in seinen skelettierten Bann. Zumindest so lange, bis man realisieren muss, dass Tricky und Scriptonite den Clubtrack zu keinem Ziel lenken, am Ende alles nur eine stimmungsvoll ausstaffierte Skizze bleibt, während die Protagonisten sich in einer fragmentarischen Sample-Ausstrahlung bereits am nächsten Potpouri-Part versuchen.
Nach diesem Muster funktioniert das unfertig wirkende Ideen-Sammelsurium Ununiform leider viel zu oft, erhebt seine Sprunghaftigkeit aber weniger zum Stilmittel als zum reinen Makel, und entwickelt sich hinter seinem provokant willkürlich anmutenden Songfluss so zu einem abwechslungsreichen Stückwerk aus enervierend viel Leerlauf und einigen wenigen großartigen Einzel-Szenen.

Zu den Momenten, die (mal rundum, mal weitestgehend) überzeugen gehören etwa der ätherischen Ambient-Pop mit The Xx-Mitternachtsstimmung des famosen Wait for the Signal (mit Asia Argento!) oder das sogar noch bessere, weil so liebenswert unaufgeregt schwelgende HoleCover Doll, in der Tricky uneigennützig vollends verschwindet, um die akustisch zurückgenommene Nummer ganz der umwerfenden Avalon Lurks zu überlassen.
Armor ist eine nahbare Intimität aus Akustikgitarre und Klavierloop, über das sich elegante Streicher legen: Eine vorsichtige Ballade, die smooth durch die Nacht treibt und klingt, als wäre sie die Titelmelodie zu einem Bond-Teil, der sich als Heartbreak-Autorenkino entpuppt. Großes Kino jedenfalls! Im neonfarben-verunsichernden R&B-Streichler Running Wild darf dagegen einmal mehr Mina Rose glänzen, Blood Of My Blood kann seine immanente Melancholie ähnlich tröstend ausbreitend.
Reduziert und konzentriert auf diese Highlights hätte Ununiform also durchaus genug Songs geliefert, um eine bisweilen herausragende EP zu formen. Stattdessen ignorieren Thaws und seine Gehilfen jedwede nötige Sellektion oder sinnvolle Ordnung, sabotieren damit vorhandenes Leistungsvermögen und servieren eben auch noch lasziv stampfend aufgekochte, kaum inspirierte Verlockungen (New Stole) oder Songbaustellen, die nicht über sinnlose Interludes hinauswachsen (It’s Your Day); Postpunk-Gerippe, die zum zahmen Synthpop ohne Druck mäandern (Dark Days) oder stupide dahinlaufende Beats mit lose darübergelegten Instrumenten (Armor klingt damit wie eine spannendere Solonummer von David Lynch).
Doch selbst wenn Ununiform im  am wenigsten überzeugenden Fall sogar mit altbackenen Ausflügen in russische Rap-Gefilde experimentiert (Bang Boogie erzwingt über unnötige 78 Sekunden ein Feature von Nachbar Smoky Mo), kann selbst der wohl offensichtlichste Fremdkörper in diesem hoffnungslosen Flickwerk das Charisma einer (vielleicht schlicht zu konsequent ihrem Titel folgenden, womöglich aber auch einfach aufgestautes Material ausmistenden) Platte kaum tilgen: Die stärksten Ansätzen hier lassen durchaus optimistisch in die Zukunft blicken. Weswegen die verwunderliche Positionierung von When We Die ja eventuell auch als abschließender Startschuss in die Zeit nach einer produktiven, aber nur bedingt relevanten Phase in der Karriere von Tricky zu verstehen sein darf.

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