Ulver – Flowers of Evil

von am 27. August 2020 in Album

Ulver – Flowers of Evil

Die Singles Russian Doll, Little Boy und Nostalgia haben es bereits angekündigt: Anstelle der erwartbaren Unberechenbarkeit setzen Ulver mit Flowers of Evil auf Konsistenz und eine versierte Vertiefung ihrer 80er-Gelüste.

Gemeinsam mit Michael Rendall von The Orb und Martin „Youth“ Glover auf den Produzentenstühle ist das (mutmaßlich) zwölfte Studioalbum der Norweger tief im Synthwave, der dunkel-romantischen Elektronik und dem Düsterpop irgendwo zwischen Depeche Mode, This Mortal Coil und frühen Talk Talk tauchend, hinter dem brillanten La passion de Jeanne d’Arc-Artwork, eine praktisch nahtlose Fortsetzung des Vorgängers The Assassination of Julius Caesar geworden. Ein apokalyptisches Konzeptalbum für einsame Goth-Clubs, das seinen Trost mittels so bildgewaltiger, assoziativer und mystisch bleibender Texte darin sucht, dass die Menschheit als solche niemals Erlösung finden wird.
Allerdings ist das existentialistische Flowers of Evil insofern keine typische Nachfolger-Platte, indem sie weder ein Interesse daran hat höher, weiter oder größer zu sein, als The Assassination of Julius Caesar und sein Appendix Sic Transit Gloria Mundi es bereits waren, noch will sie die bequeme Komfortzonen-Verwaltung – im Gegenteil.

Ulver haben die installierten Tugenden genommen und trotz einer noch einmal gewachsenen Basis an der Pop-Subversivität gearbeitet, perfektionieren und reichern zwischen den Zeilen an. Sie bieten auch viel mehr eine von innen heraus erhebende Befriedigung, weniger das euphorische Momentum oder die überwältigende Katharsis. Viele Szenen von Flowers of Evil hätten mit wenig Aufwand in den konventionellen Klimax führen, das Songwriting auch mit Kitsch und Pathos intensiviert können, um damit frontalere Emotionen zu provozieren.
Doch wenn The Assassination of Julius Caesar der an sich bereits formvollendete Kraftakt war, das punchende Ausrufezeichen, ist Flowers of Evil der weiter ausformulierte, streichelnde Klammersatz, das ungezwungene Schaulaufen, oder eher das Flanieren, das in der die verinnerliche Gangart auch deswegen fesselt, weil es der Band noch leichter von der Hand zu gehen scheint. Geschmeidiger, wohliger und auch weniger konkrete Verbindlichkeiten zeigend meint hier deswegen auch keine Weichgespültheit, keine Ecken- und Kantenlosigkeit, sondern eine noch elegantere Form der Reibungspunkte.

Als Statement in Sachen Understatement kann die Platte vielleicht auch als Reaktion auf vermeintliche Rückschläge wie die wegen mangelnder Ticketverkäufe abgesagte US-Tour im vergangenen Jahr interpretiert werden – letztendlich ist dies aber nicht maßgeblich. Fakt ist viel mehr, dass die (selbst)referentielle Chronisten in ihrer anmutigen Unaufdringlichkeit Hits wie das unkaputtbare Russian Doll ähnlich nebensächlich auffahren, wie mit Little Boy– immerhin einen der besten Songs, den Ulver in diesem Anachronismus bisher geschrieben haben, der im Kontext zudem noch gravierender aufgeht – avantgardistisch betören.
Und selbst wenn man angesichts der überragenden Qualität der Vorabnummern auf den Erstkontakt mit Flowers of Evil als Ganzem auch ein bisschen -weniger enttäuscht, als vielmehr mit Genugtuung – unterwältigt sein kann, umschließt der Traum  des Albumflußes in seinem nunmehr einfacher zugänglichen und an sich auch leicht zu erschließenden (aber voller Details bei der Stange haltenden) Wesen nachhaltig. Zumal: Wirklich schwächer als auf seinen drei Herolden wird die Platte eigentlich kaum.

One Last Dance nimmt sich lange Zeit, tanzt durch brennende Kirchen, doch der Rhythmus der Nummer bleibt bedächtig, melancholisch, läuft beinahe elegisch dahin. Ulver und Christian Fennesz sind mitten drinnen im Geschehen, aber lauern noch abwartend. Machine Guns and Peacock Feathers rückt trotz an sich knackig riffelder Gitarre über seine Beats und funkelnden analogen Keyboards noch näher zu französischen Retrofuturisten, zu Carpenter Brut, Perturbator, Hotline Miami oder Moroder, behält sich hinter seiner Miami Vice-Optik aber eine samterne, verführerisch-weiche Bekömmlichkeit, die über popkulturelle Reminiszenzen hinweg cheesy (wirken müssende, aber authentisch funktionierende) Backingvocals findet, die auch Gun Ship gefallen werden. Die hier praktizierte nonchalante Selbstverständlichkeiten in der Eingängigkeit wäre auf The Assassination of Julius Caesar noch nicht möglich gewesen, auch wenn schon das grandiose 2017er-Album weniger der radikale stilistische Paradigmenwechsel war, zu dem er gerne gemacht wurde, als vielmehr ein Plateau einer schlüssigen Entwicklung.

Gleichzeitig hätten Ulver Machine Guns and Peacock Feathers durch eine plakativere Elaboration die Daumenschrauben der Kommerzialität als leichtes andrehen können – womöglich ist Flowers of Evil unter seiner Fassade und der extrem kurzweilig verfliegenden Spielzeit von 38 Minuten also paradoxerweise eben auch in dieser Hinsicht stets eine gewisse Verweigerungshaltung. Denn Hour of the Wolf inszeniert seinen Minimalismus und die Dramatik beispielsweise ebenso mit stiller Hand, meditativ. Wie in Trance schwebt die Band, lässt die Gitarren hinten raus pathetisch hallen, holt sie aber nie in den plakativen Vordergrund, auch die Streicher begleiten verdammt subtil. Wo eine frontale Halbballade protzen könnte, ist die potentielle Hymne ein weiteres Mal exemplarisch somnambul, niemals gänzlich in Griffweite kommend. In Apocalypse 1993 bekommen sakrale Texturen einen lockeren Groove unterfüttert, der hinten raus den progressiven Twist in den Ambient andeutet, aber dann doch lieber für Little Boy Platz macht und das smoothe Nostalgia trumpft mit souligen Sängerinnen und beinahe funky Licks in der balsamiertes Disco auf, man wartet beinahe auf den Bombast und ein generisches Saxofon-Solo. Doch auch wenn dies eben weder eine bombastisch angelegte Killers-Platte noch ein Kayo Dot-Experiment der Vergangenheit darstellt, dräut plötzlich dennoch die reizvolle Frage im weit offenen Raum, wie diese Platte mit stärker akzentuierten Kontrasten, Over-the Top-Momenten oder einer Franck Hueso-Produktion geklungen hätte.
Antworten darauf kann es keine geben, auch weil das Songwriting und die Atmosphäre niemals im Dienste der reinen Ästhetik aufgelöst werden. A Thousand Cuts beginnt deswegen vielleicht kurz als Piano-Wehmut, die dann auf elektronischen Schwaden in den Äther schwebt, doch als Erinnerung bleibt vor allem die nebulöse Melodielinie, die mit sehnsüchtigem Sinnieren unterstreicht, dass Ulver auch hier keine klare Erlösung mehr anbieten, das gehört zum Konzept. Doch steter Tropfen höhlt den Stein.

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1 Trackback

  • Hurts - Faith - HeavyPop.at - […] Dass nicht viel davon (nicht einmal mittelfristig) im gefällig recycelten Melodiereigen hängen bleibt, nahezu jeder Song seine bestenfalls einehmende…

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