BIG|BRAVE – OST

BIG|BRAVE treten nach Nature Morte (2023) und ihrem vorläufigen Meisterstück A Chaos of Flowers (2024) einen Schritt zur Seite und basteln den OST zu einem (erst imaginären, später aber durch director/visual artist Stacy Lee erschlossenen) Film.
Um sich ganz auf diese ganzheitliche avantgardistische Klanginstallation als Soundtrack für die Grenzgebiete abseits des typischen BIG|BRAVE-Sounds einlassen zu können, schadet es nicht, ein wenig über die unkonventionellen Hintergründe der 45 Minuten zu erfahren.
„Guitarist Ball created a stringed instrument using piano strings simply called “The Instrument”. This instrument ended up becoming a central figure to the OST’s sound. Guitarist/vocalist Robin Wattie adds: “The strings Mathieu used for his instrument came from a discarded piano thatch that had been laying around in the hallway of my tattoo studio for ages.” The Instrument’s presence is felt throughout the record as a conductive element amplifying the album’s earthly, grounded nature.“ (…)
OST was fully written and recorded in the studio. The band was free to enter the live room and record a take with whatever instrument was at hand. Once they had a good foundation for a song, Ball, Wattie, drummer Tasy Hudson and even engineer/producer Seth Manchester would each build on it, layering takes, from instrumental improvisations to abstract vocals, until they felt it was a completed piece. (…)
Instrumental flourishes made from “The Instrument”, a Wurlitzer, prepared piano, synths and a very limited amount of electric guitar. Additionally, there is a sprinkling of flute by Melissa Guion (MJ Guider).“
OST beobachtet und verbindet experimentelle Drone- und Noise-Fragmente, lässt formoffene Improvisationen abstrakt mäandern und macht sie im stillen, unendlich subtilen Suspense eines niemals greifbaren Horrors kontemplativ und reflektiv zur Projektionsfläche für die Gedankenwelt des Hörers: Bei Alben wie diesem spielt es schließlich und bekanntlich ja auch immer eine Rolle, was nicht nur die Musiker, sondern auch der Konsument für die erschlossene Erfahrung addiert.
Die homogene Reise insofern analytisch betrachten zu wollen, ist wenig zielführend. Doch auch im instinktiv verfolgten Fluss variiert die Band die Facetten, um ständig neue Impulse anzudeuten.
Innominate Nº I beginnt als subkutan wummernde, diskret pulsierende Übung in Sachen Minimalismus und dem Weglassen von Lagen, deren Texturwn mysteriös und sinister fiepend in der Dunkelheit suchen. Innominate Nº II klimpert beklemmend, hart und schwer, derweil es im Hintergrund brutzelt und knistert, derweil das oszillierend schimmernde Innominate Nº III die Rolle eines Interludes erfüllt. In Innominate Nº IV schaben die Saiten, brummen und kratzen, mit einer Stimmung nahe der Endzeit der beiden Amplified Guitar-Werke.
Innominate Nº V ist ein phasenverschoben säuselndes Wehklagen, das die gespenstische Stimme von Wattie als instrumentales Element einführt – wie ein entrückter Schamanismus, der die schemenhafte Artikulation von Lauten nutzt. Innominate Nº VI bündelt diese Elemente im kargen Ambiente als Ruhe vor dem Sturm, damit Innominate Nº VII wie eine perkussive Treibjagt aus der Ferne spartanisch peinigende Schreie als Teufelsaustreibung an der Peripherie zum Höhepunkt und Katharsis der Platte beschwört. Innominate Nº VIII als vage Ahnung einer Industrial-Seance ist danach praktisch der Abspann.
Das tatsächliche Gewicht dieser Übung erschließt sich dabei jedoch wohl nur im Bezug zum Kanon der restlichen Diskografie der Kanadier. OST dient in erster Linie BIG|BRAVE selbst, um sich und ihrem Trademark-Sound Luft zu verschaffen. Und alleine für den Willen der Band, sich abseits der etablierten Formel bewegen zu wollen und die Dinge interessant zu halten, springt letztendlich ein Aufrunden der Bewertung heraus – das Werk losgelöst des eigenen Fantums zu betrachten ist praktisch ohnedies nicht möglich.
Im Umkehrschluss hat das (nach der jüngsten Tour besetzungstechnisch nominell wieder zum Trio geschrumpfte) Kollektiv dadurch jedoch auch mit einer nicht erfüllten Erwartungshaltung zu ringen, die nüchtern betrachtet wenig begeistert: OST ist an Genre-Maßstäben gerechnet weder so individuell noch unkonventionell ausgefallen wie man es alleine schon angesichts eines selbst gebauten Instruments als Aufhänger erwarten könnte.
Allerdings erzeugen BIG|BRAVE in dieser unspektakulären Solidität nichtsdestotrotz auch so immer noch eine imaginativ fesselnde Atmosphäre, der man höchstens vorwerfen kann, dass die gleissende, ausgedorrte tonale Landschaft subjektiv mit einem Releasetermin in der kalten Zeit des Jahres besser gezündet hätte als nun im beginnenden Sommer.
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