BIG|BRAVE – A Chaos of Flowers

von am 22. April 2024 in Album, Heavy Rotation

BIG|BRAVE – A Chaos of Flowers

Wie wunderbar die jeweiligen Cover doch die beiden miteinander verbundenen Alben so charaktereigen wie diametral homogen darstellen: A Chaos of Flowers baut beinahe direkt auf den Errungenschaften seines Vorgängers auf, erblüht jedoch geradezu einladend heimelig hinter dem dunklen Horizont von Nature Morte.

Das deklarieren auch die Kanadier BIG|Brave selbst mehr oder minder und fügen über die inhaltliche Ebene ihres siebten Studioalbums hinzu: „Lyrically, the songs explore the most vulnerable of human experiences, how marginalizations manifest internally and externally, the inner struggles of isolation, and co-existence in nature. A Chaos of Flowers draws on catharsis and beauty as well as the quagmire of disorientation and othering. The album is a monument of simultaneous serenity and disquiet, a subtle maelstrom of internal life.
Was die ebenso selbstsichere wie fragile Grandezza der Platte durchaus adäquat einfängt – wo der Rahmen von A Chaos of Flowers dieselbe Prärie als sinnierende Landschaft nutzt wie Nature Morte, die externen Orientierungspunkte [auch ohne das Mitwirken der Gäste Seth Manchester (Synthesizer) , der Gitarristen Tashi Dorji und Marisa Anderson sowie Saxofonist Patrick Shiroishi] aber von Dylan Carlson zu Duke Garwood verschiebt.

I Felt a Funeral erwacht beschwörend verletzlich am Lagerfeuer des Drone, die Gitarre schrammt karg in den porös schimmernden Abendhimmel, asketisch eine geduldige Noise-Zeitlupe skizzierend, bis BIG|BRAVE anmutig, als butterweiche Walze schreiten, die apokalyptisch verbrannte Erde folkloristisch wärmen. Die Kraft der Intimität und die abgekämpfte Majestät erzeugen ein nahbares Gewicht mit mächtigem Volumen, eine behutsame Doom-Variation von House of the Rising Sun schleppt sich stoisch und einladend dahin.
Am anderen Ende schließt die Americana-Abstraktion Moonset den Bogen – auch als Mahnmal all der Tugenden der Platte: Das Schlagzeug agiert zurückhaltender und umsichtiger, das Gitarrenspiel (gerade von Mat Ball) ist schlichtweg brillant nuanciert und facettenreich, soundtechnisch überwältigend, und gemeinsam mit der poetischen Lyrik, der Atmosphäre und Stimmung von A Chaos of Flowers eine neue Nische im Kosmos von BIG|BRAVE erschließend.
Dass sich Moonset hinten raus noch einmal aufbäumt, aber ohne erschöpfenden Klimax endet, steht dann allerdings auch symptomatisch für das Werk im Ganzen. Denn tatsächlich sind die abrupten Abblendungen einiger Songs das einzige gravierende Manko der bisher besten (weil faszinierendsten und imaginativ am tiefsten nachwirkenden, einen fantastisch kurzweiligen Fluss erzeugenden) BIG|BRAVE-Platte (die dann durch ein Aubleiben der einen oder anderen unerwarteten, genialen Wendung innerhalb der einzelnen Kompositionen Luft nach oben lässt).

Was in einer derart konstanten Diskografie für sich spricht, aber auch der fein ausgewogenen Dynamik und Balance von A Chaos of Flowers Blumen streut. Zumal, selbst wenn der Blick vom beeindruckenden Gesamtwerk selektiv auf die einzelnen Mosaiksteine gelegt wird, sich bestechende Szenen offenbaren.
Die stoisch Repetition des scharfkantig in einem kontrollierten Sturm stehenden Monolithen Not Speaking of the Ways als charismatische Urgewalt etwa, oder wenn Chanson Pour Mon Ombre als konturloses Klampfen im Avantgarde-Äther driftet, um am Abgrund einer freejazzige Kakophonie in bittersüßer Romantik betörend zu taumeln. Canon : In Canon ist die wundervoll aufgeriebene Schönheit eines sanft mutierenden, auf rostigen Samtpfoten schleichenden Organismus und A Song for Marie Part III das ambiente Durchatmen eines elegischen Zwischenspiels, bevor Theft vage eine niemals ganz greifbar werdende, unendlich elegante Melodie wie ein halluzinogener Ohrwurm umschwärmt, und das abrassive Drone-Gedicht Quotidian : Solemnity tatsächlich so etwas wie Erlösung für die sich einst in sysyphuscher Monotonie selbst kasteiende Band bedeutet: „Elysian Field, dead in deep/ Oh to be, oh to be“.


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