Morrissey [05.07.2025: Gasometer, Wien]

von am 6. Juli 2025 in Featured, Reviews

Morrissey [05.07.2025: Gasometer, Wien]

We are here. But are we here? Yes, we are here!“ philosophiert der 66 jährige Morrissey über Sein und Nicht-Sein, bringt damit den wichtigsten Umstand des Abends aber auf den Punkt: das Wien-Gastspiels des auch aktuell niemals um überraschende Tour-Absagen verlegen Enfant Terribles findet statt. Und überzeugt rundum.

Der Gasometer kann ein so gottloses Höllenloch sein. Die Luft in der Halle ist bestenfalls schlecht, die Temperatur einfach nur auslaugend. Morrissey erzählt, dass er vergangene Woche in Leipzig aufgetreten sei und es dort ohne Air Condition auf der Bühne gefühlt 100 Grad gehabt habe – es an diesem Abend in Wien aber weitaus schlimmer sei. Niemand solle sich angesichts dieser Umstände also wundern, wenn er am nächsten Morgen tot in seinem Hotelbett gefunden werde.
In diesem geteilten Leid hat der launig grummelnde Mozzer zumindest den Vorteil, dass er den Saal nach Konzertende direkt verlassen kann – während das im eigenen Saft siechende Publikum vor den Ausgängen im Stau steht, weil die hinteren Tore einfach nicht geöffnet werden.

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Das Hineinkommen in die Location geht dafür relativ zügig vonstatten. Zumindest an dem Umstand gemessen, dass man am Eingang so akribisch untersucht wird, als wolle man in einem Hollywood-Film eine Feile in ein Hochsicherheitsgefängnis schmuggeln. Dennoch wird es ein Typ im Sparks-Shirt, der schon in der Schlange vor dem Einlass seinen veritablen Vollsuff nicht vor der Security zu verbergen versucht, und dann während der Show unangenehm auffällt, indem er aufdringlich mit anderen Konzertbesuchern zu kommunizieren versucht und sich genüsslich eine Zigarette ansteckt (wofür er von zwei selbsternannten Ordnungshütern in der Menge gnadenlos verpfiffen wird), es schaffen, sein verdammtes Jausenbrot auf die Bühne zu werfen. Auch angesichts der vorab noch einmal via Mail ausgeschickten expliziten kulinarischen Vorgaben die Show betreffend eine ziemliche Leistung.
Morrissey lässt sich jedenfalls auch davon nicht von seinem Programm abbringen: er ist hier, in Wien, um seine Musik, die „keinen Entertainment-Faktor haben soll“ an seine Gefolgschaft zu bringen. Wenn auch nicht, wie er es erwartet habe, in einem Opernhaus – sondern eben einer Zumutung von einer Ortschaft.

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Noch etwas, das vorab neben der Möglichkeit einer kurzfristigen Absage des Tourstopps beschäftigen konnte, war freilich auch die Frage, wie groß überhaupt das Interesse an Morrisseys erstem Österreich-Gastspiel seit 2014 sein würde: Im vergangenen Jahrzehnt sind die seit jeher zumindest kontroversen Ansichten des Briten ja bekanntermaßen keineswegs moderater geworden.
Nun: Der Gasometer ist nicht ausverkauft, aber beinahe; und die Stimmung von der 20.00 Uhr weg, als der (semigelungene) „Pre-Showstart/ Trailer“-Programmpunkt anstelle eines Support Acts Szenen aus Film und Fernsehen mit Songs von Iggy und den Stooges, den Ramones, Sigue Sigue Sputnik, Dionne Warwick, Stinky Toys oder Mott the Hoople unterlegt, sehr gut.
Dazu hat der in einer grotesk großen Hose und lasziv seinen Körper zur Schau stellenden Hemd auftretende Morrissey keine Berührungsängste, sucht den verbalen Kontakt zum generationsübergreifend anwesenden Publikum, führt launigen Smalltalk – die Balance zwischen angedeutet großem Ego und nahbarer Schrulligkeit wahrend – und am Ende wollen ein paar wenige Enthusiasten wohl am liebsten die Bühne stürmen, um ihr Idol – die popkulturelle Ikone – berühren zu können.
Oder: Auch wenn es in diesem Falle wohl unmöglich ist, die Kunst vom Künstler zu trennen, ist gefühlt doch niemand im Saal hier, um politische oder medizinische Statements serviert zu bekommen.

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Überhaupt kann man dem Gig an sich nichts vorwerfen. Soundtechnisch absolut solide (da hat man im Gasometer schon weitaus schlechteres gehört!) und visuell in einen stimmigen, Morrissey-typischen Rahmen gebettet, wirft sich der ehemalige The Smiths-Frontmann (dessen Lieblingsfeind Johnny Marr sich übrigens auch noch für dieses Jahr in der Bundeshauptstadt angekündigt hat) gekonnt in Pose und liefert mit süffisanter Nonchalance und sitzender Stimme hinter dem auf dieser Tour erstmals ausgepackten Opener We Hate It When Our Friends Become Successful eine sehr okaye Setlist entlang der üblichen Standards, Evergreens und Hits – mittendrinnen den einsamen, zumindest solide Bonfire of Teenagers-Track Sure Enough, the Telephone Rings.

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I Wish You Lonely verstärkt ebenso wie I Will See You in Far-Off Places die massiv wummernden Bass-Grundierung im wuchtigen Sound, The Loop akzentuiert den Rockabilly-Faktor. Bei Jack the Ripper wird die Bühne von Nebel und rotem Licht verschluckt. Das einsame All the Lazy Dykes bestätigt, dass You Are The Quarry die beste Post-Smiths-Platte von Morrissey ist. Und vom Prä-Solo-Material gerät trotz superber Versionen von Shoplifters of the World Unite und How Soon is Now? vor allem das überragende I Know it‘s Over unendlich schön, berührend und auch überraschend kraftvoll.
Am besten ist womöglich trotzdem das Doppel aus dem (nicht nur im vergleich zu den restlichen, kompakt gehaltenen Nummern) einen beseelten Auslauf wählenden Life is a Pigsty und dem ein lange auf der Klaviatur schwelgendes Intro bekommendes Everyday Is Like Sunday – während der ineinander übergehenden Soli schnauft Morrissey hinter der Bühne durch.

Morrisseys optisch irgendwo zwischen Grease, Godfather und der Matrix gekleidete Band – Matt Walker an den Drums, Keyboarderin Camila Grey, Bassist Juan Galeano Toro, und an den Gitarren Carmen Vandenberg sowie (dem so unendlich viele Ausdrücke auf seinem Mienenspiel darbietende, Welten von Mother Tongue entfernte) Jesse Tobias – bietet dafür die nötige Grundlage, ist ebenso spitze eingespielt wie zweckdienlich agierend: ideale Dienstleister.
Dass sie auf absehbare Zeit einen Job haben werden, garantiert Morrissey indirekt: „I have no intension to die…unless you kill me“ verspricht er allen Anwesenden (und spielt danach trotz der Steilvorlage Rebels Without Applause) – was noch mehr Jubel erntet, als jene Szene, in der er die Bühne nach der (die Irish Blood, English Heart zugunsten von Suedehead leider aussparenden) Zugabe mit nacktem Oberkörper relativ unvermittelt verlässt. Vielleicht kann man sich nach extrem kurzweiligen, tollen und absolut zufriedenstellenden 90 Minuten Konzert da ja zwischen Heldenverehrung und Persona non grata auch ohne Hamlet-Zitat-Anspielung insofern zumindest auf einen puren Morrissey-ismus einigen: „You don’t like me, but you love me/ Either way you’re wrong/ You’re gonna miss me when I’m gone

Setlist:
We Hate It When Our Friends Become Successful
Shoplifters of the World Unite
All You Need Is Me
One Day Goodbye Will Be Farewell
How Soon Is Now?
Rebels Without Applause
Sure Enough, the Telephone Rings
I Wish You Lonely
Istanbul
All the Lazy Dykes
I Know It’s Over
Life Is a Pigsty
Everyday Is Like Sunday
The Loop
Jack the Ripper
I Will See You in Far-Off Places

Encore:
Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me
Suedehead

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