Nine Inch Nails, Boys Noize [27.06.2025: Stadthalle, Wien]
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Die Peel it Back-Tour ist eine pure Frischzellenkur und nicht die befürchtete Abschiedsrunde für Trent Reznor: Nine Inch Nails bleiben eine zeitlose Bank, daran kann auch die Wiener Stadthalle nichts ändern.
Rund 46 verschiedene Songs standen bis zum 27. Juni (respektive dem ersten Gastspiel der Band seit elf Jahren in Österreich) für Reznor, Atticus Ross, Robin Finck, Alessandro Cortini und Ilan Rubin bereits auf dem Programm der laufenden Tour – inklusive unerwarteter Ausbrüche wie A Minute to Breathe und Deep Cuts a la That’s What I Get in Manchester, ein notgedrungen von Finck übernommenes Reptile in London, oder ein nicht nur hinsichtlich der reduzierten Inszenierung, sondern auch in Betracht der Song-Auswahl gefühlt zur Trilogy Tour zurück aus dem restlichen Rahmen fallender Aufenthalt in Zürich.
Vor diesem Hintergrund könnte man vom Österreich-Stopp der Amerikaner zwar minimal enttäuscht sein – sofern man in Sachen der bisher so unberechenbaren Songauswahl von Reznor gerne von einem unerwarteten, womöglich Wien-exklusiven Ausfallschritt aus dem zuvor angefüllten Setlist-Kanon überrascht worden wäre; oder man grundsätzlich noch nicht seinen Frieden damit geschlossen hat, dass der Sound der brütend heißen Location je nach Standort in der an diesem Abend nicht ganz ausverkauften (ja zusätzlich auch mit dem Lido–Start konkurrierend müssenden) Stadthalle einem nur selten in vollem Ausmaß zufriedenstellenden Roulette gleichkommt.
Tatsächlich aber überzeugt der Abend gerade auch durch den Umkehrschluss dieser Punkte und lässt kurz vor 22.45 Uhr gefühlt ausnahmslos begeisterte Gesichter in die leicht regnerische Nacht.
Perfekt aufeinander eingespielte Nine Inch Nails reihen im leidlich differenzierten, aber enorm druckvollen, vor allem in Less Than Bass und Schlagzeug kräftig die Feinheiten bügeln lassenden Sound nämlich herrlich brachiale Brecher (Wish, March of the Pigs, ein durch die Backing Vocals zusätzlich an Brachialität gewinnendes Gave Up oder das grandios stampfende 1,000,000) an zahlreiche Hits und Lieblingssongs (Copy of A tanzt pumpend zu Myriaden von Schatten, Heresy wird gefühlt von jeder Kehle im Raum mitgefeiert), haben merklich Bock (wenn auch leider nicht auf The Fragile-Songs), nuancieren die hochenergetische Performance an den richtigen Stellen konterkarierend nach Innen gehend und lassen so praktisch ein eineinhalbsgündiges Fanpleaser-Endorphin von der Leine. So wenig nach Pflichtprogramm muß Routine erst einmal klingen können!
Und wenn man persönlich anstelle relativer Nummer-Sicher-Standars wie Closer insgeheim auf subjektive Favoriten a la Head Down, (das zum Lynch-Abschiedsjahr passende) She‘s Gone oder sogar (You Made it Feel Like) Home gehofft hatte, ist das also ein ganz subjektives Problem – befeuert durch den Umstand, dass Reznor und Co. auch die dreifache Länge der rund 110 Konzert-Minuten spielen hätten könnten, und immer noch so viele Diskografie-Highlights vermissen lassen würden.
Der einzig wirkliche Schönheitsfehler des Abends wird das grotesk teure Merch-Angebot in mitunter schleißiger Qualität bleiben, bei dem Shirts satte €55 kosten und Hoodies erst ab einem dreistelligen Betrag zu haben sind. Dass die wirklich grandiose visuelle Show, die anstelle von LED-Bildschirmen trotz freimütigem Nebel-Einsatz alle Möglichkeiten aus den High End-Beamern schöpft, und sich über insgesamt drei Bühnen im Saal erstreckt, ja auch bezahlt werden muss, ist da nur ein schwacher Trost.
Dafür, dass der Titel der Tour grundlegend auf eine archaische Wurzelbesinnung schließen lassen soll, indem es den Fokus der Oscar-gewinnenden Duos Reznor & Ross mit der March of the Pigs-Referenz zurück auf Nine Inch Nails legt, umfasst die Band konzeptuell viel eher in eine (beinahe) die gesamte Karriere abdeckende Spannweite und setzen diesen anachronistischen Futurismus mit einem fast jugendlichen Hunger um.
Sinnbildlich dafür ist einerseits die zu Challengers zielende Eröffnung von Alexander Ridha alias Boys Noize, der auf einem kleinen Podest am hinteren Ende der in rotes, technoides Licht getauchte Halle mit einem einstündigen (für sich genommen zu lange dauernden, dafür aber jedwede Umbauphase zwischen den Acts schluckendem) DJ-Set bespielt, das eigene Tracks wie Greenpoint stimmungsvoll zu fremden Tracks wie Paul ist Tot von den Fehlfarben führt, und anderseits für seine Rückkehr im dritten Segment der in vierteiligen Show, in dem er mit den beiden Main-Bandköpfen auf einem mittig in Raum positionierten Kubus Techno-Remixe aus Vessels, The Warning und Came Back Haunted anfertigt: treibend und clubtauglich, eine neue Perspektive auf die Songs bietend – und die Tour auch von bisherigen Nine Inch Nails-Erlebnissen differenzierend.
An selber Stelle beginnt Peel it Back kurz nach 21 Uhr auch – allerdings mit Reznor alleine, am Piano sitzend und eine Still‘eske, überwältigend schöne Version von Right Where It Belongs (mit Zero-Sum–
Beim als Acoustic-Version beginnenden Ruiner kommt die Band samt Kameramann auf die B-Bühne und die Sache endet in der Kakophonie, aus der das erst schleichende Piggy (Nothing Can Stop Me Now) mit dissonant fräsender Gitarre bollern wird, um im Drum-Solo den Stage-Wechsel abzuwickeln. Ebenso exzessiv bricht das Schlagzeug dann auch im Bowie-Cover I’m Afraid of Americans (das neben Less Than die Rückkehr von Tamburin-Trent markiert) und dem ausgelassenen Lost Highway von The Perfect Drug aus, wild und mitreißend. „Now doesn’t it make you feel better?“ – aber sowas von!
Das monströse Reptile walzt als metallische Monstrosität in extrem eindrucksvoller Härte (und nutzt dennoch einen sonst verschenkten Surround Sound) wie eine Machtdemonstration, The Lovers lehnt sich elektronisch wummernd weiter in die Atmosphäre. Und nachdem Head Like a Hole als generationsübergreifend zündende Ausgelassenheit verausgabt, kehrt ein unkaputtbares Hurt mit unendlich viel authentischem Gefühl zurück in die Intimität. Spätestens bei diesem annähernd dreieinhalb Jahrzehnte zurückreichenden finalen Doppel wird überdeutlich spürbar, dass Trent und Co. zu keinem Zeitpunkt der Show wie ein Legacy Act agieren: jede so kurzweilige Sekunde des Gastspiels ist frisch, kraftvoll und intensiv.
Nachvollziehbar also, wenn manche Nine Inch Nails-Veteranen nach dem Gig von einer wahren Highlight-Show schwärmen. Man kann jedenfalls nur hoffen, diese Band hier nicht zum letzten Mal live erlebt haben zu dürfen – mag man gach auch bis 2036 zum nächsten Österreich-Besuch warten müßen.
Right Where It Belongs
Ruiner
Piggy (Nothing Can Stop Me Now)
Wish
March of the Pigs
Reptile
The Lovers
Copy of A
Gave Up
Vessel
The Warning
Came Back Haunted
1,000,000
Heresy
Less Than
Closer
I’m Afraid of Americans
The Perfect Drug
Head Like a Hole
Hurt
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