Radiohead – Hail to the Thief (Live Recordings 2003-2009)

Das Gerücht einer unmittelbar bevorstehenden Tour scheint sich vier Monate vor Jahresende nicht mehr zu bewahrheiten. Stattdessen blicken Radiohead mit der Zusammenstellung Hail to the Thief (Live Recordings 2003-2009) auf ihre wohl letzte wirklich rockige Phase zurück.
Ausgegraben wurden die in London, Amsterdam, Buenos Aires und Dublin aufgezeichneten Aufnahmen im Zuge zur Shakespeare-Adaptation Hamlet Hail to the Thief, wie Thom Yorke erzählt: „In the process of thinking of how to build arrangements for the Shakespeare Hamlet/Hail To The Thief theatre production, I asked to hear some archive live recordings of the songs. I was shocked by the kind of energy behind the way we played. I barely recognised us, and it helped me find a way forward. We decided to get these live recordings mixed and released (it would have been insane to keep them for ourselves). It has all been a very cathartic process. We very much hope you enjoy them.”
Hail to the Thief ist, umkehrt proportional zu The King of Limbs, ein schwieriges Album. Wo theoretisch durchaus genug gutes Material für ein Doppelalbum vorhanden gewesen wäre, ist der sechste Langsspieler praktisch eine unausgegorene, unvorteilhaft sequenzierte Songsammlung geworden (die auch Yorke selbst so heute nicht mehr veröffentlichen würde).
An diesem Umstand nehmen Radiohead hiermit rein formal betrachtet keine Korrekturen vor: Hail to the Thief (Live Recordings 2003-2009) rekonstruiert in nüchterner Sachlichkeit den EMI-Abschied in chronologischer Abfolge beinahe vollständig – ausgerechnet Backdrifts und A Punch Up at a Wedding fehlen unerklärlicher-/schmerzlicherweise leider – und lassen tolle Nebenschauplätze wie Gagging Order, I am a Wicked Child oder I Want None Of This zudem ebenso aus.
Es geht hier aber eben nicht darum, die eigene Geschichte durch den Blickwinkel des zweiten Livealbums der Bandgeschichte geradezurücken oder darüber zu fantasieren, was mit einer anderen Selektion möglich gewesen wäre – sondern darum, zu zeigen, was tatsächlich war und wie die Band mit den Songs auf der Bühne umgegangen ist.
Weitestgehend dicht an den Originalen bleiben funktioniert das Material hier nun als Ganzes dennoch ein kleines bisschen schlüssiger, als in den Studioversionen – direkter, weil eben von einer Rockband gespielt. Die Interpretationen sind organischer und runder, auch kraftvoller und spielwitziger, im gediegenen Rahmen verschwitzter und weniger abgeklärt.
So bietet Hail to the Thief (Live Recordings 2003-2009) zwar keine wirklich neuen, revolutionären Perspektiven, aber einen frischen, revitalisierenden Zugang. Go to Sleep deutet den legerer solierenden Space-Jam hinten raus zumindest an, die Synthese The Gloaming bekommt wie auch das spannender an den Gitarren verzahnte A Wolf at the Door einen jazzigen Drive. Und There, There wird gefeiert, als wäre es ein Stadion-Gröhler.
Die Setlist-Bank Myxomatosis schimmert mit Keyboard-Schleier und hallenden Vocals, We Suck Young Blood verstärkt durch das Klatschen des Publikums die träge Motorik seinen Zeitlupen-Wellengangs. Der Jubel der Fans ist übrigens sonst beinahe ausschlugen nur an den Abgängen der Nummern zu hören – er dient primär dazu, die Bruchstellen zwischen den Stücken ganzheitlich (und sehr stimmig gemischt) zu verschweißen. Dass sich das Live-Feeling auch deswegen dennoch in Grenzen hält, ist gar nicht so schlimm: Ohne an I Might Be Wrong oder die überragenden Basement Sessions heranzureichen schaffen es Radiohead mit diesem Überraschungs-Release zwar auch, die polarisierende Diskussion über sich selbst als politische Band anzuheizen, vor allem aber, die Liebe für Hail to the Thief neu zu entfachen.
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