Retox – YPLL

von am 2. Juli 2013 in Album

Retox – YPLL

Retox klingen natürlich immer noch unverkennbar nach ihrem Frontmann Justin Pearson. Das Quartett aus San Diego emanzipiert sich auf ‚YPLL‚ allerdings gleichzeitig von dessen prägnantem Patent-Grindcore. Mehr noch: Pearsons neue Hauptbeschäftigung kann guten Gewissens als die zugängliche wenig verstörende Rock’n’Roll-Spielwiese des 37 jährigen durchgehen.

Das hat die arrivierte Szene-Supergroup (Neo-Drummer Brian Evans, Thor Dickey, Michael Crain und eben Pearson) bereits auf der souveränen Vorgängerplatte ‚Ugly Animals‚ anklingen lassen, indem die Grindwurzeln über den Punk und Hardcore hinaus geschlagen wurden. ‚YPLL‚ (aka Years of Potential Life Lost) formuliert diese Ansätze aber noch weiter aus. Das beginnt bei der Spielzeit: 23 Minuten machen ‚YPLL‚ glatte 10 Minuten länger als seinen Vorgänger, zweimal überspringen Retox gar sensationell die 3 Minuten Marke – das hat Seltenheitswert im Pearson-Kosmos. Dazu kommt sich die Produktion: etwas weniger roh, etwas weniger schneidend, etwas satter als jene von ‚Ugly Animals‚; was dem schweißtreibenden Rock-Faktor der Songs zusätzlich entgegen kommt. Denn Retox haben ihren Sound zudem weiter aufgeräumt.

Modern Balls‚ begrüßt zwar trotzdem mit der Andeutung eines klassischem The Locust-Chaos-Sturms, findet dann aber doch lieber einen rockigen Zugang zum schaffen des Quartetts. Auch das getriebene ‚Mature Science‚ lebt von einem stringenten Rabauken-Groove und gönnt sich gar einen Schlußpart, der in diesem Kontext als jamlastiger Solo-Nährboden durchgehen darf. Was Retox mittlerweile klar von all den unzähligen weiteren Pearson-Inkarnationen abtrennt: Rhythmen müssen sich nicht mehr selbst alle paar Sekunden attackieren und sich überwerfen, Ideen dürfen auch einmal breitbeinig zelebriert werden, anstatt sie genüsslich gegen die nächste Wand gefahren werden.

Die  Riffs sind klar als solche erkennbar, alles ist griffiger, melodiöser. Überhaupt ist Gitarrist Crain der heimliche Held von ‚YPLL‚, vor allem in Sachen Expansionspolitik: ob er im nervös kreisenden Hummelflug ‚Soviet Reunion‚ nach noisigem Beginn für hartnäckige Hitqualitäten sorgt, sein Instrument in ‚Greasy Palms‚ beinahe flächig texturiert in die Breite gehen lässt, ‚Consider The Scab Already Picked‚ mathematisch stampfen schickt oder mit den Effekten in ‚I’ve Had It Up To Here I’m Going To Prison‚ für überraschende Akzente sorgt.
Wenn in ‚Don’t Fall In Love With Yourself‚ das Gaspdal zudem im Gehege von The Bronx auf unter 2 Minuten komprimiert durchgedrückt wird, lässt das räudige Treiben gleich noch eine Spur schweißtreibender und unterhaltsamer werden. Das Gastspiel von Pearsons altem Head Wound City Kumpanen Nick Zinner in ‚Congratulations, You Are Good Enough‚ verkommt da beinahe zu Nebensache – weil der hauptberufliche Yeah Yeah Yeahs-Gitarrist eher zweckdienlich als maßgeblich agiert.

Wenn Pearson seine vielleicht gar nicht so dystopischen Texte gnadenlos mit Augenzwinkern auskotzt und seine Band etwa über ‚Nose to Tail‚ in alle Richtungen gleichzeitig Prügel austeilt, dann fügt sich Retox natürlich immer noch nahtlos in den Kanon all seiner weiteren Baustellen ein. Viel mehr als einen reinen The Locust-Ersatz nimmt man Retox dank ‚YPLL‚ aber als potentielle Nachfolger der großartigen Das Oath wahr und tatsächlich: der zusätzliche Gehalt an Rock steht Retox grandios. 20 Jahre nach den Swing Kids hat Pearson jedenfalls nichts von seinem Feuer verloren. Weswegen auch die Vermutung nahe liegt: vielleicht schürt er hier sogar die Flamme einer weiteren Referenzband in seinem ohnedies längstens beachtlichen Schaffen.

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