Silvana Estrada – Vendrán Suaves Lluvias
Silvana Estrada löst sich auf Vendrán Suaves Lluvias entspannt und unaufgeregt von der existentialistischen Melancholie und Schwere ihres Debütalbums Marchita. Aber auch von dessen Magie.
Wie essentiell Gustavo Guerrero und dessen Gespür für Balance, Akzente und Sound für die überwältigende Wirkung des 2022er-Meisterwerks der Mexikanerin offensichtlich war, lässt sich anhand des (unter Mithilfe von Daniel Bitrán, Edwin Erazo und Leonel Carmona) von Estrada selbst produzierten Nachfolgers wohl gut einschätzen: Trotz rundum toller Songs gelingt es der 28 jährigen nicht, jenes gewisse besondere Etwas einzufangen, das das pointierter zaubernde Marchita zu einem veritablen kleine Instant-Klassiker avancieren ließ.
Stattdessen setzt Estrada nach dem den Faden noch zurückgezogen aufnehmenden Epilog Cada día te extraño menos – zwei Gitarren/Cuatros sowie diese wunderbare Stimme (zwischen alter Seele und juveniler Zärtlichkeit voll kraftvoll-behutsamer Eleganz) genügen in latenter Aufbruchstimmung, um in ihren Bann zu ziehen – auf den flächendeckenderen, tragenderen und konventionelleren Einsatz von Arrangements.
Was so vor allem im bildhübschen Dime mit seinen eleganten Bläsern und Streichern zur Geltung kommt, die so verspielt und ohne opulenten Hang zum Überschwänglichen einen bunten Optimismus im Cinemascope mit Singslong-Lieebenswürdigkeit erschaffen. Entlang dieser Ausrichtung wirkt das selektiv stärker als im Gefüge strahlende Vendrán Suaves Lluvias gerade in Summe jedoch weniger einprägsam und prägnant in eine Art angenehm zu konsumierenden Komfortbereich geschoben, die in Sachen Inszenierung wenig Überraschungen zu- und hier und da den Biss für den finalen Meter vermissen lässt.
Dem ist grundlegend so. Das (um für einen noch runderen Fluss in der Tracklist sorgen könnend) einen Platz zu spät kommende Lila Alelí braucht ein wenig, um in den jazzigen Keller mit verhuschtem Klavier zu finden, tanzt dann aber wieder mit Lalalaleichtigkeit, warm und weich. Flores lässt sich entlang seiner erhabenen Arrangements verträumt treiben, rundum toll, mag auch der Blick für das zwingende Momentum fehlen, bis Estrada der Nummer ein glamourös unter dem Nachthimmel erblühendes Finale schenkt.
Good Luck, Good Night schleicht heimlich, elegant und verführerisch, wie ein vergessener alter Hollywood-Klassiker, und wandelt sogar ganz kurz am dystopischen Abgrund. Doch statt in die Drone-Finsternis zu blicken, torkelt die Nummer lieber (besoffen von der eigenen majestätischen Gravitation) in die relative Glückseligkeit. Obwohl die Mexikanerin hier (im Speziellen wie sonst auch im Allgemeinen) wieder gebrochene Herzen und Abschiede untersucht, sind Farbspiel, Setting und Stimmung in einer anderen Welt als noch bei Marchita spielend. Estrada hat ihrem kammermusikalischen Singer-Songwriter-Folk eine hellere Zuversicht beigebracht, sucht in 40 genormten Minuten die Wohlfühlzone – und drückt dies auch in den Unterschieden der beiden Cover-Artworks aus.
Nach diesem elaborierten Herzstück der Platte fungiert Tregua betont ruhig und sparsam in sich gehend als Durchatmen, woran Como un pájaro als betörendes Kleinod anschließt, dessen Melodieführung auch Ichiko Aoba gefallen dürfte, Estrada jedoch melancholisch zu orchestralen, konventionelleren Panorama pfeifen lässt. Un rayo de luz nutzt diese Intimität mit märchenhafter Eleganz, voller Gefühl, im Kontext aber eben auch etwas beliebiger auftretend. Auch das behutsam getupfte, charismatische No te vayas sin saber geht vorhersehbar auf, bevor der Epilog El alma mía im Duett mit El David Aguilar den Rahmen schließt, exemplarisch allerdings auch plätschert, ohne emotional in direkter Konsequenz zu packen. Die Seele bekommt ihren Balsam, doch das Herz geht nicht überwältigt auf.
Zwar mag all das Jammern auf extrem hohem Niveau sein, ändert aber nichts daran, dass das sehr gute (mit Fanbrille gar immer noch exzellente) Vendrán Suaves Lluvias – zugegeben auch gemessen an subjektiven Erwartungshaltungen – eine kleine Enttäuschung darstellt.


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