Silvana Estrada – Marchita
Die 25 jährige Mexikanerin Silvana Estrada Beverido alias Silvana Estrada kredenzt mit ihrem offiziellen Debütalbum Marchita eine eklektische kammermusikalische Indie Folk-Perle sondergleichen.
Gefühlt verabschiedet sich Estrada bereits 161 Sekunden, bevor ihr – eingeweihte Kreise lange auf sich warten haben lassender und für ein weitaus größeres Publikum wohl aus dem Nichts kommender – erster (als solcher deklarierter) Solo-Langspieler tatsächlich zu Ende geht: Der rein instrumentale Closer La Enfermedad Del Siglo ist ein Trompeten-Epilog über einer vagen Halluzination, die so grundlegend wohl auch Bohren gefallen dürfte, mehr noch aber ein symptomatisch Anachronismus, der schon auch mit Wehmut vor dem inneren Augen Revue passieren lässt, was da in den 37 Minuten von Marchita nicht alles an an betörender Schönheit passiert ist.
Was diese Stimme kann, hat Estrade in der unaufdringlichen Selbstverständlichkeit ihres Organs inmitten des eigentlich gar nicht reduzierten, aber so sparsam und nuanciert eingesetzten Klanggewands bis zu La Enfermedad Del Siglo ja immer wieder demonstriert.
In Mas O Menos Antes eröffnet etwa nur der wundervolle, elegante, reine Gesang sowie eine dienlich gezupfte Akustik-Gitarre, die den sanften Nährboden für die immer sehnsüchtigere Melodie wird, den absolut naturalistischen Sound einen organischen Rahmen bietend – und damit eigentlich auch schon auf die ersten Meter klarmacht, dass die Produktion der Platte (die im Opener noch primär durch seine Fähigkeit aufzeigt, im richtigen Ausmaß zurückzutreten und die Stille neben der Präsenz von Estrade Gewicht zu verleihen) das zweite Glanzstück von Marchita neben seiner Hauptdarstellerin bietet.
Ein Umstand, der gerade durch die von Primeras Canciones wiederverwendeten Nummern nachvollziehbar wird. Te Guardo war bisher ein mit kontemporären Beat arbeitender Schlafwandler, lässt sich nun aber balladesk in einen langsam schwofenden Rhythmus gleiten, dessen orchestrales Gewand die subversive Dramatik der heimlich flehenden Nummer sentimental, aber ohne Kitsch unterstreicht.
Und Sabré Olvidar entfernt sich von seiner bisher fast effekthaschend in den Club tendierenden Form, derweil der Kontrabass mittlerweile zu einem heißblütig bittersüßen Flamenco in leidenschaftlicher Unschuld verführt, die großen Maxime der Platte auf ein Podest hebt: Subtilität, Understatement und Tiefenwirkung.
La Corriente agiert beschwingter, ein paar verträumte Klaviertupfer begleiten die eilige Nostalgie von einem nonchalant schlendernden Ohrwurm. Das Songwriting flirtet mit tiefen Bläsern in dem Arrangements, bis plötzlich ein Chor behutsam unter die Arme greift, ohne auch nur eine Sekunde überladen zu sein: die Inszenierung der Platte ist praktisch perfekt ausbalanciert, der Hintergrund setzt Akzente in den Nuancen, aber alles bleibt intim und nahbar; es liegt eine Simplizität in dieser wohltemperierten Nebensächlichkeit, die wie Balsam für die Seele ist. Un Día Cualquiera stampft und schnipst stoisch, erst sehr spät kommt eine Orgel hinzu: Marchita ist sehr vorsichtig im Installieren seiner zusätzlichen instrumentalen Facetten, nutzt diese im Verlauf dann aber immer ausgiebiger.
Nur das erst zurückhaltende Titelstück übertreibt in sinfonischer Hinsicht etwas – primär aber insofern, weil entwicklungstechnisch zu diesem Zeitpunkt längst klar ist, dass Estrada und ihre Saiten die reduzierte Gangart nach der einkehrenden Eröffnung ablegen werden. Zumal dies auch eine Steilvorlage für das einzige subjektiv hängen bleibenden Manko des Albums ist: Die zweite Hälfte kann nicht ganz mit der überragenden ersten mithalten, auch weil das weniger überraschende Momentum manchmal nur angenehm und niedlich ist, emotional nicht mehr mit der eingangs etablierten universellen Emotionalität packt – was vielleicht ein Vorwurf ist, der ohnedies nur aufgrund der Sprachbarrieren greift.
Zumal das Songwriting auch nicht wirklich schwächer wird, der kurzweilige Unterhaltungswert im homogenen Ganzen immer neue Impulse bekommt. Tristeza zappelt etwa verhalten hinter Devendra Banhart hervorkommend mit Wehmut in den Dreampop und findet Carta als jazzige kleine Party, auf der sich erst jeder schüchtern verhält, dann aber in aller Liebenswürdigkeit energischer aufblüht. In Casa stehen Gesang, Gitarre, Ambient und Field Recordings plötzlich im Mittelpunkt einer melodramatischen Schwarz/Weiß-Score-
Und der Reiz, den die jugendliche Zeitkapsel auch danach über ihr Ende hinauswirken lässt, ist schon faszinierend und ja, auch mysteriös-verführerisches. So sehr gar, dass schon die besagten finalen 161 Sekunden beinahe Entzugserscheinungen hervorrufen können.
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