Soulfly – Chama

von am 28. Oktober 2025 in Album

Soulfly – Chama

Die bis heute anhaltende Frischzellenkur, die Totem der zuvor schon längere Zeit siechenden Diskografie von Soulfly verpasst hat, hält weiter an. Mehr noch: Chama bändigt seinen impulsiven Tatendrang höchstens rudimentär.

Das bedeutet, dass man sich mit dem latent verwaschen, phasenweise beinahe morastartigen Sound des dreizehnten Studioalbums der (diesmal durch Sohn/Bruder Igor Cavalera Jr. am Bass sowie Mike Leon an der Gitarre personell vervollständigten) Band von Max Cavalera und seinem schlagzeugspielenden Erstgeborenen Zyon (der neben Rückkehrer Arthur Rizk als Premiere einen Gutteil der Produktion übernommen hat) eventuell erst einmal anfreunden muss – sich in weiterer Konsequenz aber vor allem mit einer elementaren Entscheidung auseinanderzusetzen hat: Wo zieht man die eigene Frontlinie zur Attitüde der 32 bisweilen tollwütig von der Leine gelassenen Minuten hier?

Chama – ein loses Konzeptwerk, das einen Jungen aus den Favelas in die Wildniss begleitet – verzichtet nämlich inhaltlich auf eine klare Linie, will seine Ideen keineswegs rund zu Ende denken oder gar sauber verpacken. Stattdessen kommt die Platte (gemessen am Soulfly-Masstab) einem chaotischen, hyperaktiv eilenden Mahlstrom gleich, dessen Parts sich scheinbar gegenseitig überholen und erschlagen wollen. Vieles scheint in einem wütenden Sperrfeuer zu passieren. Roh, ungeschliffen und archaisch hingerotzt, wo unkontrollierte punktuelle Ausbrüche einen Flächenbrand erzeugen, während die Cavaleras bereits weitergezogen sind und nur nebenher Gedanken an Dinge wie technische Raffinessen oder ein ausgewogenes Pacing zu verschwenden scheinen.

Das ergibt eine Ausrichtung, die man nachvollziehbarerweise unausgegoren und überhastet finden kann.
Weil Songwriting und Sound dabei aber Hand in Hand mit der harschen Konsequenz und tollwütigen Performance gehen, entwickelt sich das Gesamtpaket auch in seiner rasend kompakten Spieldauer vielmehr zu einem Katalysator für das Familienunternehmen. Als überschäumende Momentaufnahme voll Energie und Tatendrang, die Soulfly fast drei Dekaden nach der Bandgründung mit einer das Weiße in den den Augen samt Schaum vorm Mund erzeugenden Vitalität zeigt, provoziert Chama einen polarisierenden Reiz.

Die von Cavalera selbst proklamierte Wurzelbesinnung mit dem selbstbetitelten ersten Studioalbum von 1998 als Orientierungspunkt findet dafür jedoch bestenfalls mit verzerrter Perspektive statt. Doch man versteht schon, was der 56 jährige mit diesen Vorab-Ankündigungen grundlegend meinte. Nach dem stimmungsvollen, rhythmisch-ritualistischer Intro Indigenous Inquisition ist Storm the Gates schließlich ein richtiges Oldschool-Brett, das aggressiv und mit psychotisch-heiserer Wut den Hang zum Nu Metal neu freilegt, woraufhin sich Nails-Derwisch Todd Jones für Endless Resistance mit einem Nomen-est-Omen-Fleischwolf aus Solis, Riffs und einem dystopischen Finale als Abgang in Nihilist revanchiert.
No Pain = No Power skandiert die Gang-Mentalität mit noch mehr Gästen: Ben Cook (No Warning), Gabriel Franco (Unto Others) und Dino Cazares (Fear Factory) gelingt mit fiesem Groove und pathetischer Hymnik im cleanen Alternative-Refrain samt einem Schwenk in die kontemplative Type O-Goth-Trance der Spagat über den Clusterfuck hinaus.

Ghenna wütet wie von der Tarantel gestochen, ballert und bäumt sich auf. Arch Enemy-Gitarrist Michael Amott dreht frei, alles muss Ventil sein – ein komplett abruptes Ende passt in diesem Kontext. Black Hole Scum baut seine Spannungen dennoch bedächtig im Math auf, bleibt bösartig unberechenbar, stoisch, stimuliert auch über seine Tempi die Drohgebärden. Favela / Dystopia ist ein Thrash-Gaspedal mit Touch Guy-Attitüde und Always Was, Always Will Be… braut sich in synthetischer Atmosphäre unheilvoll auf, um im Auge des Sturms wie eine grimmige, bösartige ältere Version der ersten beiden Studio-Alben aufzudrehen. Dennoch konzentriert sich das finale Drittel der Platte erstaunlich ausführlich auf das Ausbreiten der atmosphärischen Komponente von Chama und nutzt den Metal höchstens als Kontrastmittel.
Nach dem obligatorischen Instrumental Soulfly XIII (eine Seance indigener Schamanen-Psychedelik) schiebt der Titelsong sein Riff dennoch präzise wie eine monomental Urgewalt, die die Handbremse ins punkige Momentum löst. Der Sound lässt überall brasilianisches Lokalkolorit aufblitzen, als würde man auf einer Achterbahn auf Speed durch den Dschungel hetzen. Der Epilog davon wäre als melodiös angedeuteten Erlösung dann sogar bestechend schön erhebend, geht aber keine Kompromisse ein, und verpufft flüchtig. Beinahe so, als würden die Cavaleras ihre Collage von einer Platte abfackeln, bevor diese ihr Ziel erreicht hat. Zurück bleibt ein erfrischender Hunger.

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