Ypres – Umwelt

von am 19. April 2018 in EP

Ypres – Umwelt

Das den weitläufigen Post Metal von Isis hin zum atmosphärischen Sludge biegende Amalgam von Ypres funktioniert auf der Bühne besser, als im Studio. Der Single Umwelt haben die Russen deswegen klugerweise eine entsprechende Live-Version ihrer zehnminütigen Standortbestimmung beigepackt.

Die knapp eine Minute längere Bühnenumsetzung von Umwelt wird insofern auf lange Sicht wohl auch die erste Wahl sein, wenn es darum geht, sich im bisher längsten – und besten – Song der Band aus Sankt Petersburg zu verlieren.
Ohne Publikumsgeräusche abgemischt hat das stimmungsvolle Gebilde im Livegewand schlichtweg etwas mehr Raum um zu atmen, seine Dynamiken auszuspielen und mit ambient treibender Geduldigkeit Akzente zu setzen. Die Gitarren dürfen da mit dezent näher am Postrock schimmernder Eleganz arbeiten, das Kräfteverhältnis zwischen den Elementen ist organischer balanciert. Vor allem aber droht der grolwlend brüllende, sparsamer eingesetzte Gesang nicht vom restlichen Sound verschluckt zu werden.
Und ein bisschen liegt es eventuell auch daran, dass das wie bereits bisher bei Ypres an Oceanic/Panopticon angelehnte Flair der Band nicht nur im Schlußpart, sondern generell etwas deutlicher zum Tragen kommt.

Stichwort Isis: Wo Ypres auf Genus Vitiosum und vor allem dem selbstbetitelten Debüt noch ein wenig zu ziellos und unreflektiert in der Ästhetik der großen Vorbilder baden, hat das Songwriting der Band (natürlich auch in der Studioversion – mit Миша dopemachine auf der Gästeliste) in den vergangenen drei Jahren einen merklichen Schritt nach vorne gemacht. Die Ambition von Ypres klingt nun nicht mehr nur nach artig abgeschauter Adaption, denn Umwelt ist merklich reifer und natürlicher gewachsen als die bisherigen Kompositionen der Band. Mäandernde Leerlaufszenen und lose Fäden funktionieren nun als stimmiger Fluss, der keinen Hehl aus seiner Prägung macht: Es steckt schlichtweg mehr Gefühl im Aufbau, man pflegt die Balance überzeugender. Das führt dazu, dass Umwelt trotz seiner weitschweifenden Länge (im Gegensatz zu älteren Nummern der Band in den Studioversionen) mit genug Zug nach vorne auf den Punkt findend.

Dabei nimmt die Band nur langsam an Fahrt auf, die Drums variieren den Schub vom ätherischen Druck zum kurbelnden Zug und wieder retour, während die Gitarren sich über der Rhythmussektion auffächern und auch bis in den schleppenderen Doom walzen: Der Fokus ist schlüssiger eingestellt.
Wo Ypres grundlegend einmal mehr gerade auch durch das flotter antauchende Umgewichten ihrer assoziativen Nähe zu Isis als Reiz an die Angel kriegen, die Band ihre Klangräume mit imaginativ schwelgender, packender Tiefenwirkung entfaltet, muss sich das Quartett zwar nichtsdestotrotz nach wie vor den Vorwurf gefallen lassen, ihre ureigene Handschrift noch nicht restlos entwickelt zu haben.
Wie fachkundig Ypres ihr Gebräu auf Umwelt jedoch mittlerweile aufgießen, wie ansatzlos Härte hier Anmut und Schönheit freilegen kann, wie nahtlos Brachialität und Zärtlichkeit verschwimmen dürfen – das ist dann nicht nur keine Selbstverständlichkeit, sondern vor allem ein ordentlicher Schritt im Evolutionsprozess. Jetzt muss es die Band nur noch schaffen, den schweißtreibenden Rausch ihrer Liveauftritte auch für etwaige Tonträger zu konservieren.

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