The Cure, The Twilight Sad [26.10.2016: Marx Halle, Wien]

von am 27. Oktober 2016 in Featured, Reviews

The Cure, The Twilight Sad [26.10.2016: Marx Halle, Wien]

Kein angegrauter Nostalgietrip, sondern ein erfrischendes Schaulaufen über satte 31 Songs: Die Freude an der zeitlosen Klasse von The Cure kann auch die katastrophalste Konzertlocation kaum trüben.

Rechtzeitig zum dritten und finalen Zugabenblock knallen Robert Smith und Co. dann noch einmal eine erschlagende Stafette einiger ihrer größten Hymnen hinaus: Knapp 10.000 Besucher feiern ein ausgedörrt vorangetriebenes Boys Don’t Cry, tanzen zu Friday I’m in Love oder erfreuen sich an der melancholischen Schönheit von Close to Me.
Nicht, dass der Funke zu diesem Zeitpunkt nicht ohnedies bereits längst übergesprungen wäre – denn das ist er praktisch mit der eröffnenden Euphoriewelle durch den so mächtig schimmernden Plainsong – doch bis zu diesen letzten Metern hatte sich auch der Wien-Stop von The Cure die Freiheiten genommen, nicht nur die obligatorischen Hits am Fließband zu liefern, sondern neben bombensicheren Bänken auch dezent exotischeren Discografie-Vertretern Platz einzuräumen. Denn auch der Abend in der ausverkauften Marx Halle ist eine Wundertüte mit Überraschungseffekt: Zwar haben einige Songs einen Fixplatz in der stets neu gemischten, aktuellen Setlist bekommen – neben zahlreichen der Pflicht-Evergreens eben auch vereinzelte B-Seiten (der The Crow-Track Burn beispielsweise), Non-Album Singles (Charlotte Sometimes oder The Walk) oder erst unlängst wieder ausgegrabene Live-Raritäten (Closedown mutiert nach einem knappen Jahrzehnt Pause etwa zum Standard) – dennoch gleicht kein Halt der Tour einem anderen.

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Was bedeutet: Zwar gibt es in Wien leider keinen Vertreter der beiden späten Meisterwerke The Cure oder Bloodflower, keine Exkursion zu 4:13 Dream oder anderswo kaum wegzudenkende Killertracks wie  The Lovecats oder The Caterpillar – dafür jedoch einen Fokus auf die großartigen Tracks von Disintegration oder ein Prayers for Rain, das 2016 ansonsten nur in Kopenhagen und dem Nonplusultra-Konzert in Helsinki gespielt wurde.
So schätzesuchend und unberechenbar wie im Frühjahr agiert die Band (nunmehr weitestgehend aus einem abgesteckten Pool schöpfend) vielleicht insofern momentan dennoch nicht mehr – The Cure liefern über knappe drei Stunden Spielzeit nichtsdestotrotz ein 31 Song-starkes Sammelsurium, das den Gelegenheitsfan im bunt durchgemischten Publikum wohl ebenso zufriedengestellt haben dürfte, wie den wie den akribischen Katalogkenner – auch wenn der Beigeschmack der einmaligen Exklusivität minimaler ausfällt als bei vorangegangenen Konzerten. Egal: The Cure spielen auch auf dieser Tour abermals nicht ohne Exzentrik die Trümpfe aus, die einem eine beinahe 4 Jahrzehnte umfassende Discografie mit zahlreichen Klassikern gewährt.

Die Engländer präsentieren sich dabei live trotz der langen Studioabstinenz bestens aufgelegt und makellos aufeinander eingespielt: Mehr-oder-Minder-Neo-Gitarrist Reeves Gabriels fügt sich als technisch makelloser Arbeiter nahtlos in die pragmatisch auftretende Erfüllungsgehilfenriege um Synthiemeister Roger O’Donnell und den so dynamisch Druck machenden Top-Schlagwerker Jason Cooper ein. Langzeit-Bassist Simon Gallup läuft währenddessen als unermüdlicher Altpunk wie aufgezogen über die Bühne und impft The Cure damit immer noch eine immense Portion Vitalität und Jugendlichkeit ein.
Zuviel Bewegung kommt für Mittelpunkt Robert Smith dagegen weiterhin nicht in Frage: Er schlurft mit verwischten Kajal, Lippenstift, weitem schwarzen Gewand und zerzausten, schütterer gewordenem Haar elegisch umher wie eh und je, beschränkt seine Interaktion auf ein Minimum und fesselt dennoch mit einer eminezhaften Goth-Präsenz und seiner über all die Jahre immer noch so strahlend sehnsüchtig leidenden Stimme, hinter der die packende Performance seiner Band mit all den unverwechselbaren Gitarren- und Bass-Klängen ohne Längen zusammenläuft.

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Und doch gibt es an diesem Abend einiges zu bemängeln. Mehr als alles andere, dass die von vornherein in eine zwielichtiges Trockeneis-Nebelwand getauchte, dennoch ohne jedwedes Charisma auskommende und infrastrukturell stark zu wünschen übrig lassende Marx Halle eine bestenfalls suboptimale Location darstellt.
Vor allem vor den offenbar alles andere als ausreichend vorhandenen Damentoiletten bilden sich elendslange Schlangen, die sogar jene bagatellisieren, die zeitweise vor dem Eingangsbereich und den Garderoben auftreten – insofern sind die relativ hohen Kulinarik-Kosten, die unzureichend vorhandenen und schlecht ausgestatteten Getränkestände (wer den Stau an diesen überwunden hat, bekommt schon mal ungeachtet jedweder tatsächlicher Bestellung Getränke nach dem Zufallsprinzip serviert oder bleibt auf dem Pfandbecher sitzen, da keine Münzen mehr zur Ausgabe vorhanden sind) sowie die Bruthitze samt stickiger Luft in der Halle fast schon eine Alternative, um dem Drang vorzubeugen, sich die Tortur eines Toilettenganges antun zu müssen.
Da ist organisatorisch zweifellos einiges schiefgelaufen, jedoch ist die Marx Halle für eine derartige Veranstaltung ohnedies denkbar ungeeignet: Bei ohnedies stattlichen Kartenkosten (die The Cure selbst dann freilich mit der passenden Schnittmenge aus Qualität und Quantität doch irgendwo rechtfertigen) wären beispielsweise zusätzliche Videowalls angesichts der Bühnenplatzierung durchaus eine wünschenswerte Investition gewesen. So aber sieht das Gros des Publikums bestenfalls wenig vom Geschehen auf der Bühne. Dass einige Besucher ob der extrem schlechten Sichtverhältnisse in der Halle sogar auf die zahlreichen Stahlträger klettern (was die nur mutmaßlich anwesenden Sicherheitskräfte nicht weiter zu stören scheint), spricht dann mitunter doch für enormes Optimierungspotential.

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Dass der Sound dazu bisweilen zu dumpf ausfällt und vor allem in den druckvollen Momenten zu einer leichten Übersteuerung neigt, fällt dann nur deswegen nicht so gravierend ins Gewicht, weil man das in Veranstaltungsorten ähnlicher Größenordnung schon weitaus schlechter serviert bekommen hat.
Abseits davon regiert übrigens auch am Merchstand der Wucher – The Twilight Sad können einem in dieser Hinsicht wahrlich leid tun – ihre Shirtpreise sind an jene von The Cure gebunden und schlagen mit €35,- dezent frech zu Buche). Dabei schlägt sich der Supportact ansonsten sehr wacker und macht sich auch sicherlich einige neue Fans. Sicher: The Twilight Sad wirken auf der großen Bühne doch verlorener, als im kleinen Club, weswegen die an sich großartigen Schotten zumindest an diesem Abend nur ansatzweise als Vorband funktionieren.
Immer wieder mutet ihr emotionaler Postpunk zu ernüchternd monoton und wenig vielseitig an, packt gelegentlich den Vorschlaghammer zur pathetischen Geste aus, das Potential verliert sich aber irgendwo in den Weiten der Halle. Der Auftritt wird von der anwesenden Menge letztendlich durchaus energisch beklatscht, wirkliche Stimmung will jedoch nur schaumgebremst aufkommen. Im Endeffekt berieseln die 35 Minuten Aufwärmprogramm deswegen auch primär nur und lassen einen damit seltsam kalt – was man von The Twilight Sad in einem anderen Ambiente sonst ja absolut nicht behaupten kann.

Setlist:

Reflection of the Television
Last January
I Could Give You All That You Don’t Want
Seven Years of Letters
It Never Was the Same
There’s a Girl in the Corner
And She Would Darken the Memory

Trotzdem marschiert die Masse zum Großteil gegen halb zwölf wohl dennoch beinahe wunschlos zufrieden aus (der in dieser Form als absolutes Ausschlusskriterium bei zukünftigen Konzerterwägungen durchgehenden) Marx Halle.
Unter anderem, weil Why Can’t I Be You? so fulminant pumpend verabschiedet hat; Just Like Heaven aus zahlreichen Kehlen mitintoniert wurde und nichts als Glückseligkeit verbreitet hat; Das dramatische From the Edge of the Deep Green Sea sich wie in Trance von dem grandiosen Groove der Band hypnotisieren hat lassen; Die so stimmungsvolle wie vielseitige Bühnenshow zu keinem Zeitpunkt von den Songs an sich ablenkt, sondern deren Elemente bildgewaltig und eindrucksvoll unterstrichen hat; Smith in Burn die dissonante Flöte auspackt und sich vor einem begeistert mitgehenden Publikum das Solo in A Forest krallt, während das des an Härte zulegenden zweiten Zugabenblockes in dunkel dröhnenden Wrong Number Gabrels gehört; und weil die neue Nummer It Can Never Be the Same (was wurde übrigens aus Step Into the Light?) zeigt, dass auch in Zukunft mit der Band zu rechnen ist. Kurzum: So viele großartige Szenen von einem Abend von großer Klasse bleiben, mag er auch in noch so einer unwürdiger Umgebung stattgefunden haben.

Setlist:

Plainsong
Pictures of You
Closedown
High
A Night Like This
The Walk
The Baby Screams
Push
In Between Days
Sinking
Charlotte Sometimes
Lovesong
Just Like Heaven
Primary
From the Edge of the Deep Green Sea
Prayers for Rain
Disintegration

Encore:
It Can Never Be the Same
Want
Burn
A Forest

Encore 2:
Shake Dog Shake
Fascination Street
Never Enough
Wrong Number

Encore 3:
Lullaby
Hot Hot Hot!!!
Friday I’m in Love
Boys Don’t Cry
Close to Me
Why Can’t I Be You?

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