Big Thief – Double Infinity

von am 16. September 2025 in Album

Big Thief – Double Infinity

Darüber zu mutmaßen, ob die „interpersonal reasons“, die zum Ausstieg von Bassist Max Oleartchik führten, auch politischer Natur gewesen sein könnten, ist letztlich müßig. Fest steht nämlich, dass Double Infinity vor allem eine stilistische Zäsur für Big Thief darstellt.

Dass sich Adrianne Lenker, Buck Meek und James Krivchennia nach Dragon New Warm Mountain I Believe in You bis zu einem gewissen Grad nicht nur neu erfinden wollten, sondern auch mussten, ist (auch wenn man persönlich Resteverwertungen wie Passional Relations weiterhin nur zu gerne mitgenommen hätte) durchaus nachvollziehbar: Das Opus Magnum von 2022 hatte trotz einiger experimentierfreudigen Amplituden einfach das Volumen, um im klassischen Big Thief-Sound über-sättigen zu können.
Ein Beschreiten neuer Wege hinsichtlich der Arbeitsweisen und Ziele war insofern auch abseits des personellen Umbruchs zwangsläufig für alle Beteiligten notwendig, um die Dinge interessant und spannend zu halten – oder, um gar überhaupt weiter als Band funktionieren zu können?

Mit ihrem langjährigen Engineer Dom Monks als Produzenten, zehn Session-Musikern sowie den drei Backing-Ladies Alena Spanger, Hannah Cohen und June McDoom ist Double Infinity nun mit einem breiteren instrumentalen Hintergrund merklich satter grundiert als seine Vorgänger, klangtechnisch dichter gewoben und für mehrere Schichten ausgelegt.
We all kind of agreed we wanted to make a heavy rock album. That was the first concept“ analysiert Meek das Ziel dieser Neujustierung, die sich inhaltlich oft um Aussöhnungen (und die damit verbundenden Schwierigkeiten) sowie den Willen loslassen zu können dreht, derweil Lenker es spiritueller einfängt: „Double Infinity is like shouting from the mountain, these deepest things, all the way into the sky, and all the way into the core of the earth.
Der Folk Rock von Big Thief klingt so jedenfalls ausgereifter und durchdachter als bisher, massiger und auch psychedelischer – gewollt pseudo-schlampig eingefangen. Das ist interessant, überraschend oder auch ungewohnt – und erfüllt dahingehend also alleine schon den grundlegenden Zweck der Metamorphose.
Allerdings geht der Band so auch ein essentieller Bestandteil ihrer instinktiven Magie abhanden – der emotionale Impact der Songs geht nicht mehr derart berührend unter die Haut, während die ergreifenden Highlights weniger herausragend geraten als bisher stets.

Weniger atemberaubend bedeutet aber freilich keineswegs schlecht – und gerade die Eingangsphase des sechsten Big Thief-Studioalbums zeigt mit frischen Stärken und alten Tugenden auf.
Der mystische Drive des erfrischenden Openers Incomprehensible wird etwa niemals ganz greifbar, indem die Symbiose einer aug unwirkliche Weise kraftvollen Rhythmussektion straffer und straighter angelegt ist, während die Texturen drumherum einen The Cure’schen Tauchgang durch eine ebenso eingängige wie sphärische Elegie wagen. Der Roadtrip unter Wasser setzt sich fort, indem Words eine Ahnung vermittelt, wie U2 als Hippies am The Beach dösen könnten: Schlagzeug und Bass rumpeln und poltern geschäftig, doch das Szenario eines poppigen Knäuels bleibt bis zu einem deliranten Solo verwaschen. Im schamanistischen Kosmos von Grandmother singsangelt Laraaji als (nicht unbedingt essentielles, aber exotische Facetten beibringendes) kulturelles Kolorit einen gemeinschaftlichen, gemütlichen Ohrwurm nebenbei begleitend: Lenker bleibt einfach eine der besten Songwriterinnen ihrer Generation – egal, ob man sich dafür diesmal ein wenig neu orientieren muß.

Symptomatisch für das Wesen von Double Infinity ist allerdings auch, dass das Epizentrum der Platte in sich hineinhorchend zur Meditation gerät: Das smoothe No Fear döst in seiner Trance vorsichtig, fast schon lethargisch, nirgendwohin – darauf muss man sich einlassen. Denn Big Thief wollen nun auch auf der Ebene der Ästhetik und des Ambientes funktionieren.
Was ambivalente Ergebnisse zeigt, wenn der Groove der Leithammel wird. In All Night All Day gelingt das fabelhaft, derweil das muntere Happy With You musikalisch so entspannt und behutsam ebenso überzeugt, aber durch seine repetitiven, simplizistischen Lyrics zur auslaugenden Geudldsprobe am Rande der Nervengrenze wird.
Hand in Hand mit diesem Ausfall geht die Frustration darüber, dass das schöne Giving it All stattdessen ausgespart wurde, bevor der gemütliche, versöhnliche Abschluss How Could I Have Known nur unspektakulär solide gelingt.
Bezeichnend ist es dann auch, dass die beiden am deutlichsten in den Rückspiegel blickenden Nummern (das den Sound an den Acoustic-Rand zurückschraubende Los Angeles in seiner relaxten Melancholie, sowie das als verblassende Erinnerung an die klassischen Heydays ruhig und nostlgisch plätschernde Titelstück) mitunter die (den Gesamteindruck nach oben korrigierenden) Highlights eines Growers von einem Übergangsalbum geworden sind.

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