Mar – Ruin is Rebirth

„This is the end. Bye to my loves, goodbye my home, goodbye my friends. It’s now, it’s now. This is the end.“ und „I do not want for what’s gone / I let it go, let it go.“. Deutlicher geht es kaum: Mar verabschieden sich mit Ruin Is Rebirth – einem fünften und letzten Studioalbum.
Eiríkr Åsheim und K Belardinelli haben Mar dafür beinahe zu einem offenen Kollektiv gemacht. Die Grenzen der Personalien und Aufgabenbereiche verschwimmen jedenfalls mit der Gästeliste um Rhea Ramakrishnan (Grudge), Lex Santiago (Sunrot), Gabriel Lozada (Lugie) und Bryan Funck (Thou), um „a tale of homelessness, loss, and abuse—yet also of survival, power, and joy. It’s cathartic doom that’s refreshingly optimistic“ zu erzählen.
Mit diesem ansatzweise konzeptionellen Hintergrund deklariert der Schwanengesang ästhetisch dagegen einen „slow process of decomposition“ einzufangen – allerdings fühlt es sich an, als würden Mar das Pferd diesbezüglich eher von hinten aufzäumen: Die Songs neigen gerade in der ersten Plattenhäfte dazu, unfertige Annäherungen an die dem Material potentiell zugrunde liegenden Möglichkeiten zu sein; sie blenden zudem lieber unerwartet abrupt ab, anstatt den ganzheitlichen Übergang zu suchen. Das gerade einmal 25 Minuten dauernde Ruin Is Rebirth wird so nicht zu mehr als die Summe seiner Teile, sondern tritt über weite Strecken wie ein (im grandiosen Seth Manchester-Sound eingefangenes) Sammelsurium auf. Was gerade nach dem so runden, reifen und vielseitigeren Everything is Alive schade ist.
Die damit freigesetzte Impulsivität sorgt dagegen für eine gewisse Unberechenbarkeit, wenngleich im ambivalenten Ausmaß. Nachdem der Opener Venom dem bandtypischen Muster folgend seine sludgigen Doom mit vehementer Hardcore-Attitüde und Noise Punk-Griffigkeit schleppt, ermüdet das stapfende Not Afraid to Die mit seiner gar zu simpel gestrickten Repetition aus einem Blackened-Motiv an der Gitarre und macht seinen majestätischen Ansatz in der drumherum herrschenden Unausgegorenheit nur rudimentär erkennbar. Das zuerst direkt angelegte This Is The End bricht in der Mitte dagegen willkürlich zum skandierenden Post Drone Metal und If You Encounter a Snake ist als pendelnde Skizze einer kontemplativ brutzelnden Meditation (in der die Drums lauern, sich aber lange nur bedingt zurückhalten wollen) kaum mehr als ein Interlude. Reizvoll, aber auch frustrierend.
Danach aber steigt die Formkurve von Ruin Is Rebirth merklich.
Ten of Swords zieht als eine schleppende Apokalypse an, die kurz groovend an Fahrt aufnimmt, um in seiner Heaviness zu mäandern und Thou‘sche Reibungen zu nutzen, bevor das (gerade im Verbund) noch bessere I Saw a Coyote on My Way Home als Melancholiker eine tolle, subtile Schwermut pflegt. Never Trust a Landlord zappelt wie eine von Slowhole und Lärm zerschlissene Erinnerung an Russian Circles, den proklamierten Zweckoptimismus in die Finsternis hinter rumpelnd-kloppende Cloud Rat hämmernd: „Now I say, „Thank you. Thank you to my thief.“/ I say, „Thank you. Now I am free.“/ …/ Home is not a place. I have all I need. I have all I need. I’m not homeless, I am home-free. You evicted, then you lost control of me.“
Dass Rebirth majestätische Riff-Kaskaden schnell gegen die räudige Gemeinschaft tauscht, passt insofern zur Mentalität und Attitüde der Platte.
Vielleicht begegnet man Ruin Is Rebirth angesichts seiner finalen Rolle in der Diskografie dann zugegeben auch etwas zu kritisch – hätte sich einfach „Mehr“ erwartet, gerade nach dem vergleichweise ruhigen Band-Zenit vor knapp drei Jahren – doch entsteht in Summe einfach der Eindruck, es hierbei mit einem Übergangswerk zu tun zu haben, dessen Ziel der Spontanität geopftert wird. In seinen besten Momenten lässt dieses zwar keinen Zweifel daran, was man an der Band gehabt hat, doch wird der Abschiedsschmerz niemals unerträglich intensiv auf den Punkt gebracht.
Oder: Ruin Is Rebirth ist nicht der Höhepunkt in der Existenz von Mar, aber ein (mit sentimentalem Auge zwischen den Punkten aufgewertetes) Farewell, mit dem man paradoxerweise einfach gut leben kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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