Old Lines – الشعب يريد إسقاط النظام

Eine Band bohrt den Finger in offenen Wunden: ‚الشعب يريد إسقاط النظام ‚ löst Versprechen ein, welche Old Lines vor knapp einem Jahr mit der digital verschenkten Demo-EP gegeben hat – und stellt damit auch gleich neue in Aussicht.
‚Dead Sea‚, ‚Cages‚ und ‚No Holy Days‚, sie alle finden sich nun in ausproduzierter, knochentrocken malmender Variante auf ‚الشعب يريد إسقاط النظام‚ wieder. Viel Gesellschaft haben sie dabei nicht: vier weitere Songs haben Old Lines geschrieben – insgesamt kommt ihr Albumdebüt so auf nicht einmal 21 Minuten -, als vollwertige Visitenkarte genügt dies aber vollends, hat es das versammelte Material doch in sich; kurz und schmerzhaft ist es, brutal nach vorne stürmend, dann wieder regelrecht bohrend auf der Stelle walzend, rasanter D-Beat Hardcore, wie er weh tut ist das, Sekunden später tonnenschwerer Sludge. Dass da ein Song namens ‚Cursed‚ im wilden Getümmel wütet, darf man vielleicht als insgeheime aber endgültige Verneigung vor der dahingeschiedenen Legende aus Kanada ansehen.
Denn viel mehr als aus Old Lines die Überreste von Pulling Teeth und Ruiner auffängt, findet man hier das Vermächtnis eben von: Cursed. Alles andere wäre ja auch überraschend, ist die Reduktion auf die Vergangenheit von Gitarrist Mitchell Roemer doch auch unfair Jake Berry, Matt Taylor und Pat Martin gegenüber, zumal Roemer sein Trademark-Geheule am Saiteninstrument für Old Lines nie auspackt, zweckdienlich in der Summe der Teile arbeitet; in Songs wie dem Metal-Inferno ‚White Walled‚ zwar die markante Lead-Linien einnimmt, ansonsten aber ebenbürdig neben dem brennenden Stimmbändern des keifenden Taylor herreitet, während die Rhythmussektion in der hinteren Reihe Salti schlägt. In ‚Temple‚ lässt Roemer die Schrauben hingegen so lange lockerer werden, bis der Feedback-Sumpf aus ‚The Dead Sea‚ alles mit sich reißt.
So wächst ein bestialisches, dunkles Biest ohne falsche Hoffnung. „Our Failure/ A Nation Imprisoned“ brüllt Taylor infernalisch, die Fratzen von Putin und Konsorten lächeln vom pechschwarzen Cover. ‚الشعب يريد إسقاط النظام‚ steht auf der Rückseite, immer wieder und meint: „the people want to bring down the regime„, der Verweis zum arabischen Frühling, er ist in dieser klaren Ansage von Artwork nur ein weiteres Indiz für die eindeutig ambitionierte Ausprägung der Band. Taylor kodiert in seinen Texten Meinungen zum Nahostkonflikt ebenso wie Missstände in jedweden Systemen, prangert allgemeine Probleme auf persönlicher Ebene an und ja, Old Lines sind dezidiert eine politische Band.
Zwei Jahre nach der Bandgründung und gut exakt genau eines nach dem Ende von Pulling Teeth ziehen Old Lines damit eine Schneise der Verwüstung hinter sich, die direkt ins Herzen unerbittlicher Hardcorelandschaften zielt. Um sich dort zu behaupten, genügt ‚الشعب يريد إسقاط النظام‚ locker. Um wahrhaftig hervorzustechen, dafür braucht es in Zukunft aber noch einiger herausgearbeiteter Alleinstellungsmerkmale, solange Verwandte wie Code Orange Kids oder zahlreiche Rennpferde aus der Deathwish Inc.-Riege das einfach facettenreicher und eindeutiger hinbekommen. Dennoch darf man dabei nie aus den Augen verlieren: Old Lines stehen noch am Anfang, die spielen sich erst warm. Und dafür ist ‚الشعب يريد إسقاط النظام‚ ein beachtlicher Einstand geworden.
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