Silvana Estrada, Ambre Ciel [28.10.2025: Wien, B72]
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	        Selbst hinter einer unüberwindbaren Sprachbarriere kommt die – ja, wahrhaftig! – Magie von Silvana Estrada auf der Bühne noch natürlicher und unmittelbarer zur Geltung, als auf den schon so zauberhaften Studioalben Marchita und Vendrán suaves lluvias.
Den Abend im restlos ausverkauften B72 eröffnet Jessica Hébert alias Ambre Ciel mit einem 24 minütigen Set, das sich aus Songs ihres im Sommer erschienenen Debütalbums Still, There is the Sea zusammensetzt.
Mit ätherischem Gesang und ruhig gespielten Keyboard-Kontemplationen nimmt die Kanadierin den Raum mit gleichförmigen, traumwandelnden Elegien ein, die schöngeistig und melancholisch schwelgend in ihren Bann ziehen. Jede U-Bahn, jedes Klimpern an der Bar tut da weh, so still gehaucht streicheln die ambient an der Peripherie des Pop wandelnden Nummern die Seele.
Nur dass Ambre Ciel vor dem letzten Song ihres Sets – Eau Miroir – mit einer langen dankenden Ansage aus dem homogenen Spielfluss reißt, erweist sich beinahe als folgenschwer: Wo die junge Musikerin zuvor einen undurchlässigen Schleier der Intimität über die andächtig lauschende Location gelegt hat, beginnt das Publikum, während sie die Synth-Effekte justiert, plötzlich lautstark zu tratschen, verstummt erst nach und nach während des Closers wieder, um der schick-schwarzgewandeten Dame und ihrer Atmosphäre zu auch auf französisch etwas weiter in die Elektronik zu folgen.
Der Kopfkino-Soundtrack von Ambre Ciel ist jedenfalls eine wirklich schöne, vielversprechende Entdeckung.
 
 
Dennoch: Der Abend gehört letztendlich doch ganz und gar Ausnahmeerscheinung Silvana Estrada alleine.
Oder richtiger: Auch ihrem Publikum, das ebenso all sein Herzblut in das Konzert legt und so involviert in die minimalistische Show ist, wie das nur möglich ist.
Der (auch nach Abfrage der Musikerin demonstrativ auf lateinamerikanische Wurzeln verweisende) Zuschauerraum lebt jede einzelne Sekunde der knapp 80 minütigen Audienz, atmet und zelebriert die Songs mit existenzieller Leidenschaft, hier und da herrscht schlichtweg emotionaler Ausnahmezustand.
Schon nachdem Estrada nur die kleine Bühne betreten hat, ist der Applaus extatisch und hemmungslos, will gar nicht aufhören, immer wieder wird die Musikerin sichtlich gerührt von der überwältigenden Begeisterung innehalten, ungläubig lachen und eine so spürbar authentische Freude an ihren ersten Wien-Besuch haben.
 
 
Zwischen jeder Nummer findet ein (ausnahmslos spanischsprachig geführter) Dialog zwischen Besuchern und der mexikanischen Grammy-Gewinnerin im absurd kleinen Rahmen statt, wirklich jede Nummer – egal ob Estrade alleine zwischen zwei Acoustic-Gitarren wechselnd Material vom 2022er Meisterwerk Marchita, vom erst unlängst erschienen Vendrán suaves lluvias oder etwaigen Coversongs zum Besten gibt – wird zu hundert Prozent textsicher mitgesungen: lautstark, gefühlvoll, extrovertiert. Jedes einzelne Wort sitzt. Egal wie alt oder neu der jeweilige Song ist.
Während der ruhigen Nummern folgen ihre Anhänger der stimmlich grandios aufzeigenden, absolut göttlich singenden 28 jährigen hemmungslos dorthin, wo tatsächlich Tränen der puren Ergriffenheit fließen, derweil das (klangtechnisch für einen derart spartanischen Abend je nach Standort zufriedenstellend liefernde) B72 bei den ausgelasseneren Stücken zur euphorischen Latino-Party-Zone wird.
 
 
Dass man selbst aufgrund der Sprachbarriere (während der offenkundig sehr amüsanten bis bewegenden Zwischenansagen und Gespräche der Musikerin mit ihren hingebungsvollen Fans) als staunender Beobachter außen vor bleibt, ist unendlich schade, ändert jedoch nichts daran, dass jede Sekunde dieser keinerlei Distanz zulassenden Darbietung fesselt, aufwühlt und immer wieder Gänsehaut beschert. In der reduzierten Darbietung streicht Estrada den zeitlosen Kern ihrer eigenen Nummern mit einer nonchalanten, unkomplizierten Grandezza hervor, stellt ihre Songs nahtlos in eine Reihe mit Klassikern wie Solo le Pido a Dios.
Dass einige Besucher der Sängerin am ende Briefe und kleine Präsente übergeben werden, ist eine nette Geste. Tatsächlich aber kann man Estrada ihr Gastspiel und die nachwirkenden Eindrücke davon praktisch nicht vergüten.
 
  
 




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